Aua1303P: Aus durch VOX HARTE HUNDE gegebenem Anlass: Voyeurismus, Dilettantismus und das bediente Klischee von Scripted-Reality-Sendungen

 

{TS-Kritik}       [im DNPA erschienen: 27.04.14; online verfügbar ab: 02.06.14]

 

Da findet sich endlich mal ein Bereich, in dem Tierschutz und Gesellschaft nicht getrennt marschieren, und trotzdem will so recht keine Freude aufkommen! Es geht um die sogenannte Reality-Doku-Soaps des privaten Fernsehens. Dazu gehört die auf diesem Blog schon seit Jahren heftig kritisierte VOX-Sendung hundkatzemaus (hkm). Wer sich für die DN-Artikel darüber interessiert, kann links auf der Startseite in die Suchmaske „hundkatzemaus“ eingeben und wird mit zahlreichen Treffern belohnt.

Seit zwei Wochen werden angebliche Tierfreunde jetzt mit einem zunächst auf vier Folgen begrenzte neue VOX-Serie der nämlichen Sparte „beglückt“: Harte Hunde – Ralf Seeger greift ein (HH). Auch Ralf Seeger ist auf DN schon hinlänglich besprochen worden. Eine Artikelliste findet sich am Ende vom Text.

Aber es geht in diesem Artikel nicht um die Person Ralf Seeger und der um ihn herum tätowierten Hohlkörper, sondern um das dahinter stehende Sendekonzept und dessen fatale Botschaften.

Die neue VOX-Serie gibt dieser Redaktion Anlass, neuerlich auf die Realitätsdefizite solcher Doku-Soaps hinzuweisen und mit Quellenangaben zu den zahlreichen Analysen und Bewertungen von Wissenschaftlern, Journalistenkollegen und Satirikern zu ergänzen. Medienpädagogisch sind diese Sendungen eine dokumentierte und durch demoskopische Studien bestätigte Katastrophe.

 

Guckst du: <Walulis sieht fern>!

Unterhaltsam und lustig analysiert der Grimme-Preisträger Philipp Walulis solche und andere Zuschauer-Verdummungssendungen (hier). Der Walulis-YouTube-Kanal bietet reiche Auswahl. Nur ein Beispiel: Die auch bei HH zu beobachtende künstliche „Dramatik“ solcher Sendungen (z. B. inszenierter Zeitdruck) arbeitet Walulis heraus. Besonders eingängig illustriert sein Beitrag über Restaurant-Tester-Sendungen die primitiven dramaturgischen Mittel.

Die DN-Redaktion hatte Walulis schon früher einmal angeboten, für die Analyse von Tierschutz-Doku-Soaps beratend zur Seite zu stehen. Aber dafür dürfte die Zielgruppe wohl zu klein sein!

 

Bildzitat Screenshot: Höchst unterhaltsam und eindrücklich auf den Punkt gebracht: Der Grimme-Preisträger Philipp Walulis analysiert das banale Strickmuster gängiger Fernsehunterhaltung.

 

Realitätsdefizit wird vom Zuschauer nicht erkannt

Das Politikmagazin PANORAMA hat sich 2011 ausführlich und kritisch mit den Scripted-Reality-Sendungen auseinandergesetzt (hier). Denn die Zuschauertäuschung halten viele Experten für problematisch. Sie prägt die Wahrnehmung und das gesellschaftliche Verhalten. Das Fazit von Professor Weiß vom Medienforschungsinstitut GöfaK: „Die Einschätzung der in einer Sendung gezeigten Handlung als echt (und nicht gespielt), fördert demnach die Tendenz, die Welt aus der Perspektive der Fernsehrealität wahrzunehmen und zu beurteilen“ (Quelle).

Auch die Süddeutsche widmet dem wuchernden Phänomen der Privatsender im Februar 2014 einen kritischen Artikel: Echt nicht wahr. Mit dem dieser Redaktion wieder gut gefallenden Etikett „Sozialporno“ gehen die Süddeutsche-Journalisten dem „schnell produzierten Trash“ auf den Grund: Laiendarsteller, krawallige Drehbücher, Wackelkameras, grobe Schnitte. Und das alles, um beim Zuschauer den Eindruck zu erwecken, das echte Leben zu dokumentieren.

 

Dilettantismus ist unverzichtbarer Bestandteil

Ein Ingredienz hat dabei für die Tierschutzszene und deren verkitschte Darstellung im Fernsehen, insbesondere bei VOX, ganz besondere Bedeutung: Dilettantismus! „In der Scripted Reality wird der Dilettantismus zum Beleg für Authentizität“, heißt es dazu im Süddeutsche-Artikel.

Erinnert sei in diesem Kontext an die erste Folge der neuen VOX-Tierschutz-Soap HH, die von DN aufgrund des Merkmals „hanebüchen“ nur satirisch behandelt werden konnte (vgl. Aua1299P).

 

Das Ansprechen niederer Instinkte beim Zuschauer

Bedient wird mit solchen Sendungen übelster Voyeurismus:

              

Für die Hamburger Medienwissenschaftlerin Joan Kristin Bleicher ist Scripted Reality die Fortführung einer historisch konstanten sozialen Funktion: Die Sendungen befriedigen ihr zufolge eine immer da gewesene Lust am Beobachten des Elends anderer: „Früher schaute man öffentliche Enthauptungen an, heute eben Dokusoaps“.(Süddeutsche.de: Echt nicht wahr)

              

Für Tierschutz-Doku-Soaps bietet sich da etwa das Elend der Auslandshunde als G-Punkt für das Aufgeilen am Tierleid an. Präsentiert werden für das hochkomplexe Problem ganz einfache „Lösungen“: ein großes Herz der herum dilettierenden Laiendarsteller, die Errichtung angeblicher Tierheime und die Deportation der Hunde nach Deutschland; sofern für die Errichtung dieser „Tierheime“ nach einem Tierschutzstandard des vorherigen Jahrhunderts genügend tätowierte Muskelmasse zur Verfügung steht.

Auch die komplexe Herausforderung der Animal-Hoarder-Haltung im Tierheim Viersen, wo zwei Frauen, eine davon chronisch krank, rund 100 Tiere versorgen müssen, wird mit simplen Lösungen und gleichzeitiger Werbung für spendende Unternehmen beantwortet: die Renovierung der Stallanlagen anstelle eines tragfähigen Konzepts für die Zukunft inklusive Bestandsabbau und fachmännischer Hilfe für die Verantwortlichen und ihr Unvermögen, auch einmal nein zu sagen, wenn Tiere in Not sind.

 

Bildzitat Screenshot der HP des TSV Viersen: Eigenartig, „scripted reality“, Nachlässigkeit, Schlamperei oder was auch immer: Auf der Webseite des Tierschutzvereins Viersen, Startseite, wird der spektakuläre Auftritt in der VOX-Sendung Harte Hunde – Ralf Seeger greift ein mit keinem einzigen Wort erwähnt. Hier wird auf eine „Helpedia-Spendenaktion“ Bezug genommen, doch von den Sponsoren der Sendung ist keine Rede! Auf dem Facebook-Account des Vereins kann man sich dann die niederschmetternde Wirkung der ausgestrahlten Sendung noch nachdrücklicher zu Gemüte führen: Der Sendehinweis wird sagenhafte 11 mal geteilt!

 

Was der Tierschutz gerade nicht braucht: das Klischee

Szene-Insider bestätigen das Offensichtliche:

              

Eine Sprecherin der Agentur Casting Concept, die Lennartz schon unzählige Male vermittelt hat, bestätigt das: „In Reality-Formaten werden Klischees bedient. Und so wird auch gecastet: Bildungsbürger sind Brillenträger, Schurken oft Ausländer und Arbeitslose sollen möglichst bequem aussehen.“ Die Botschaft eines so plakativ inszenierten Alltags ist fragwürdig – und der Anspruch, eine „Realitydoku“ zu sein längst nicht das einzige Problem
(ibid.)

              

Der „plakativ inszenierte Alltag“ etwa verharmlost Tierschutz zum Tummelplatz von Akteuren, die gemäß eigenem Bekenntnis massiven Resozialisierungsbedarf haben. Und so sehen sie auch aus!

Dass Tierschutz jedoch eine Tätigkeit für Profis ist, die zuvorderst viel Sachkunde erfordert zuzüglich weiterer, etwa auch kommunikativer und sozialinteraktiver Kompetenzen, das fällt beim Bedienen des gewählten Klischees komplett unter den Tisch.

 

Das Saulus-Paulus-Klischee

Das mit HH bediente Klischee etwa ist die Saulus-Paulus-Wandlung (Begriffsbestimmung hier und hier). Immer wieder zitiert die Sendung Ralf Seegers wilde Vergangenheit inklusive Gefängnisaufenthalt. Die Optik des Kampfsportlers (Größe, Gewicht, Tätowierungen) und seiner „Ziehsöhne“ tut ein Übriges. Jetzt geläutert und wenn schon nicht von Jesus, dann von VOX erfolgreich angesprochen, zieht er durch die Lande und wirkt Gutes! Den Tieren.

 

Die Paulus-Bekehrung!
Foto: Dieter Schütz / pixelio.de

 

Fernsehkritik.TV – der fernsehkritische Blog

Wie es hinter den Kulissen des Privatfernsehens insbesondere bei der Produktion von Scripted-Reality-Doku-Soaps wirklich zu- und hergeht, damit beschäftigt sich der Journalist und Satiriker Holger Kreymeier auf seinem Webblog Fernsehkritik.TV seit vielen Jahren. Ihm ist es zu danken, dass zum Beispiel die Verträge mit den Laiendarstellern öffentlich geworden sind (Beispiele hier und hier).

In den Tierschutz-Kontext ganz besonders gut passend ist dabei Kreymeiers inzwischen vor Gericht fortgeführte Auseinandersetzung mit der Sendung Die Super-Nanny. Eine prägnante visuelle Themeneinführung zum Streit zwischen der bekannten Pädagogin und Kreymeier finden Interessierte hier. Dabei spielt übrigens auch ein zu Tode gekommener Hund eine Rolle (hier)!

Folgende Parallele der Kreymeier-Analysen zu den VOX-Tierschutz-Doku-Soaps scheint dieser Redaktion dabei besonders auffallend: Die Fälle (Kinder in Not, Tiere in Not) als solche gibt es tatsächlich. Nur bei deren „Bearbeitung“ durch die jeweiligen „Experten“ kommt es dabei zu erheblichen Auffälligkeiten (vgl. dazu auch die Forumsdiskussion auf dem Kreymeier-Blog).

 

Anteil der SR bei <Harte Hunde> unbekannt

Auch wenn jeder klardenkende Zuschauer schon bei der Rumänien-Schmonzette von hkm dahinter gekommen sein müsste, dass die gezeigten Abläufe so nicht real sein können, bleibt unklar und unbeweisbar, wie hoch der Anteil von „scripted reality“ bei Sendungen wie hkm oder aktuell HH ist. Aber es gibt wenig Anhaltspunkte dafür zu vermuten, dass erhebliche Abweichungen zu Sendungen wie die Super-Nanny bestehen.

Klar bleibt zumindest für diese Redaktion deren fataler Schaden, wie er im nachstehenden Senf noch einmal zusammengefasst wird.

 

 

Doggennetz.de-Senf:

Nach Meinung dieser Redaktion wird Tierschutz als wichtige gesellschaftliche Aufgabe von Sendungen wie hkm oder HH in einer Art und Weise dargestellt, die ihm massiv schadet. Bei HH ist Tierschutz nichts anderes als eine eigentherapeutische Beschäftigung für „harte Hunde“ mit selbst bekanntem Resozialisierungsbedarf. Jeder Saulus ist herzlich eingeladen, die Wandlung zum Paulus wenigstens zu versuchen! Kollateralschäden inklusive. Dabei quillt Tierschutz jetzt schon über von Psychopathen und anderen kranken Seelen.

Tierschutz als mühsames Tagesgeschäft kleinschrittiger Bemühungen zu eventuell zunächst unspektakulären Veränderungen findet nicht statt. Statt diszipliniert erworbener Sachkunde bedarf es einfach nur eines ausreichend großen Herzens, um für Tiere segensreich zu wirken. Vom Hirn ist wieder einmal nicht die Rede!

Sachspender-Akquise etwa ist überhaupt kein Problem. Die Tatsache, dass Baufirmen und andere Spender, die ihren Auftritt bei HH feiern, dafür mit Werbung durch ihren namentlichen Auftritt im Fernsehen belohnt werden, was im „Normalfall“ eben nicht der Fall ist, wird vom Zuschauer vermutlich nicht mehr wahrgenommen.

Aktionismus ersetzt Konzepte. Das beste Beispiel dafür war Folge 1 im Tierheim Viersen. Das hat in der Tat ein fettes Problem, nämlich einen viel zu hohen Bestand im Abgleich mit dem bestehenden Betreuungsschlüssel. Dort wirken die klassischen Animal-Hoarder-Mechanismen. Mehr Licht im Pferdestall und die von den „harten Hunden“ mannhaft und tatkräftig geschaffene Möglichkeit für die Equiden, sich durch Fenster zu beschnuppern, verbessern das Los der Tiere nur vordergründig, lösen aber nicht das offensichtliche Problem dieses Vereins.

Ebenso war es bei der wieder und wieder ausgestrahlten Schmonzette zum „Tierheimbau“ Casa Cainelui in rumänischen Timisoara (siehe Artikelliste). Die DN-Redaktion wiederholt die Argumente zu diesem kaum überzeugenden Projekt nicht.

Welche enorme Belastung, um einen bewussten Euphemismus zu bemühen, bestimmte Dreharbeiten gerade auch mit verhaltensgestörten oder gehandicapten Tieren bei hkm bedeuten, hat die DN-Satire Doggenrüde Samir: <hundkatzemaus> dokumentiert die unendliche Harmonisierung des Tierversuchs (Aua119) herausgearbeitet.

Wenn sich noch dazu klar auflisten lässt, welche miesen Klischees diese Sendungen bedienen, ist das Staunen darüber gerechtfertigt, wie tief die mitwirkenden Laiendarsteller ihre Persönlichkeitsrechte verletzen zu lassen bereit sind, wenn sie dafür bloß im Fernsehen auftreten dürfen. Die Behauptungen eines früheren Gefängnisaufenthalts Seegers und Resozialisierungsbedarf seiner Gefährten von der DN-Redaktion erhoben, hätte zweifelsohne eine sofortige einstweilige Verfügung nach sich gezogen.

Manche Menschen tun eben alles, um ins Fernsehen zu kommen: sogar Tierschutz!

Für diese Redaktion offensichtlich: VOX geht es selbstverständlich nicht um den Tierschutz! Es geht wie immer bei den Privaten ausschließlich um Quote! Wenn angebliche Tierschützer sich vor diesen Karren spannen und damit auch noch zum Werbeträger von Mars Petcare machen lassen, dürfen sie sich nicht wundern, wenn sie in ihrem moralischen Anspruch nicht mehr ernst genommen werden.

Medienpädagogen, Wissenschaftler und andere Experten attestieren den Scripted-Reality-Sendungen eine fatale gesellschaftliche Wirkung.

Der Tierschutz mit seinem prekären Status quo kann sich diese Wirkung am allerwenigsten leisten!

 

 

DN-Artikel zu dem angeblichen Tierschutzprojekt Casa Cainelui in Timisoara

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Parallel zu dem „Tierschutzprojekt“ Casa Cainelui lief in unmittelbarer Nähe dieser unerhörte Tierquälerei ab: Aua903.

 

Weitere Artikel und Satiren zu Ralf Seeger:

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