3.6 Die Praxis der Gruppenhaltung

Ein in der Hundeerziehung erst seit kurzem intensiv thematisiertes Problem ist das der sogenannten Vermenschlichung. Darunter fallen weitaus subtilere Phänomene als der Pudel mit dem Regenmantel, der Beagle mit der Sonnenbrille oder der Dackel, der am Tisch mitfrisst. Vermenschlichung beginnt schon mit der Erwartungshaltung des Menschen an seinen Hund, sich ganz allgemein und situationsunabhängig sozial, fair und friedlich zeigen zu sollen.

Vermenschlichung ist es auch, wenn ein Hundehalter in der Mehrhunde-Haltung die einzelnen Individuen „gleich“ behandelt. Bei Problemfällen in der Beratungspraxis hört man dann oft die nachgerade empörte Selbstenschuldigung: „Ich behandele doch alle meine Hunde gleich!“ Das kann katastrophale Folgen haben und ist sehr häufig mitverantwortlich für Unverträglichkeiten innerhalb eines Hausrudels.

Demokratie ist ein dem Wolfsrudel unbekanntes Phänomen, das ein Überleben in der freien Wildbahn verunmöglichen würde. Und welches Menschen-Alpha die Hierarchie seines Hunde-Minirudels durch Gleichbehandlung immer wieder in Frage stellt, muss sich nicht wundern, wenn die Hunde diese dann immer wieder erneut auskämpfen.

Es kann – muss aber nicht – extrem wichtig sein zu beobachten, wer von den beiden Hunden der ranghöhere ist. Und diese Rangfolge muss dann auch gestützt werden: bei Begrüßungsritualen, beim Schmusen, beim Durchgehen durch Türen, beim Ein- und Aussteigen aus dem Auto, beim Ableinen, beim Füttern etc. etc.

Anders als bei der Einzelhaltung und auch anders, als es etwa in den Begleithundeprüfungen verlangt wird, muss sich der Halter von zwei Hunden angewöhnen, jedem Kommando den Namen des angesprochenen Hundes vorauszusetzen: „Paul, hier!“ „Pebble, bei Fuß!“, „Mano, sitz!“ Korrekt geführte und gut kontrollierte Hunde können nach kurzer Zeit ganz genau unterscheiden, für wen das gegebene Kommando gilt. Wer seine beiden Hunde einzeln nach Namen aus dem freien Sitz oder dem freien Platz abrufen kann, zeigt schon ein recht zuverlässiges Maß an Kontrolle.

Auch das an der Leine Führen von zwei Hunden will gelernt sein. Bedauerlicherweise bietet fast keine Hundeschule entsprechende Kurse für Mehrhunde-Halter an. Voraussetzung für die entsprechende Kontrolle über zwei Hunde ist natürlich der Einzelgehorsam. Aber auch wenn diese Vorbedingung erfüllt ist, brauchen Frauchen/Herrchen und Hunde eine gewisse Übung in der Leinenführigkeit mit zwei Hunden. Tipp aus der Praxis: beide Hunde – wie üblich – links führen, den größeren innen, den kleineren außen. Und auf gar keinen Fall beide Hunde an eine gemeinsamen Leine hängen!!! In Notfällen und wenn ein Hund in Panik gerät, wird dann der andere mitgerissen.

Im Übrigen ist dem Mehrhunde-Halter auf Spaziergängen in Wald und Flur natürlich ein noch höheres Maß an Rücksichtnahme und Umsicht auferlegt. Zwei im Freiland durchgebrannte Doggen, die sich der Kontrolle ihres Hundeführers entzogen haben, sind eine fertige Katastrophe, eine große Gefahr für sich und andere und eine verheerende Antiwerbung für diese phantastische Rasse!