Aua1489: Sachkundeprüfung Tierschutzgesetz (12): Ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg könnte die entscheidende Wende bringen?

 

{TS-Kritik}

[12.01.2015]

Na, endlich! Endlich wird der sensationelle Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg, der in den geheimen Zirkeln der Hundetrainer auf Facebook schon seit vor Weihnachten bekannt ist, veröffentlicht. Und – für diese Redaktion sehr praktisch – die Veröffentlichung erfolgt von rechtskundiger Stelle. Die sich selbst als „Tieranwältin“ etikettierende, sich gern pastellfarben-brillenrührend inszenierende Susan Beaucamp, sekundiert von einem Herrn gleichen Namens, aber mit respektheischendem „Dr.“ davor, zitiert und erläutert auf Facebook die entscheidenden Passagen des möglicherweise wegweisenden Beschlusses.

Vertrauen wir den Kommentierungen der Tieranwältin, auch wenn sie gerade erst unkritisch und offensichtlich ungeprüft den Sachkundefehler in den Impfempfehlungen von TASSO verbreitet hatte (siehe dazu Aua1488). 

 

Gerichtlich bestätigt: „rechtswidrig“

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg dürfte – wohl nicht nur nach Meinung dieser Redaktion – sensationell und wegweisend sein. Unter Umständen bringt er die entscheidende Wende für die Hundetrainer. Denn das Verwaltungsgericht (VG) Lüneburg bewertet die bisherige Praxis der Veterinärämter, ausschließlich nur die Zertifizierung der Tierärztekammer Niedersachsen, der Tierärztekammer Schleswig-Holstein und der IHK Potsdam anzuerkennen, als „die gesetzlichen Grenzen des Ermessens“ überschreitend und als rechtswidrig.

 

Bedeutet der Beschluss des VG Lüneburg das Ende der Abzocke von Hundetrainern durch Tierärzte und Verbände, die ihnen extrem teure Zertifizierungskurse andödeln, weil die Veterinärämter bisher nur exklusiv die Zertifizierungen der Tierärztekammern, des BHV und der IHK anerkannt haben? Vielleicht.
Foto: NicoLeHe / pixelio.de

 

 

Das Muss für VA: ergebnisoffene Einzelfallprüfung

Lassen wir uns die Aussagen in der für einen Beschluss außergewöhnlich ausführlich begründeten Bewertung des Verwaltungsgerichts Lüneburg von Frau Tieranwältin & Co. erklären:

              

Das Verwaltungsgericht Lüneburg stellt in seinem Beschluss klar, das Sachkunde im Sinne von § 11 I S. 1 Nr. 8 f TierSchG grundsätzlich auch durch Ausbildungen, Lehrgänge und Fortbildungsveranstaltungen privater Institutionen und Einrichtungen nachgewiesen werden kann. Die Veterinär- und Ordnungsämter müssten ergebnisoffen in jedem Einzelfall prüfen, ob damit – eventuell zusammen mit anderen Umständen wie etwa jahrelange praktische Berufserfahrung als Hundetrainer – Sachkunde vorliegt. Zweifelsfragen können durch Stellungnahmen der jeweiligen Institutionen, die Anforderung weiterer Unterlagen oder ein Fachgespräch geklärt werden, dass bestehende Zweifel ausräumen soll – also nicht ein „Fachgespräch“, das wie von vielen Behörden praktiziert, schematisch aus einem D.O.Q.-Test pro [sic!], einer theoretischen und einer praktischen Prüfung besteht.

(Tieranwältin Susan Beaucamp auf Facebook am 11.01.15; Hervorheb. d. DN-Red.).

              

Wie gesagt: Es handelt sich um einen Beschluss, nicht um ein Urteil. Doch das Verwaltungsgericht Lüneburg argumentiert darin mit einer den Beschlusscharakter übersteigenden Ausführlichkeit (auf insgesamt acht DIN-A4-Seiten); mutmaßlich im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren.

 

Befristete Erlaubnis mit Auflagen rechtswidrig

Nicht nur die (bisher seitens der Behörden nicht erfolgte) ergebnisoffene Einzelfallprüfung mahnt das Verwaltungsgericht an, nicht nur die willkürlich von der Tierärzteschaft festgelegten exklusive Anerkennung der Zertifizierungen bei ihren eigenen Kammern und der IHK demontiert das Gericht, auch die (hanebüchenen) Auflagen, die diverse Veterinärämter in Verbindung mit der Erlaubnis bisher erteilt haben, bestehen rechtlich nicht!

 

Jetzt ändert sich alles?

Das Beaucamp-Doppelpack zelebriert bei seinen Kommentaren standesgemäße Bedenklichkeit, kommt aber um die Lichtblick-Bewertung auch nicht herum:

              

Auch wenn der Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg „nur“ in einem Prozeßkostenhilfeverfahren [sic!] ergangen ist und keine Bindungswirkung für Veterinär- oder Ordnungsämter hat, dürfte die Entscheidung Signalwirkung haben. Es werden Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte folgen, die die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Lüneburg bestätigen. Das Ende standardisierter Erlaubnisverfahren dürfte eingeleutet [sic!] sein.

Allerdings bleibt es dabei, dass Anträge auf die Erteilung der Erlaubnis nach § 11 I S. 1 Nr. 8 f TierSchG sorgfältig begründet sein sollten.

(ibid.)

              

Da haut dieser Blog aber farbiger ins Mus und zitiert nicht namentlich eine Veterinärin, die schon bei der akustischen Botschaft der zentralen Aussagen dieses Wonne-Beschlusses erschrocken meinte: „Das ist ja eine Katastrophe!“

Yes, it is! Aber nur für die Tierärzte und Abzocker. Und die Veterinärämter natürlich! Jetzt kommt endlich einmal juristische Substanz in den von den Tierärzten zum Wohl standesinterner Abzocke angerührten Wackelpudding. Denn der Beschluss substantiiert den „unbestimmten Rechtsbegriff“ Sachkunde durch den Rückgriff auf den Sachkundebegriff in § 36 der Gewerbeordnung. Des Weiteren zieht das VG Lüneburg diesen interessanten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zum Thema Sachkunde und deren Nachweis heran.

Gerüchteweise war schon zu vernehmen, dass das Bundesland Bayern die Sachkundeprüfungen bis zum Vorliegen einer ordentlichen Verwaltungsvorschrift ganz aussetze. Dieses Gerücht lässt sich allerdings bisher nicht bestätigen. Dabei wäre das nur klug!

 

Regressansprüche der Hundetrainer?

Wenn diese ganzen Sachkundeprüfungen aufgrund eben nicht erfolgter ergebnisoffener Einzelfallprüfung schlussendlich als rechtswidrig bewertet werden, wäre von kompetenter Seite zu prüfen, ob den Betroffenen möglicherweise sogar Regressansprüche zu ihrem nicht unerheblichen Aufwand und ihren enormen Kosten zur Vorbereitung auf eine unter Umständen gar nicht notwendige Prüfung zustehen. Unter der Drohung einer Untersagungsverfügung bzw. nicht erteilter Erlaubnis stürzen sich viele Hundetrainer in das vielfältige Angebot teilweise extrem teurer Kurse und Vorbereitungsveranstaltungen.

Bedauerlicherweise und dokumentatorisch mangelhaft gibt das Anwaltsduo Beaucamp kein Aktenzeichen zu dem Beschluss an. Mit diesem ist dann für die Presse auch eine anonymisierte Version des Beschlusses bei der Pressestelle des VG Lüneburgs anforderbar. Die DN-Redaktion hat solches getan und wird den Beschluss an dieser Stelle nachreichen, sobald er ihr von der Pressestelle des VG Lüneburg zugeschickt wird.

Eine zunächst von der DN-Redaktion zur Verfügung gestellte Nur-Text-Version ist in ihrer Urheberschaft unklar. Sie wurde DN als Nur-Text-Version des Urteils zugesandt; möglicherweise jedoch handelt es sich um eine bearbeitete Version, deren Rechteinhaber dieser Redaktion nicht bekannt ist. Sicherheitshalber verzichtet DN auf die Veröffentlichung und wartet die Zusendung der Pressestelle des VG Lüneburg ab (siehe dazu auch Aktualisierung unten).

 

In den Kern der Sache treffender Kommentar

Unter der Beaucamp-Verlautbarung findet sich folgender pointierter Kommentar von dem bekannten Dog-Coach Enrico Lombardi:

              

2015 wird das Jahr der Hundetrainer! Lobbyisten werden ihre Positionen nicht aufrechterhalten können und bestimmte Persönlichkeiten an Gunst in der Szene verlieren. Behörden werden erkennen, dass ihr Gehorsam dem Falschen galt. Die Bundestierärztekammer wird verstehen müssen, dass der Trainermarkt nicht auszubremsen ist. Und letztendlich wird der Politik klar werden, dass sie nicht einfach blind Gesetze verabschieden kann, ohne Tiefenprüfung durchzuführen und ohne ihren Handlangern in den Behörden klare Vorhaben [sic!] zu geben. Verbände werden Mitglieder verlieren, da sie sich nicht als Unterstützer, sondern als Günstling gezeigt haben. Aber letztendlich wird es einen Gewinner geben: Hund und Halter, die in der Vielfalt an Trainingsmöglichkeiten weiterhin baden können. Und somit reinigt sich der Markt doch, nur anders als von denen erwartet, die eine neue Aufteilung wollten.

(Kommentar von Enrico Lombardi auf Facebook Susan Beaucamp zu dem Beschluss des VG Lüneburg; fehlende Interpunktion von DN ergänzt)

              

Am besten gefällt dieser Redaktion die Stelle mit den Verbänden …

Selbst Susan Beaucamp bedankt sich – immer schön mit der in Rosarot und Himmelblau schwelgenden Wortwahl – bei Lombardi für seineliebenswerte(n) Worte“.

 

Und was ist jetzt die Praxisrelevanz?

Eine andere Userin fragt, ob diese Entscheidung „verwendet“ werden dürfe. Aber logisch! UNBEDINGT!

Frau Tieranwältin empfiehlt, ihn als „Argumentationshilfe“ zu verwenden. Das ist jetzt wieder so ein richtig süßer Beaucamp-Gag, denn ohne Aktenzeichen werden Hundetrainer in der Kommunikation mit ihren Veterinärämtern schwerlich Referenz herstellen können? Oder wie stellt sich Frau Tieranwältin die Bezugnahme vor: „Da gibt es eine ganz tolle Tieranwältin. Die hampelt auch auf Facebook herum. Und da hat die geschrieben …..“

Thanks Goddess gibt es die DN-Redaktion, welche Hundetrainer und Behördenbriefeschreiber gern mit dem Aktenzeichen (vorbehaltlich der Rückbestätigung durch die Pressestelle des VG Lüneburg) ausstattet:

 

 

Verwaltungsgericht Lüneburg

Beschluss

Aktenzeichen:

6 A 414/14

 

 

Mit ununterdrückbarer Genugtuung mag den Abzocke-Tierärzten, Verbänden und Institutionen im Windschatten der bisherigen Rechtsunsicherheit der Behördenpraxis zu § 11 Absatz 1, Satz 1, Nr. 8f Tierschutzgesetz zugerufen werden: Hey, Jungs, das Blatt wendet sich!

 

Ganz sicher ist es noch nicht, aber vielleicht wendet sich jetzt das Blatt für die Hundetrainer im Kontext mit der Behördenpraxis zu § 11 Abs. 1 Nr. 8f TierSchG? Die meisten Hundetrainer begrüßen den Nachweis der Sachkunde an sich. Nur die Behördenpraxis der vergangenen Monate, die offensichtliche Willkür und die Vorrangstellung der Tierärzteschaft empört.
Foto: Klaus Bindernowski / pixelio.de

 

Und bitte nicht vergessen: Ein riesiges Dankeschön an die Hundetrainerin/den Hundetrainer, die/der diesen schönen Beschluss für die gesamte Zunft vor dem VG Lüneburg erstritten hat! Und sie/er tat dies ganz offensichtlich auch noch unter erschwerten Bedingungen (PKH). Hut ab!

 

Aktualisierung vom 12.01.15 / 14.30 Uhr:

Eine Presseauskunft vom Verwaltungsgericht Lüneburg liegt schon vor. Der Bitte um Übersendung einer anonymisierten Kopie des Beschlusses im Verfahren 6 A 414/14 kann das VG Lüneburg nicht entsprechen, weil es sich um einen Prozesskostenhilfebeschluss handele. Ein Urteil, d. h. eine die Instanz abschließende Entscheidung sei noch nicht ergangen. Anderslautende Informationen auf Facebook oder in anderen sozialen Netzwerken seien unzutreffend.

Weiter heißt es:

              

Wann die Sache entschieden werden wird, ist derzeit noch nicht absehbar.  Da offenbar großes Interesse an dem Ausgang des Verfahrens besteht, werde ich zu gegebener Zeit eine Pressemitteilung herausgeben, die auch auf der Homepage des Gerichts veröffentlich werden wird (www.verwaltungsgericht-lueneburg.niedersachsen.de).

(Presseauskunft VG Lüneburg an die DN-Red. am 12.01.2015; Hervorheb. d. DN-Red.)

              

Anmerkung der DN-Redaktion: Die aus formaljuristischen Gründe übliche Abschwächung hinsichtlich a) (nur) Beschluss und dazu noch b) Prozesskostenhilfebeschluss ist so üblich. Aber gerade mit PKH-Verfahren vertraute Beobachter wissen sehr wohl, dass ein solcher PKH-Beschluss schon aussagekräftig ist und in nicht wenigen Fällen zumindest nicht erheblich vom schlussendlichen Urteil abweicht.

 

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