Aua1188P: Gastbeitrag von Nina Taphorn zum Lynchmob-Aua1187: Wer Monster jagt, gibt die Zivilisation preis

 

{TS-Kritik}

 

Die ausufernde Bereitschaft zu vieler Tierfreunde und angeblicher Tierschützer, schon beim ersten unbewiesenen Verdacht der Tierquälerei (oder das, was manche dafür halten) zur Lynchjustiz gegen Franz und Lotte aufzurufen und anzustacheln, macht denen Sorge, die das Ganze noch im Auge behalten. Diese Sorge artikuliert sich auch zunehmend in den Medien (aktuell: Aua1187; sehr spektakulär in SPIEGEL-TV-Magazin Aua1108 und Aua1109 mit besonderer Würdigung von Maja Prinzessin von Hohenzollern).

Die auf diesem Blog hoch geschätzte Gast-Autorin Nina Taphorn wagt eine weitreichende Innenschau der Lnychmob-Motive, die auch jene Systemmängel nicht verschweigt, welche diesem Zivilisationsverlust Vorschub leisten.

DN dankt Nina Taphorn für die Erlaubnis, diesen Text veröffentlichen zu dürfen:

 

Wer Monster jagt und dabei zivilisiertes

Verhalten aufgibt, läuft Gefahr,

selber zum Monster zu werden

 

von Nina Taphorn

 

Diese Weisheit ist nicht neu, aber jeder neue Lynchaufruf von vermeintlich aufrechten, empörten Bürgern zeigt, wie wahr sie ist. Mit den aufrecht Empörten Argumente auszutauschen ist schwierig, denn eigentlich sollten sich alle Lynchaufrufe spätestens seit dem schrecklichen Mord an einem Mädchen in einem Parkhaus in Norddeutschland erledigt haben, denn hier wäre glatt der Falsche gelyncht worden, wie sich später herausstellte.

Trotzdem kommt nicht an, dass Lynchjustiz kein Mittel ist.

 

Retro-Style: Sündenbock und Pranger haben wieder Konjunktur

Es ist die reinigende Kraft des Sündenbockrituals, die die aufrechte Gemeinschaft zusammenhält und stärkt. Und noch viel mehr. Man kann mal wieder die Sau rauslassen. Keiner der aufrecht Empörten, von denen in Deutschland die Mehrheit christlich getauft sein dürfte, hält sich an christliche Ethik und Glauben oder auch nur an die Anstandsregeln, vor der eigenen Tür zu kehren oder die Gewaltenteilung im Staat zu akzeptieren. „Wer von Euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein!“ Nein, der Lynchmob möchte nicht an die eigene Fehlbarkeit erinnert werden. Hier ist einer, der taugt zum Sündenbock. Ein echtes, widerliches Ekel, der Begeher einer abscheulichen Tat. Der kann die Sünden aller anderen gleich mit auf sich laden.

 

Bordell ist nicht gleich Bordell

Immerhin haben schon viele Menschen erkannt, wie sehr es die Menschheit beschämt, wenn Leute im Interesse von Tieren zum Lynchmob werden, aber einen Mangel an Mitgefühl erkennen lassen, wenn es um grausamste Gewalt gegen Menschen geht! Es muss kein Gleichgewicht des Schreckens in Gestalt von gleichmäßigen Mordaufrufen für alle Gewalttaten ab einem gewissen Grausamkeitsgrad geben. Aber es fällt auf, dass halbwegs spontane Zusammenrottungen sehr wohl vor angeblichen Tierbordellen möglich sind, aber vor Menschen verachtenden „Flat-Rate-Bordellen“ mit Zwangsprostituierten nicht.

Manchmal schlagen allerdings die Wellen bei Kinderschändern und -mördern hoch, wie im Fall des Parkhausmordes. Ob das aber aus Mitgefühl mit dem Opfer oder einem Streben nach Recht und Gesetz passiee, darf bezweifelt werden.

Der Lynchaufrufer im Mordfall Parkhaus wurde gefasst und fand sich in der Rolle des Sünders wieder. Heldentum als einsamer Rächer, ade!

 

Und doch!

Ist da nicht dieses Unbehagen, dass ein Tierquäler, Töter, Sadist, was immer, mit seinen Taten ganz und gar davonkommt oder milde bestraft wird? Glauben viele Menschen denn nicht berechtigt, dass das Urteil „Im Namen des Volkes“ auf keinen Fall in ihrem Namen ergehen wird? Hat man nicht das ungute Gefühl, Richter, Staatsanwalt oder ermittelnde Polizeibeamte könnten allesamt begeisterte Waidmänner sein?

Und darüber hinaus: Wurde denn nicht schon öfter beklagt, dass es in Deutschland eine Täterjustiz gibt, die nicht nur Angeklagten, sondern auch rechtskräftig verurteilten Gewaltverbrechern Rechte auf Menschenwürde, geregelten Feierabend, Therapie, Selbstverwirklichung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft garantiert, während Opfer, Zeugen und deren Familien durch die Hölle gehen und sich ihre Therapien und was sie sonst noch benötigen, selber organisieren und bezahlen müssen?

Haben wir nicht schon oft erfahren, dass Geld stehlen in Deutschland schlimmer sein kann als morden? Wie soll man es denn deuten, wenn in der Fernsehsendung<XY-ungelöst> für die Aufklärung von Banküberfällen regelmäßig höhere Belohnungen ausgelobt werden als für die Aufklärung von Morden? Auch wenn damit keine Wertung verbunden sein soll, ist das trotzdem eine.

Gewalttäter oder Sicherheitsverwahrte, die wegen versäumter Fristen freigelassen werden müssen, sind keine Bedingung für Demokratie, sondern eine Schlamperei des Systems. Es kann bis zu einem Prozess ewig dauern, da ist unsere Justiz leider wenig leistungsfähig, da überlastet. Das trägt nicht gerade zum Vertrauen in den Staatsapparat bei.

Das Interesse und die Möglichkeit zur Aufklärung lassen mit der Zeit überall nach, nur nicht bei den Opfern, die das Desinteresse und die gepflegte Langsamkeit erdulden müssen, während andernorts Staatsanwälte schwer in Wallung kommen und Steuergelder en masse verpulvern, um in Sachen Ex-Bundespräsident eine Hotelrechnung über gut 700 Euro mikrobiologisch zu sezieren.

 

„Im Namen des Volkes“

Die Härte einer Strafe wird vielleicht von jedem individuell empfunden, als zu hart, zu weich, gerecht, usw. Tatsächlich kann aber die Justiz auch das Rechtsempfinden auf den Kopf stellen. Wie oft kann man in der Zeitung lesen, dass ein in erster Instanz verurteilter Straftäter in Berufung geht, weil er seine Unschuld beweisen will. Das höhere Gericht schafft es aber, dem Straftäter dies auszureden und bewegt ihn sogar zu einem Geständnis, was zur Folge hat, dass die in der Vorinstanz auferlegte Strafe abgemildert wird. Das soll nun mein Rechtsempfinden abbilden? Der leugnende Täter hat durch die Berufung und ein verspätetes Geständnis nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen, und das tut er auch. Sein Opfer muss diese Schur mit abschließender Belohnung des Täters („Danke, lieber Täter, das vergewaltigte Kind muss nicht noch einmal vor der Berufungsinstanz aussagen!“) im Namen der Rechtsfindung ertragen. Wäre es nicht viel besser, es wie im Fernsehkrimi zumachen? „Sie haben das Recht, zu schweigen. Wenn Sie jetzt etwas verschweigen, was Sie vor Gericht für sich verwenden wollen, so gereicht Ihnen das zum Nachteil!“

 

Wenn das System versagt

Der Prozess um den Polizeipräsidenten Daschner, der nach der Entführung des kleinen Bankierssohnes Jacob von Metzler dem Täter (damals noch mutmaßlicher, so viel Zeit muss sein) mit einem empfindlichen Übel drohte, um den Aufenthaltsort des Entführungsopfers zu erfahren, hat es ans Tageslicht gebracht. Die Entscheidung Daschners, einem (mutmaßlichen) Kindesentführer zu drohen, um das Kind vielleicht noch zu retten, bleibt seine individuelle Abwägung und ist nicht von rechtsstaatlichem Instrumentarium abgedeckt.

Was das System nicht leistet, kann ein Einzelner tun, er muss aber strafrechtliche Konsequenzen fürchten,das ist die Quintessenz aus dem Urteil gegen Daschner. Selten sind die Schwächen unseres Rechtsstaates so deutlich hervorgetreten. Und irgendwie wissen wir doch alle, dass die juristische Betrachtung die Lebenswirklichkeit oft meilenweit verfehlt.

 

Muss das die Demokratie aushalten?

Ich bin weder für Lynchjustiz noch für eine Abschaffung des demokratischen Rechtsstaates. Doch Erklärungen, was Demokratie alles aushalten muss, greifen zu kurz. Die Demokratie ist eine wertvolle Errungenschaft, aber sie ist kein lebendes Wesen, das etwas auszuhalten hätte. Es muss gefragt werden dürfen, ob es wirklich der Abschaffung der Demokratie bedarf, einen Rechtsstaat zu schaffen, der Opfer besser behandelt als Täter. Überall, wo es einen Tatbestand gibt, gibt es auch einen Missbrauchstatbestand. Wir brauchen die Demokratie, die Menschenrechte, die Gewaltenteilung. Aber das System muss akzeptabel, wirksam und menschlich sein. Missbraucher und Heuschrecken demokratischer Paradieszustände braucht kein Mensch.  

Züchtet der Rechtsstaat nicht seine eigene kleine Bakterienkultur von Rächern und Lynchjustizlern, die berühmt-berüchtigte Parallelgesellschaft? Oder ist er gar selber eine?

Solange dieses Unbehagen grassiert, dass in Deutschland Täter gegenüber Opfern bevorzugt werden, werden auch Vertreter des Rechtsstaates, z. B. Polizisten, ihren vergewaltigten Töchtern von einer Anzeige abraten, werden Hundebesitzer um sich ballernde Jäger wegen akuter Zwecklosigkeit dieses Unterfangens nicht anzeigen, wird weiterhin von Zivilcourage als nationaler Tugend abgesehen, weil prügelnde Gewalttäter das beherzte Eingreifen von Passanten ohne einen Kratzer überstehen müssen, sonst ist der zivil Couragierte im Überlebensfall wegen Körperverletzung dran oder muss sich gar ein eigenes Verschulden am eigenen Ableben durch die Gegengewalt des Aggressors anrechnen lassen. Es ist wohl niemandem zu vermitteln, wenn gleichzeitig die Justiz in einem Fall auf Notwehr erkennt, wo einem jugendlichen Einbrecher tödlich in den Rücken geschossen wurde. Auch könnte man schon wieder argwöhnen, dass die Verteidigung von Besitztümern zu härteren Maßnahmen berechtigt als die Rettung von willkürlichen Opfern krimineller Schläger.

 

Pflege des Rechts statt Verwaltung des Rechtsstaates

Demokratie und Rechtstaat müssen für alle da sein und funktionieren. Als erste Maßnahme könnte man die Verschwendung von Steuergeldern stoppen, indem die für die Verschwendung Verantwortlichen zukünftig genauso individuell verantwortlich gemacht werden wie Herr Daschner. Der Bund der Steuerzahler macht hier ohne staatlichen Auftrag glänzende Vorarbeit. Es würden zusätzliche Milliarden frei für eine schnellere, effektivere, weniger elitäre Legislative und Judikative. Das wäre ein Anfang! Und die paar Rächergestalten, die dann noch irgendwo herumkrauchen, die kann eine Demokratie nun wirklich aushalten.

 

      

 

Weitere Gastbeiträge von Nina Taphorn auf diesem Blog:

Aua41 / Aua132 / Aua284 / Aua498 / Aua911 / Aua1099P /

Darüber hinaus hat sich Nina Taphorn mit ihrem kritisch-informativen Buch über Südhunde einen Namen gemacht: