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Aua889: Rüsselheim e. V. Schweineleichenticker (16): Ein erregter Ökobauer und eine beruhigende tierärztliche Auskunft

 

{TS-Kritik}

 

Der Schweinekrimi rund um den Verein Rüsselheim e. V., Doris Rauh, geht weiter. Die 128 Schweine waren vergangenen Freitag unter medialer Begleitung (MDR-Fernsehbericht) aus der illegalen Haltung in einer Maschinenhalle in Stapen (Sachsen-Anhalt) abgefahren worden (vgl. Aua883). Stark irritierend für Tierfreunde und Spender war die Tatsache, dass der neue Aufenthaltsort der Schweine streng geheim gehalten wurde. Es gab weder aktuelle Bilder noch Befindlichkeitsberichte von den „geretteten“ Schweinen, für die seit Monaten im Internet und in den Medien Spenden eingeworben werden.

Doggennetz.de ist es gelungen, den aktuellen Aufenthaltsort der Schweine zu recherchieren (vgl. Aua888). Mehr noch: Dieser Redaktion liegt der am 17. Januar 2013 unterzeichnete „Tierüberlassungsvertrag“ zwischen dem Verein Rüsselheim e. V. und dem die Schweine betreuenden „Ökobauern“ in Treuenbrietzen (Brandenburg) vor. Auch ist es dieser Redaktion gelungen, mit dem jetzt betreuenden Tierarzt Dr. G. aus Luckenwalde zu sprechen, der den Bestand gestern in der Obhut des Ökobauern Holger L. besichtigt hat.

 

Vertragliche Haltungsbedingungen für 130 Schweine

Damit der Begriff „Tierüberlassungsvertrag“ nicht in die Irre führt, sei gleich zu Anfang darauf hingewiesen, dass der Verein Rüsselheim e. V. weiterhin Eigentümer der – Achtung: Abweichung – gemäß Vertrag 130 Schweine bleibt.

Das Fernsehen und die Printmedien hatten am Freitag von 128 Schweinen berichtet, die aus Stapen abtransportiert worden seien (vgl. dazu Links in Aua883). Der am 17. Januar 2013 von Doris Rauh und dem Ökobauern Holger L. unterzeichnete Tierüberlassungsvertrag jedoch nennt 130 Schweine.

Der „Ökobauer“, für den sich keine Internetpräsenz recherchieren lässt, erklärt in dem Vertrag zu den Haltungsbedingungen, dass eine Erlaubnis des Veterinäramts vorliege. Stallhaltung: ja. Stallhaltung mit Freilauf ist nicht markiert, aber ein Kreuz hinter dem Ja bei Freilandhaltung. Das Grundstück sei für die Schweinehaltung ausreichend gesichert. Erfahrung in der Haltung von Schweinen liege vor. Ein Umzug sei nicht geplant. Und bei Abwesenheit sei eine kompetente Betreuung sichergestellt. Der Ersatzbetreuer wird im Vertrag namentlich aufgeführt.

Für die tierärztliche Betreuung wird die Tierarztpraxis Dr. G. in Luckenwalde genannt.

Der Vertrag weist für den Ökobauer Holger L. eine Betriebsnummer und eine Nummer in der Tierseuchenkasse aus.

Als Ort der Stallhaltung wird ein Mietstall am Standort der Landgut Hennickendorf GmbH genannt. Ort der Freilandhaltung ist der Standort des Ökobauernhofs Holger L. in Treuenbrietzen, Ortsteil Lühsdorf.

 

Zahlungsbedingungen

Unter Paragraph 10 der Vertragsbestimmungen werden die Zahlungsbedingungen geregelt:

               

Der Ökobauer erhält vom Eigentümer: Rüsselheim e. V. – Hauptstraße 22, 86695 Allmannshofen Für die Unterbringung und Versorgung mit argerechtes Futter der Schweine entsprechend der Rechnung erfolgt die Zahlung zum 15. eines jeden Monats pro Schwein 35,- Euro netto, + pauschal 500 € Netto Stallhaltung und Einmalzahlung der Kaution von 2 Monaten Unterbringung und Versorgung, Stallhaltung fällig mit Unterzeichnung dieses Vertrages.

(Zitat aus Tierüberlassungsvertrag zwischen  Rüsselheim e. V. und einem Ökobauern in Treuenbrietzen; Zitat in Originalorthografie und Originalsyntax; Hervorhebung d. DN-Red.)  

              


Bei gemäß Vertrag 130 Schweinen wären das dann Kosten für Unterbringung, Fütterung und Pflege von 4.550 Euro plus 500 Euro netto = 5.050 Euro pro Monat.

Tierarztkosten gehen extra. Der Vertrag legt fest, dass diese nach Rechnungseingang beim Verein direkt an den behandelnden Tierarzt überwiesen werden. Auch vom Tierarzt verordnete Medikamente werden vom Verein übernommen und extra gezahlt.

Außerdem werden die  Kosten für die ordnungsgemäße Tierkörper-Beseitigung für den Fall des Versterbens von Schweinen vom Verein Rüsselheim getragen.

Abgesehen von dem außerordentlichen Kündigungsrecht kann der Vertrag von beiden Parteien mit einer Kündigungsfrist von neun Monaten jederzeit gekündigt werden.

 

Der Euthanasie-Fall

Da es in der jüngeren Vergangenheit dieser Schweinerettungsgeschichte Fälle gab, in denen der Verein die Einschläferung von Schweinen mit gebrochenen Beinen verweigert haben soll, sind die diesbezüglichen Vertragsregelungen interessant. Das sind sie besonders auch dann, wenn man sie mit den Aussagen des Tierarztes (weiter unten) vergleich:

              

Eine als notwendig in Betracht gezogene Tötung darf nur von einem Tierarzt vorgenommen werden. Rüsselheim e. V. ist  im Vorfeld unter Vorlage der tierärztlichen Empfehlung bzw. Bescheinigung entsprechend davon zu unterrichten.

(ibid.; Hervorhebung d. DN-Red.)  

              



Stark erregter Ökobauer dementiert und droht

Gern wollte diese Redaktion dem Vertragspartner von Rüsselheim Gelegenheit geben, in seiner Rolle als betreuender „Ökobauer“ zur aktuellen Situation der Schweine Stellung zu nehmen. Das war – wie einige Wochen zuvor schon bei der Presseanfrage an die erste Vorsitzende von Rüsselheim e. V. (vgl. dazu Aua857) – nicht möglich.

Holger L. ist im Telefonat mit dieser Redaktion heute Morgen schon vor der ersten konkreten Frage äußerst erregt, schreit und droht mit Anwalt und Polizei.

Ein Gesprächswunsch seinerseits, der sich in einem Anruf bei dieser Redaktion vergangene Nacht  um 3.45 Uhr (Aufzeichnung Telefonanlage) Bahn brach, konnte wohl bis zum heutigen Morgen nicht am Leben erhalten werden.  

Holger L. lehnt jegliche Stellungnahme ab. Er fühlt sich durch die Presseanfrage belästigt und legt Wert auf die Feststellung: „Bei mir sind keine Schweine!“

 

Tierarzt: Den Schweinen geht es gut

Die letzte Aussage ist besonders deshalb erstaunlich, weil der auch vertraglich genannte Tierarzt Dr. G. aus Luckenwalde die Schweine erst gestern in der Obhut des Holger L. besichtigt hat, wie er in einem Telefonat mit der DN-Redaktion heute Morgen berichtet.

Die tierärztliche Auskunft ist beruhigend: Den Schweinen gehe es gut. Die Stallungen, die noch aus DDR-Zeiten stammen, seien in Ordnung. Der Stall biete Tröge und Tränken. Die Entmistung sei unproblematisch und von einer Person mit maschineller Hilfe gut zu bewältigen.

Geheizt werde der Stall nicht. Das ist nach Auffassung von Dr. G. auch gar nicht notwendig. Früher habe man das auch nicht getan. Eher noch sei es in dem alten Ferkelstall zu warm und es gebe ein paar Probleme mit der Entlüftung.

Alle Schweine seien bei seiner gestrigen Inaugenscheinnahme unverletzt gewesen. Die Tiere seien in adäquaten Gruppen  zusammengestellt, wobei auch die Größe der Schweine berücksichtigt worden sei. Es gebe keine Rangkämpfe und keine verletzten Tiere. Die Schweine hätten einen ruhigen Eindruck auf ihn gemacht.

Dr. G. und Holger L. übrigens kennen sich gut – noch aus alten DDR-Zeiten, wie der Tierarzt Doggennetz.de verrät. Also aus jenen Zeiten, aus denen auch der Stall stammt.

Auf die Frage, warum für den Ökobauern keine Vermarktungsbemühungen, keine Internetpräsenz und noch nicht einmal ein entsprechender Anbauverband zu recherchieren ist, deutet Dr. G. an, dass Holger L. seine „Karriere“ als Ökobauer gerade erst beginne.

 

Über Euthanasie entscheidet der Tierarzt

Auf die heikle Vertragsregelung einer notwendigen Zustimmung des Vereins Rüsselheim e. V. für den Euthanasiefall angesprochen, hebt Dr. G. hervor, dass die Entscheidung in einem solchen Falle allein bei ihm liege. Er macht deutlich, dass es mit ihm keine Toleranz bei Knochenbrüchen geben werde.

Erstaunlich war des Weiteren, dass der Tierarzt die gesamte Vorgeschichte dieses Schweinebestands offenbar nicht kennt. Weder wusste er, woher die Schweine kommen, noch war ihm bekannt, welche Dramen sich bisher schon abgespielt haben. Dr. G. hatte keine Kenntnis davon, dass bisher schon neun Schweine verstorben sind, darunter eines, das angeblich auf die Verdachtsdiagnose Meningitis hin euthanasiert worden sein soll (vgl. Aua857).

Seine Aufgabe sei es jetzt, den Bestand zu betreuen und kranke Tiere zu behandeln.

 

Doggennetz.de-Senf:

Das Handeln des Vereins Rüsselheim e. V. ist nicht mehr nachvollziehbar. Die illegale Unterbringung der Schweine in einer Maschinenhalle in Stapen, welche gemäß der dann erfolgten behördlichen Intervention nicht einmal die grundlegendsten Anforderungen an eine tiergerechte Schweinehaltung erfüllte, wurde laut und unter mehr oder weniger erfolgreicher „Koordination“ der Medien beworben und gutgeheißen.

Nach all dem Wirbel glaubt der Verein dann, er kann 128 oder 130 Schweine einfach verschwinden  und die zuvor mit großem Aufwand in Betrieb gesetzten Tierfreunde und Interessierte im Unklaren über den Verbleib der Tiere lassen. Paradox?

Jetzt stehen die Schweine in einem gemauerten Stall, wenn dieser auch aus DDR-Zeiten stammt und man sich fragen kann, ob er den entsprechenden Vorschriften moderner Schweinehaltung gerecht wird. Das wird sich über das zuständige Veterinäramt klären lassen.

In diesem Stall haben die Schweine jetzt, was sie vorher nicht hatten: eine Infrastruktur zur Abfuhr von Gülle und Kot, Tröge und Tränken und einen offensichtlich im Handling mit Schweinen seit weit über 20 Jahren erfahrenen Betreuer. Der behandelnde Tierarzt erklärt gegenüber dieser Redaktion, den Schweinen gehe es ausnahmslos gut.

Warum also wird dieser neue Aufenthaltsort der Tiere von Rüsselheim e. V. nicht kommuniziert? Warum tickt der betreuende Ökobauer auf eine Presseanfrage regelrecht aus? Warum behauptet er, die Schweine seien nicht bei ihm, wenn der behandelnde Tierarzt bestätigt, diese in der Obhut des Holger L. gestern erst besichtigt zu haben? Was soll da vertuscht werden?  Warum werden nicht – wie noch in Stapen – aktuelle Bilder der Schweine veröffentlicht? Warum holt man am neuen Standort nicht wieder das Fernsehen hinzu?

Eine aktuelle Stellungnahme der ersten Vorsitzenden Doris Rauh am 29. Januar 2013 auf der Facebook-Seite des Vereins ist nicht öffentlich und für Nicht-Facebook-User unzugänglich. Und sie gibt auch nichts her, weil sie auf keine der offenen Fragen zu den Vorgängen der letzten Wochen Antworten gibt.

Noch dürftiger sind die Informationen auf der Website des Vereins zu dem Projekt Vom Mastschwein zum Glücksschwein, die ganz offensichtlich vollkommen veraltet und von einer  „Andrea“ unterzeichnet sind. Sie nehmen mit keinem Wort Bezug auf die dramatischen Entwicklungen der letzten Wochen.

Angesichts des Faktums, dass dieses Projekt bisher wohl mehrere zehntausend Euro verschlungen haben muss, macht die Intransparenz des Vereins große Sorgen.

Bisher an Kosten sind mutmaßlich angefallen (nachfolgende Zahlen stellen keine Tatsachenbehauptung dar, sondern sind spekulativ und tragen sich zusammen aus den im Internet verfügbaren Informationen, teilweise von den Aktivisten selbst, sowie aus den verschiedenen Medienberichten):

– Freikaufsumme der Schweine ca. 22.000 Euro;

– Unterbringung in Stapen für geschätzte Euro 5.000

– plus die enormen Heizkosten in Stapen in Höhe – nach Zeitungsberichten – von 500 bis 800 Euro täglich

– zuzüglich allfällige Ordnungsstrafen, ggf. verhängt durch das Kreisordnungsamt Altmarkkreis

– zuzüglich Tierklinik Hannover für mindestens vier Schweine

– zuzüglich Tierarztkosten in Stapen

– zuzüglich evtl. Kosten Tierkörperbeseitigungsanstalt

– zuzüglich Transportkosten am 25.01.2013

– zuzüglich 10.100 Euro Kaution in Treuenbrietzen

– zuzüglich 5.050 Euro für den ersten Monat Versorgung in Treuenbrietzen

– zuzüglich Tierarztkosten Treuenbrietzen

Es ist mehr als erstaunlich, dass die Verantwortlichen des Vereins Rüsselheim e. V. meinen, sich bei einem Projekt dieses organisatorischen und finanziellen Ausmaßes eine Kommunikationsstrategie wie die der vergangenen Wochen leisten zu können.

Nach den bisher vorliegenden Informationen hätte der Verein mit dem neuen Standort Treuenbrietzen vermutlich punkten können. Warum er es nicht tut, wird sich vielleicht noch herausstellen.  

 

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