Aua1401: Ein Gastbeitrag von Nina Taphorn zu Rumänien und der Umetikettierungsmeldung von VIER PFOTEN: Es waren die Bösen, nicht die Guten!

 

{TS-Kritik}

[08.09.2014]

 

Der Tierschutz-Aufreger der letzten Woche: Die Tierschutzorganisation VIER PFOTEN kommt mit der vorgeblich sensationellen Mitteilung raus, dass für den Tod des rumänischen Jungen Ionut Anghel nicht etwa die guten Straßen-, sondern zur Exkulpation tierschützerischen Engagements böse Wachhunde oder eventuell noch umetikettierte Straßenhunde verantwortlich sein sollen. Damit entfiele dann die stimmungsmachende Grundlage für das im Herbst 2013 hurtig verabschiedete Gesetz in Rumänien, welches anschließend die Massentötungen von Streunern erlaubte.

Die DN-Redaktion hatte die Meldung in den <Tageslinks 2014> (TL116/14) aufgegriffen sowie satirisch in Aua1395 verarbeitet.

 

Im Moment sowieso aktuell: das schlichte Gut & Böse!

Alle auf diese Meldung von VIER PFOTEN freigesetzten Mechanismen wurzeln tief in Tierschützers schlichtem Weltbild von Gut und Böse.

Diese brandgefährliche Simplifizierung funktioniert auch außerhalb des Exotenbiotops Tierschutz offensichtlich immer noch und auch 2014. Das zeigt das politische Weltgeschehen mit Bezug auf die Ukraine und die Berichterstattung darüber in den Mainstream-Medien. DN-Leser mit Ambitionen „out oft the box“ seien dazu folgende Beiträge empfohlen: hier, hier und hier.

Einen spielentscheidenden Aspekt der Rumänien-VIER-PFOTEN-Chose hatte die DN-Redaktion dabei übersehen. Für solche Fälle gibt es glücklicherweise DN-Leser wie Nina Taphorn, welche diese gefährlich dunklen Ecken ins Licht stellen.

Die DN-Redaktion dankt für diese wichtige Korrektur!

 

              

Es waren die Bösen, nicht die Guten

von Nina Taphorn

 

Dieser Tage veröffentlicht die Tierschutzorganisation Vier Pfoten e.V. die Meldung, an der tödlichen Beißattacke auf den kleinen rumänischen Jungen Ionut vor einem Jahr, die als Auslöser für ein schnell durchgebrachtes Gesetz zur Tötung von Straßenhunden benutzt wurde, waren gar keine Streuner beteiligt. Es waren Wachhunde einer Firma, deren Mitarbeiter jetzt von der Justiz für diese Beißattacke zur Rechenschaft gezogen werden. Als Beweis für die Unschuld der Streuner führt Vier Pfoten ein offizielles Dokument an, nämlich die Anklageschrift gegen diese Firma.

 

Scharf bewachtes Grundstück mit Loch im Zaun und Wachhunden, die eingefangen werden müssen

Eine Firma hält also Wachhunde innerhalb eines löchrigen Zauns, durch den Kinder wie Ionut und damit auch Hunde beliebig kriechen können. Das allein ist nicht nur gefährlich, sondern im Sinne von Grundstücksbewachung sehr merkwürdig. Es ist von Hunden die Rede, die auf dem Grundstück „eingefangen wurden“. Seit wann muss man Wachhunde einfangen?

Sehr aussagekräftig:

„“Ungeachtet dessen, dass ein Teil der Hunde, die auf dem Grundstück bei der Tuzla-Strasse Nr. 50 eingefangen wurden, seit 2009 im offiziellen Register des Veterinärzentrums der Stadtverwaltung Sektor 2 erfasst sowie kastriert, mit einer Ohrmarke versehen und gechipt waren, waren diese Hunde seit September 2013 keine Streunerhunde. Der Besitzer der Hunde war die Angeklagte S.C. TEI REZIDENŢIAL S.R.L. BUCUREŞTI.““ (Zitat aus der Anklageschrift, wie sie von Vier Pfoten zitiert wird)

Offenbar handelt es sich bei den eingefangenen Hunden um einstmals eingesammelte Streuner, die von Tierschützern kastriert, gechipt, gemarkt und wieder freigelassen wurden, und zwar schon 2009! Auffällig, dass diese dann ausgerechnet seit September 2013, also zum Zeitpunkt der Tötung des Kindes und sage und schreibe vier Jahre nach der Behandlung im Jahr 2009 urplötzlich nicht mehr als Streunerhunde gelten.

Für mich stellt sich aufgrund der Zitate aus der Anklageschrift der Sachverhalt anders dar. Ich frage mich, wie diese Streuner plötzlich zu Hunden mit einem Besitzer wurden. Daher vermute ich, dass sich Streuner mit oder ohne Ohrmarke das nämliche Grundstück, das zum Tatort wurde, als Revier ausgesucht und dort gelebt haben. Möglicherweise wurde das von Mitarbeitern der Firma, der das Grundstück gehört, gar nicht so schnell bemerkt, vielleicht aber auch geduldet und sogar als vorteilhaft wahrgenommen, weil die Streuner ihr Revier verteidigten. Vielleicht wurde sogar Futter an die Streuner verteilt, um die Ortstreue zu fördern. So wurde die Firma nolens volens zum Hundebesitzer und sitzt nunmehr auf der Anklagebank.

Es ist auch möglich, dass sich die Hunde, die einfangen wurden, gar nicht selber eingenistet haben, sondern auf irgendeinem Weg in die Hände der Mitarbeiter dieser Firma gelangt sind, die die Hunde dann zwecks Bewachung auf dem Grundstück leben ließen. All das ist möglich und wird in der Anklageschrift, so weit sie von Vier Pfoten zitiert wird, nicht weiter aufgeklärt, denn Vier Pfoten ist nur an dem Zitat waren diese Hunde seit September 2013 keine Streunerhunde interessiert.

              

 

Seit wir eine Ringelnatter auf unserer Terrasse entdeckt haben, hat unsere Katze mit den Mäusegedärmen auf den Gehwegplatten gar nichts mehr zu tun!
Foto: Nina Taphorn

 

              

Gefahr verkannt, Chancen verbrannt

Insgesamt wird in diesem Zusammenhang mal wieder übersehen, dass es in Rumänien problematisch sein kann, sich innerhalb von Straßenhundpopulationen zu bewegen. Tierschützer, die das vehement bestreiten, können vielleicht ihr Kind durch ein Loch im Zaun auf ein Grundstück schieben, das von einer Hundemeute annektiert wurde oder selbst an Stadträndern joggen, wo jeder Müllcontainer im Besitz von Canis lupus suburbensis ist.

Außerdem wirft der Fall des kleinen Ionut nicht nur Fragen im Umgang mit Straßenhunden auf. Es passiert auch bei uns, dass Hunde, besonders zu mehreren, ihr Revier verteidigen, Kinder mit Beute verwechseln oder verletzen. Aber wenn man Hunde nur konsumiert, ist es ja wurscht, dass der Hund auch ein Interieur hat.

 

Und jetzt verknacken wir die Wachhunde

Welches Etikett ein Hund trägt, ist unwichtig. Diese Anklageschrift sagt nichts über die Gefahr aus, die von Streunern ausgeht. Was in der Anklageschrift steht, ist keine kynologische Spezifizierung, sondern eine Zuordnung im juristischen Sinn. Die Einteilung in Streuner oder Hunde mit Besitzer ist für diese Anklageschrift wichtig, damit man überhaupt anklagen kann. Richtig ist, dass diese Firma auf der Anklagebank sitzt, wenn sie sich nicht um die Einnistung der Streuner auf ihrem Grundstück kümmerte oder sogar die Territorialität dieser Hunde für Bewachungszwecke ausnutzen wollte, ohne für eine sichere Einfriedung des Grundstücks zu sorgen.

 

Mit Propaganda gegen Propaganda

„Siehste, wir haben es ja gesagt, die Streuner sind unschuldig“, freuen sich die Tierschützer. Kein Gedanke wird daran verschwendet, was mit den kastrierten und wieder ausgesetzen Streunern geschieht, dass sie Jahre nach der Kastration und Kennzeichnung ohne tierschützerische Zielsetzung plötzlich Besitzer haben, die sich in diesem Fall leider auf der Anklagebank wiederfinden und dass diese Hunde in Beißvorfälle verwickelt sein können. Gefreut hätte mich, wenn es überhaupt kein Hund gewesen wäre.

Haben wir jetzt wieder diese Einteilung in gute und schlechte Hunde, hier in der Ausprägung böse Wachhunde gegen gute Streuner, dort in der Ausprägung böse Kampfhunde gegen gute Familienhunde, usw.?

Danke, Tierschützer!

              

 

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Nina Taphorn hat dieses Buch über Auslandshunde geschrieben!