Aua1412P: Rüsselsheimer Polizist erschießt 2 Hunde (3): Der institutionalisierte Tierschutz überlässt das Thema dem Mob

 

{TS-Kritik}

[im DNPA erschienen: 01.10.14; online verfügbar ab: 23.11.14]

 

Zur Themeneinführung siehe Aua1408 und Aua1410.

Die Demo am vergangenen Sonntag in Rüsselsheim lässt den Beobachter ratlos zurück. Nach Pressemeldungen waren 5.000 Teilnehmer angekündigt gewesen; tatsächlich gekommen seien rund 350! Die Veranstaltung verlief zwar friedlich. Aber einzelne Exzesse, wie sie sowohl auf Facebook wie von den Medien berichtet wurden, machen sprachlos: Eltern hätten ihre Kinder mit der Forderung ans Megafon geschickt, die Polizeibeamten zu erschießen (Quelle).

Im Übrigen brillierten die Veranstalter durch die dieses Jahr früheste Wunschliste an den Weihnachtsmann: „Gerechtigkeit“! Grundgütiger! Es fehlte nur noch: „Weltfrieden!“

Dann maßte sich eine Person mit Megafon die Stellvertretung für alle Hundehalter in Deutschland an. Das war nur eine weitere Facette des inszenierten Größenwahns. Die Mehrheit der Hundehalter in Deutschland dürften sich angesichts diesen Vertreters fremdgeschämt haben.

 

Fahrlässiges Handeln der Hundehalter

Das nach Meinung dieser Redaktion fahrlässige Handeln der Hundehalter wurde selbstredend nicht thematisiert. Die hatten durch das Zurücklassen der beiden Hunde in einem ausgeräumten Ladenlokal billigend in Kauf genommen, dass den Hunden etwas geschieht: Entweder durch die zuvor befürchteten und dann wohl tatsächlich erschienenen Einbrecher oder eben durch die gleichfalls sehr wahrscheinliche und de facto auch eingetretene Folge, dass die Hunde durch die von Unbefugten geöffnete Tür entkommen. Kein verantwortungsbewusster Hundehalter und Tierfreund setzt seine Lieblinge einem solchen Risiko aus.

Der Rüsselsheim-Hype wird jetzt und nach der Demo mutmaßlich rasch zum Erliegen kommen.

Alle Beteiligten und verschiedene Institutionen sind betont entsetzt darüber, welche exzessiven Formen der Protest angeblicher Tierschützer angenommen hatte. Diese Redaktion überrascht das nicht (vgl. Aua1410). Die Radikalisierung der karitativen Tierschutzszene ist hier seit Jahren Thema.

Stattdessen sei (hoffentlich) abschließend noch einmal ein Blick auf den institutionalisierten Tierschutz geworfen, der diesen Vorfall und das Thema dem Mob überlassen hat.

 

Tierschutzverein Rüsselsheim

Der örtliche Tierschutzverein hatte früh eine distanzierende und einigen Angaben der Polizei widersprechende Erklärung zu den Vorgängen am Morgen des 23. Septembers 2014 veröffentlicht ([bis zur Onlineschaltung dieses Artikels ist die Quelle schon nicht mehr verfügbar]). Mehr als diese elf Textzeilen jedoch war den Tierschützern vor Ort das Thema nicht wert. An der aktuellen und über weite Phasen komplett ausufernden Diskussion im Internet beteiligten sie sich nicht erkennbar.

 

Deutscher Tierschutzbund e. V.

Auch vom Deutschen Tierschutzbund e. V. (DTB) kein Hauch zu dem brisanten Vorfall. Die letzten Pressemitteilungen des Dachverbandes behandeln die Tierwohl-Initiative (17.09.14) und am 24.09.14 eine Aktion zum Welttierschutztag.

Dem Demo-Exzess in Rüsselsheim von Kindern, welche die Liquidation von Polizeibeamten forderten, setzt der DTB immerhin die Möglichkeit entgegen, sich als Eier-Detektiv zu engagieren (Quelle).

Wer lacht?

Die Opas vom DTB haben irgendwie den Schuss nicht gehört? In einer Zeit, in der Eltern schon froh sind, wenn ihre 9-Jährigen keine Sexpornos auf dem IPhone haben, kommt der oberste Dachverband mit seinem „Eier-Detektiv“ als pädagogisches Angebot daher! Kein Wunder hat der Tierschutz Nachwuchssorgen! Auf der Demo in Rüsselsheim haben Kinder per Megafon die Erschießung von Polizisten gefordert. Das ist die Realität!

Foto: günther gumhold / pixelio.de

 


Landestierschutzverband Hessen e. V.

Nun mag der DTB empört auf seinen hessischen Landesverband verweisen, der genau das tat, was in Aua1408 als zu erwartende rituelle Pflichtübung bezeichnet wurde: die berühmte Protestnote in Form eines offenen Briefes an das Polizeipräsidium Südhessen, an den Dienststellenleiter der Polizeidirektion Rüsselsheim und an den Oberbürgermeister der Stadt Rüsselsheim.

Sehr gut!

Das war dann aber auch die einzige und einsame Reaktion des institutionalisierten Tierschutzes.

Die Behauptung der Tierschützer im offenen Brief, sie seien von den hasserfüllten Äußerungen im Internet „erschreckt“, ist der blanke Hohn. Entweder der Landestierschutzverband Hessen benutzt hier nur eine rhetorische Floskel oder dessen Vertreter müssen der Ignoranz bezichtigt werden. Kein Mensch, der wach die Aktivitäten sogenannter Tierschützer in den letzten Jahren im Internet verfolgt, kann sich noch glaubwürdig „erschreckt“ geben, wenn diese sich unerhörten Gewalt- und Mordphantasien, Drohungen sowie allen denkbaren weiteren Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der Beamten hingeben.

 

Bund gegen den Missbrauch der Tiere

Die Google-Suche dieser Redaktion nach irgendwelchen Verlautbarungen des Bund gegen Missbrauch der Tiere (bmt) zu der Tragödie in Rüsselsheim bleibt erfolglos. Auf Facebook wird am 24. September der „Traumhund Markus“, ein Merle-Gen-geschädigter Boxer, angeboten. Am Tag darauf fragen diese „Tierschützer“ im Rahmen der psychosozialen Betreuung von tierliebenden Spendern und Facebook-Besuchern deren schönstes Erlebnis mit einem Tier ab. Am 26.09.14 folgt ein Demo-Aufruf gegen den Zirkus Krone in Berlin. Und am 30.09.14 macht die Meldung über eine Karnickel-Seuche Furore.

Auch auf der Homepage dieser im Selbstlob so großen Tierschutzorga findet DN keine Pressemitteilung o. ä., mit welcher der bmt seiner gesellschaftlichen Aufgabe, das aktuellste Tierschutzthema der Woche angemessen zu kommentieren, gerecht werden würde.

„Mein schönstes Erlebnis mit einem Tier“ und der „Eier-Detektiv“ ist das intellektuelle Niveau des etablierten Tierschutzes, mit dem er pädagogisch den Nachwuchs zu erreichen trachtet!

 

TASSO e. V.

Auch bei TASSO findet DN keine nachlesbare Resonanz auf die Tragödie in Rüsselsheim. Die Pressemitteilungen dort informieren am 22.09.14 über den Gewinner des Tierschutzpreises „Goldene Pfote 2014“ und am 30.09.14 über eine Rückvermittlung über Ländergrenzen: „Katze Pepsi nach fast elf Jahren wieder zu Hause“.

Das ist fast so gut wie „Eier-Detektiv“!

Aber TASSO ist nach Meinung dieser Redaktion ohnehin nur eine Werbeorganisation für den gewerbsmäßigen Hundehandel unter dem Etikett des Tieschutzes. Dazu passend titelt dann auch der Newsletter vom 25.09.2014: „Yes, we care“; das ist die Protestaktionen gegen die Tötung rumänischer Straßenhunde.

 

Überraschung: PETA äußert sich!

Was weder der DTB (selbst) noch der bmt noch TASSO schaffen, kriegt immerhin PETA Deutschland e. V. auf die Reihe: wenigstens eine Pressemitteilung zum Thema Rüsselsheim. Darin fragen die Tierrechtler: „Wurden die Hunde Opfer einer <Kampfhunde>-Hysterie?“ Diese Frage verknüpft PETA dann mit der berechtigten Forderung nach Abschaffung der sogenannten Rasselisten.

Aber in die völlig eskalierende Diskussion greift auch PETA nicht ein.

 

Der institutionalisierte Tierschutz lässt die Gesellschaft im Stich

Die ausbleibenden Reaktionen und die unterlassene erforderliche Moderation der völlig aus dem Ruder laufenden Proteste durch die „großen“ Tierschutzorganisationen dokumentiert neuerlich, dass diese ihre gesellschaftliche Aufgabe nicht wahrnehmen. Sie zeigen keine Präsenz in genau dem Augenblick, wo der institutionalisierte Tierschutz hätte Kante zeigen können und müssen. Das eröffnet ein Vakuum, in welches hinein sich dann so umstrittene Vereine wie Deutschland sagt Nein zum Tiermorden und Einzelpersonen produzieren, die aus der Anonymität heraus oder unter falscher Identität über das Internet die willigen Massen aufpeitschen. Und Facebook bietet wie immer die Infrastruktur dafür.

Die großen Vereine beackern stur das jeweils für sie typische Themenfeld, sehen nicht rechts und nicht links und gehen vor allem kein Risiko ein. Denn dem hasserfüllten, zu Straftaten aufrufendem Internetmob mutig entgegenzutreten, die Diskussion zu moderieren, die Autorität etablierter Vereine geltend zu machen und die Stimme der Vernunft und des Ausgleichs zu sein, das könnte dann doch den einen oder anderen Spender vergraulen. Dann halten sie doch lieber alle gemeinschaftlich die bei den eigenen Interessen so mächtig aufgerissene Klappe und sehen zu, wie dem Tierschutz insgesamt durch solche Exzesse Schaden zugefügt wird.

Es geht eben doch nur …. um Spenden!

Eigenartig ist auch, dass die Medien diese Vakanz offensichtlich gar nicht bemerken. Oder klammern sich wirklich alle an diese eine kleine und zumindest in einem Punkt verlogene Protestnote des Landestierschutzverbandes Hessen e. V., die ganz offensichtlich im Internet kaum wahrgenommen wurde?

Die – abstrakt benannt – „Gesellschaft“, welche unter der gewaltbereiten Hysterie im Fall Rüsselsheim gelitten hat, hätte den etablierten und institutionalisierten Tierschutz in diesem Fall dringend gebraucht. Doch wenn er in solchen eskalierenden Situationen keine Präsenz zeigt, dann muss er sich auch nicht wundern, wenn diese Gesellschaft dessen sonstige Anliegen nicht ausreichend würdigt. Tierschutz ist keine Einbahnstraße, in der die großen Vereine ständig mit Forderungen an das soziale Gegenüber herantreten, aber keine Präsenz zeigen, wenn die Öffentlichkeit den institutionalisierten Tierschutz braucht.

 

Der institutionalisierte Tierschutz wendet sich immer dann an die Gesellschaft, wenn er Forderungen artikuliert: mehr Geld, mehr Unterstützung, mehr Tierliebe. Im Fall der beiden erschossenen Hunde in Rüsselsheim wäre eine gute Gelegenheit gewesen, Politik, Behörden und Gesellschaft zu zeigen, dass Tierschutz etwas mehr kann als kümen und klagen, fordern und verlangen, jammern und jaulen. Zumindest der Versuch der etablierten Vereine wäre angezeigt gewesen, die ausufernden Protest etwas einzufangen, zu moderieren und zu lenken. Doch alle großen Tierschutzvereine glänzten durch Abwesenheit. Die Pressemitteilung von PETA war hinsichtlich des Problems auch keine wirkliche Hilfe.

Foto: Gilla Hanssen / pixelio.de

 

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