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Aua132: Gastbeitrag Nina Taphorn: Quo vadis, canis lupus familiaris?

{Dogge/Hund pur}

 

Eine neue Zeit wäre stark untertrieben. Was wir gerade erleben, ohne es wirklich zu merken, ist der Aufbruch in eine neue Ära! Ja, ein neues Zeitalter, eine neue Epoche, meinetwegen auch eine neue Weltzeit, ist für uns und unsere Hunde angebrochen.

Nein, ich meine nicht die willkürliche Wiederbelebung dummdreister Kampfhundeverordnungen in regelmäßigen Abständen zwecks Drangsalierung aller Hundebesitzer mittels Sippenhaft.

Auch nicht die skandalöse Entwicklung, dass Hunde für manche Menschen Konsumartikel sind, die man beim Hundehändler ersteht, um drei Monate später bitterlich klagend „Betrug!“ zu schreien, weil der Welpe schwer krank, verhaltensgestört oder bereits tot ist und das Leid der stark traumatisierten Kinder sowie der leere Geldbeutel des Hundekäufers durch einen Blick in geeignetes, seit Jahrzehnten vorliegendes Informationsmaterial vor dem Hundekauf zu vermeiden gewesen wären.

Das neue Straßenbild aus Podencos, Maremmahunden, Galgos und Kangals, pur und gemixt, lässt uns hier ebenfalls kalt. Multikulti sozusagen, anstatt Dackel und Schäferhund, die reinste canine Globalisierung.

Und wenn Hunde schneller Krebstherapien und künstliche Hüftgelenke bekommen als mancher Mensch, der über den Streit mit seiner Krankenkasse verstirbt, so ist das auch nur einer der vielen Auswüchse, die die komplette Orientierungslosigkeit im Umgang mit dem Hund aufzeigen. Mal Straßenköter, mal gepamperter Kindersatz, mal Versuchstier.

Dies alles sind die Symptome einer neuen Zeit, die noch nicht als solche erkannt wurde, der Zeit des Hundes als

vollwertiger Sozialpartner des Menschen. 

Dabei ist es völlig egal, wie der Mensch auf den Hund kam, oder umgekehrt. Für den Umgang mit dem Hund hier und heute ist es unerheblich, ob einst mitleidige Steinzeitdamen verwaiste Wolfswelpen mit an die Brust nahmen, oder ob der Wolf als Beschützer und Jagdgefährte seinen Lohn als Resteverwerter der Fleischmahlzeiten des Menschen erarbeitete, und sogar, ob der Hund überhaupt vom Wolf abstammt. Hund ist Hund, und vom Chihuahua bis zum Irish Wolfshund habe alle gemeinsam, dass sie sozial leben, fleischlastige Omnivoren sind und eine Lebenserwartung von rund 15 Jahren haben (sollten).

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Was mich immer aufregt, sind die Reaktionen, wenn die Medien mal wieder einen Beißvorfall ausschlachten. Am wirkungsvollsten ist, wenn das Opfer ein Kind und der Hund ein „Kampfhund“ oder zumindest etwas Ähnliches mit Bull-Vorfahren ist. Ist kein Beißvorfall greifbar, wird eine andere Sau durchs Dorf gejagt, beispielsweise Anwohnerbeschwerden über mit Hundekot verschmutze Gehwege o. ä. Prompt kommt die Gegenreaktion der Hundeliebhaber, die auf die Nützlichkeit des Hundes in der menschlichen Gesellschaft abhebt. Such- und Wachhunde, Blindenführ- und Behindertenassistenz-Hunde usw. Diese dienstbaren Geister darf man unmöglich verurteilen. Spontan möchte ich dann den Hundezüchter oder die Tierschutzvereinsvorsitzende, oder wer auch immer so blöde Leserbriefe an die Zeitungsredaktionen schreibt, auffordern, dergleichen Vorträge doch den Eltern und Geschwistern des betroffenen Kindes zu halten.

An diesem Beispiel kann man wunderbar sehen,  zu welchen Gedankenmodellen wir Hundebesitzer uns regelmäßig versteigen, weil wir es irgendwie immer noch nicht verstanden haben. Der eine hält seinen Hund so, dass er Gehwege zukackt oder sogar ein Kind zu Schaden kommt, wobei hier schlechte Erziehung oder gar „Scharfmachen“ ebenso in Frage kommen wie mangelndes Wissen über Hundeverhalten und mangelnde Aufsicht. Jedenfalls hat ein Hundehalter seinen Job schlecht gemacht. Die andere Fraktion reduziert den Hund auf die Nützlichkeit eines Geräts. Wachhund als Alarmanlage, Suchhund als Detektor für bestimmte Stoffe (die gerätlichen Entsprechungen wären etwa Geigerzähler und Metalldetektor), Personensuchhunde statt Hubschrauber mit Wärmebildkameras.

 

Um Hundehaltung zu rechtfertigen,

ist es nutzlos, den Fokus in die Vergangenheit zu richten, als Hunde wirklich noch als Nutztiere gebraucht wurden. Solche Dinge kann man als Hobby weiter betreiben, aber wirklich benötigen tun wir die berufstätigen, die Jagd- und Hütehunde etc., doch nicht mehr. Ich persönlich liebe Ausritte mit Hunden und fühle mich dabei gleich wie der Kleine Lord, der seine Ländereien inspiziert. In Wirklichkeit sind sowohl Hund als auch Pferd Anachronismen!

Einen Hund zum Feind zu stilisieren ist ebenso ewig gestrig. Wir leben nicht mehr in Höhlen und müssen uns vor den Raubtieren der Nacht schützen!

Der Hund hat es über die Jahrtausende gut mit uns ausgehalten und macht sogar das Leben in der Großstadt mit. Er ist durchaus imstande, auf Jagdausflüge oder den jährlichen Nachwuchs, Rudelleben und sein allmorgendliches Eintauchen in Eau de Gülle zu verzichten. Dafür gibt es dann das, was den Menschen gefällt, und auch hier streiken die wenigsten Hunde. Das unangenehme Scheren und Trimmen z. B. überstehen die meisten Pudel und Foxterrier ganz lässig. Sogar die Überdrehtheit mancher Damen, ihre Hunde miteinander zu verheiraten oder ähnlicher Unfug, hat bisher weder zu raschen Mutationssprüngen mit bereits beim Welpen in der Gebärmutter angelegtem Erbgut für Eheringe auf den Vorderkrallen, noch zu handfesten Beißattacken auf die Besitzerinnen von Mopsdamen geführt, die ihren Lieblingen gerade das Brautkleid überstreifen wollten. Wer meint, er sei zu klein, kauft seinem Bulldog ein mit Nägeln und Nieten bespicktes Halsband und fühlt sich gleich besser. Dem Hund ist das piepe. Sogar seltsames Verhalten von Zweibeinern wird von 99 Prozent der Hunde toleriert. Man kann seinen Hund in eine mittelmäßige Hundeschule schleppen und ihm das Sitzen und Platzen, -pardon!-Liegen beibringen, obwohl der Hund das eigentlich schon von Geburt an kann. Man kann sein Leben lang gewollt dominant vor dem Hund durch die Tür gehen und so für ihn Portier spielen. Was sagt der Hund? -Na, und?-

Der Hund ist perfekt, warum wir nicht? Immer wieder stehen wir staunend vor dem Phänomen, dass der Hund eine einzigartige Karriere hingelegt hat. Kein Bär und kein Beuteltier, weder paarzehige noch unpaarzehige Huftiere, ja, nicht ein mal Menschenaffen sind uns so nah wie Hunde. Sie leben mit im Haus, wir haben das Bedürfnis, mit unserem Hund zu kommunizieren, uns mitzuteilen und auch umgekehrt seine Signale zu empfangen. Wer es so haben mag, nimmt den Hund sogar ins Bett.  Wer seinen Hund liebt, nimmt ihn bei Umzug und Urlaub mit und gewöhnt ihn an die neue Situation, auch wenn zweibeiniger Nachwuchs kommt. So mancher behält den Hund lieber als den menschlichen Partner. Der Hund macht das alles mit und ihm ist egal, ob wir zahnlos oder unterbelichtet sind, wir werden von ihm nicht abgewertet, denn er ist ein höchst anpassungsfähiges und soziales Wesen. 

Ich finde, es ist höchste Zeit, anzuerkennen, dass wir in einem Zeitalter, einer Ära, Epoche, Weltzeit leben, in der wir den Hund in unsere Zivilisation mitgenommen haben.

Richten wir den Blick also nach vorne. Wir haben Hunde als Sozialpartner und sollten das auch anerkennen, anstatt eine angenommene andere Nützlichkeit vorzuschützen. Ein paar Bedürfnisse müssen wir dem Hund aber schon erfüllen und dabei anerkennen, dass der Hund das teure Spezialfutter mit der wissenschaftlich daher kommenden Werbestrategie womöglich ebenso wenig zu schätzen weiß, wie die Ehefrau den Blumenstrauß nach dem Seitensprung des Ehegatten. Ein mit Klunkern am Halsband ausgestatteter Hund hingegen, der Gambas frühstückt, erregt nur dann mein Mitleid, wenn man ihm die Erfüllung seiner wahren Bedürfnisse wie Licht, Luft, Natur und Sozialkontakt vorenthält. 

Den letzten Ausschlag für eine Hundeanschaffung gibt immer das Herz und nicht der Verstand.

Deshalb ist es auch immer so furchtbar wirkungslos, den Menschen, deren Herz einen Hund möchte, mit Vernunft zu kommen. Wir kennen seit Jahren die Checklisten für Hundeanschaffung, wo man mindestens 9 x A ankreuzen muss, sonst sollte man sich keinen Hund holen (Wo bleibt der Hund im Urlaub? Wer geht täglich mit ihm raus? …) Über Qualzuchten sind wir theoretisch seit Jahrzehnten aufgeklärt, nämlich spätestens seit Heiko Gebhardts Buch „Du armer Hund“. Was hat sich geändert? Nix. Es ist uns immer noch egal, ob Hunde laufen oder atmen können, ob sie Hautprobleme haben oder jung sterben. Wäre es den Konsumenten nicht egal, müssten auch Züchter umdenken. Müssen sie aber nicht! Und noch eine ebenso uralte wie vernünftige Checkliste hilft uns, eine seriöse Zuchtstätte für den Welpenkauf zu finden (Wird mehr als eine Rasse gezüchtet? Können Sie die Mutterhündin sehen?….) Auch hier wäre mindestens 7 x A gut, damit man keinen Hinterhof-Vermehrer sponsert, der kranke Welpen verscherbelt. Und sie halten sich doch hartnäckig, die Vermehrer und Elendsimporteure, weil beim Thema Hund leider sehr häufig Herz und Hirn im Entweder-oder-Modus laufen.

Ich bin lieber mit meinem Hund zusammen als allein. Ich fahre auch lieber mit meinem Wauwau Auto als allein usw., und das alles, obwohl meine Hündin nichts „nützt“. Aber natürlich nützt sie etwas! Ihr Job ist es, Sozialpartnerin zu sein. Ich finde das modern und praktisch, denn ich brauche dem Hund keine Ersatzbefriedigung zu suchen, damit ich sagen kann, der Hund kann dies und nützt das oder passt auf mich auf und deshalb ist es okay, wenn ich einen Hund halte.

Und überhaupt, mein Hund hat einen sehr anspruchsvollen Job: Mein Hund!

Bild oben: Nina Taphorn: Doggenrüde <Oskar> am Deich. [Vermittlung durch Doggennetz! – mit Auflage, dass Hund i. d. R. nicht mehr als vier Stunden täglich allein sein darf!!!]

Nina Taphorn ist Autorin des Buches Von der Straße auf die Couch: Streuner aus dem Süden als Familienhunde.