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Aua635: Gastbeitrag von Christoph Jung: Die streunenden Hunde in Moskau und Berlin

 

{TS-Kritik}

[16.05.2012]

 

In der Geschichte christlicher Mission wie auch in der Entwicklungshilfe hat es (viel zu) lange gedauert zu erkennen, dass man Menschen anderer Kulturen nicht fremde Wertesystem aufdrücken darf – schon gar nicht mit Gewalt und gegen deren Willen.

Der Auslandstierschutz ist leider noch lange nicht so weit. Obwohl namhafte Kynologen und Ethnologen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass das Dasein der Straßenhunde nicht mit den Maßstäben westeuropäischer Tierschutzstandards und dekadenter Familienhundehaltung gemessen werden darf, zwangsmissionieren die Tierschützer das Ausland und entvölkern in wahren Raubzügen die Straßen ost- und südeuropäischer Länder von Hunden und Katzen.

Von Respekt vor der Kreatur keine Spur!

Autonome Wesen, die selbstbestimmt und erfolgreich ein sicherlich auch oft hartes Leben meistern, werden gefangen genommen und nach Westeuropa deportiert. Dort müssen sie in ewiger Gefangenschaft von Wänden, Zäunen, Halsbändern und Brustgeschirren den Rest von ihrem Leben fremdbestimmt und zwangsgeknuddelt verbringen.

Christoph Jung schildert in seinem Beitrag anschaulich und unter Rekurs auf einschlägige wissenschaftliche Literatur das Leben der so genannten Metro-Hunde in Moskau. Wissenschaftlich begleitet und untersucht werden diese autonom lebenden Hunde von dem russischen Zoologen Andreij Pojarkow.

Die unten angefügten ergänzenden Links auf YouTube-Videos belegen das Geschriebene mit höchst eindrücklichen Bildern von Hunden, die sich vollkommen souverän und unbehelligt von den Fahrgästen in der Metro bewegen. Die ach so tierliebenden Deutschen dürfen sich gern fragen, wie solche Auftritte unbegleiteter Hunde in einer deutschen S-Bahn ankommen würden. Respekt vor den Moskauern!

Dieser Beitrag fügt sich nahtlos an die Doggennetz.de-Artikelserie „Stefan Hack: EINE Wahrheit über die Hunde in der Ukraine“ (Aua543, Aua544, Aua546, Aua549) an. Zusammen bilden diese Artikel die Faktengrundlage für die geplante Artikelserei „Neue Konzepte für den Auslandstierschutz“.

Ich danke dem Publizisten-Kollegen Christoph Jung für die Erlaubnis, seinen hervorragenden Artikel auf Doggennetz.de veröffentlichen zu dürfen.

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Ein fröhlicher Trupp ukrainischer Straßenhunde: Freiheit pur und die Freude daran! Sie wissen nicht, in welcher Gefahr sie schweben: Die erste Gefahr sicherlich sind die vermutlich wahlweise von den Kommunen oder Kriminellen losgeschickten Hundefänger. Aber gleich an zweiter Stelle kommen (deutsche) Tierschützer: Jungs, passt auf: Unter dem Deckmantel Tierschutz fangen sie euch ein, transportieren euch auf Horrorfahrten in die Bundesrepublik, wo sie euch über Ebay-Kleinanzeigen an unqualifizierte Endplätze verhökern oder in den Animal-Hoarder-Haltungen der Republik vergammeln lassen. Oder die Langenkamps, Sales und Seegers bauen für euch schreckliche Guantanamos, aus denen ihr nie mehr herauskommt. Auf wenige Quadratmeter eingezwängt und ohne eine Chance auf Vermittlung im Land hat es sich dann mit der Freiheit!
Foto: Stefan Hack

 

              

Von den streunenden Hunden in Moskau und Berlin

von Christoph Jung

In Moskau lebt der Zoologe Andreij Pojarkow. Er arbeitet am A.N.Severtsov-Institut für Ökologie und Evolution der Russischen Akademie der Wissenschaften. Seit mehr als 30 Jahren betreut er ein außergewöhnliches Biotop: Die Großstadt. Und es geht nicht um irgendeine Großstadt, es geht um Moskau, die Hauptstadt Russlands und größte Metropole Europas. Pojarkow studiert seit 1979 die streunenden Hunde Moskaus. 35.000 sollen es sein. Streunende Hunde haben in Moskau eine alte Tradition, wie auch aus Berichten des Journalisten und Schriftstellers Vladimir Gilyarovsky von 1880 hervorgeht. Und diese Streuner werden von den Moskauern traditionell geduldet, ja teilweise sogar geschätzt und geliebt. Auch das geht aus aktuellen wie historischen Berichten hervor.

Tierschützer arbeiten mit rassistischen Klischees

Von solchen Verhältnissen erfährt man in der aktuellen Medienlandschaft kaum etwas. Im Zuge der bevorstehenden Fußball-Europameisterschaft wird wieder einmal fleißig an dem Image gearbeitet, das die Menschen Ost-Europas als eingefleischte Tierquäler und notorische Hundemörder zeichnet.

Manch fragwürdige Tierschutzorganisation baut ihr ganzes Geschäftsmodell auf dieses quasi rassistische Klischee, das auch von C-Promis medienträchtig befeuert wird. Und wenn‘s mal nicht anders geht, wird diese oder jene brutale Szene künstlich vor die Kamera gebracht. Logisch, dass der gute deutsche Tierschützer die Hunde aus den Händen der Osteuropäer befreien und massenhaft nach Deutschland, in die Heimstatt der wahren Hundeliebe, verbringen muss.

BRD ist größter Markt osteuropäischer Hundefabriken

Es soll nun keineswegs bestritten oder gar beschönigt werden, dass es im Süden oder Osten Europas rabiate Tierquälereien gibt, wo Menschen, die die Bezeichnung „Homo Sapiens“ nicht wirklich verdienen, ihr fehlendes Rückgrat an armen Hunden aufzubauen versuchen und dabei bestialische Taten begehen. Hierfür gibt es keine Entschuldigung und aus meiner Sicht auch keine „mildernde Umstände“. Doch wir guten Deutschen sollten nicht verdrängen, dass wir, genau wir, diejenigen sind, die den mit Abstand größten Markt für die Hundefabriken Ost-Europas darstellen.

Die restriktivsten Antihundegesetze

Oder unsere (Anti-)Hundegesetze. Es gibt kein Land in Europa, das so restriktiv gegen Hunde vorgeht. In Deutschland gibt es kaum noch eine Gegend, wo ein Hund legal unangeleint einem seiner elementaren Bedürfnisse nachgehen kann, dem Laufen. Oder wollen wir noch vom Bellen sprechen, oder gar vom Knurren? Ein knurrender Hund ist in Berlin einem unnatürlichen Tode jedenfalls näher als in Moskau.

Wo wir wieder beim Thema sind. Es gibt also beide Seiten, bei den Menschen im Osten wie Westen wie auch bei den Hunden Moskaus und den Tölen Berlins. Unter den 35.000 Streunern, die Pojarkow wissenschaftlich begleitet, gibt es auch Hunde, die sich gegenüber Menschen zuweilen aggressiv zeigen. Die meisten aber nicht, und die meisten Menschen umgekehrt auch nicht.

 

Streuner-Hunde als integraler Bestandteil der Gesellschaft

Eine kleine Minderheit der Moskauer Streuner hat dabei ein Verhalten entwickelt, das weltweit seines Gleichen sucht: Die Moskauer Metro-Hunde. Sie haben sich die Moskauer U-Bahn erobert. Sie kennen ihre U-Bahnlinien, wissen, an welchen Stationen sie ein- und aussteigen müssen. Pojarkow meint, dass die Hunde von sich aus darauf achten, ihr Geschäft möglichst dezent und nie etwa auf Gehwegen oder Bahnsteigen zu erledigen. Sie halten die U-Bahn zudem frei von Ratten, säubern die Tunnel und Wege und werden dabei auch gerne einmal von den Moskauern gefüttert. Die meisten Moskauer achten und mögen diese Hunde, selbst wenn sie zuweilen auf einer Sitzbank in der U-Bahn ihr Nickerchen halten. Dabei wissen die Hunde ganz genau, welche Metro-Fahrgäste auch mal ein Leckerchen fallen lassen und besonders freundlich sind.

Andreij Pojarkow ist überzeugt, dass die Hunde hervorragende Psychologen sind, die ihre Grenzen genau kennen und auch wissen, wie sie sich zu benehmen hätten. Er hält die streunenden Hunde für einen integralen Bestandteil des Moskauer Stadtlebens. Er hält nicht viel von Sterilisationsprogrammen oder anderen von westlicher Tierschutzseite angetragenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Streuner. Ganz im Gegenteil: „Warum sollten wir die streunenden Hunde, die immer mit uns gelebt haben, abschaffen?“ erwidert der Zoologe.

 

Toleranz der Moskowiter in Deutschland undenkbar

Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Jeder in Berlin herumlaufende Streuner würde sofort von der Straße weggefangen. Es ist absolut unvorstellbar, dass frei lebende Hunde sogar in der Berliner U-Bahn mitfahren oder leben dürften.

Ja, im Tierschutz-Deutschland sind unsere Städte und inzwischen auch das letzte Dorf vollständig von Streunern gesäubert. Wir sind sauber halt. Und genauso tierliebend.

 

Noch nicht lange her: autonome Dorfhunde

Die schlauesten und eindrucksvollsten Hunde, die ich erlebt habe, waren allerdings solche Streuner. Es waren keine herrenlose Streuner, vielmehr Dorfhunde, die auf ihrem Hof und zuweilen im ganzen Dorf frei herumliefen. Es waren – unabhängig voneinander – zwei „stammbaumlose“ Mittelspitze. Einer davon war Blacky. Kein Zaun war für den kleinen Hund unüberwindbar. Er holte die Kinder der Familie zu den jeweils exakten Zeiten vom Kindergarten oder der Schule ab und behütete sie unbestechlich. Er ging mit Herrchen bei Fuß durch den Bahnhof der Stadt – selbstverständlich ohne Leine. Noch bis in die 1970er Jahre war ein solches Hundeleben in Deutschland überall anzutreffen.

Noch weiter zurück, im Mittelalter, streunerten in den Städten die Arbeitshunde, die nach getaner Arbeit als Treibhund des Metzgers oder Zughund des Bäckers selbstständig nach Fressbarem suchen mussten.

Hunde lieben es, gelegentlich zu streunern. Bei uns geht das nicht mehr: Zu viele Autos, zu viele Ressentiments, zu viele Verbote.

 

Freiheit nur noch für die Hunde-Ausbeuter

Aber es gibt in Deutschland auch die große Freiheit im Bereich der Hunde. Es gibt praktisch keine Vorschriften für die Zucht von Hunden. Sie dürfen international gehandelt werden wie jede Waschmaschine. Nein: Bei einer Waschmaschine gibt es Vorschriften, das GS-Zeichen zum Beispiel. Selbst für Kartoffeln oder Gurken gibt es deutlich mehr Vorschriften sowohl für Produktion als auch Handel. Der Produzent eines nach Luft keuchenden Mopses oder von Epilepsie gepeinigten Border Collies hat schlimmstenfalls einen Griff in den Geldbeutel zu befürchten, wenn überhaupt. Auch Inzestzucht ist ganz legal und wird heute noch praktiziert wider des Wissens um die Gefahr. Das deutsche Tierschutzrecht ist hinsichtlich der Hundezucht totes Recht.

Und wenn der Gesetzgeber heute vorschlägt, ein Ausstellungsverbot für Hunde mit Qualzuchtmerkmalen ins Gesetz zu schreiben, jaulen die Zuchtverbände auf, als sei ihnen ein russischer Panzer über den Schwanz gefahren.

Ja, wir wissen, wie man richtig auf den Hund kommt  – bei uns und anderswo.

 

              

 

Eindrückliche Videos zum Thema:

Auf YouTube finden sich als visuelle Ergänzungen zum oben Ausgeführten einige sehr eindrückliche Videos der Metro-Hunde.

https://www.youtube.com/watch?v=fPi7tIm9tj4

https://www.youtube.com/watch?v=WYnv2oxi4OA&feature=related

https://www.youtube.com/watch?v=YxJf2L2B5fY&feature=related

Weiterführende Literatur zum Thema:

Susanne Sternthal: Moscow’s stray dogs. In: The Financial Times, 16.01.2010.

Ray und Lorna Coppinger: Hunde: Neue Erkenntnisse über Herkunft, Verhalten und Evolution der Kaniden, 2003.

Vladimir Gilyarovsky. The Stories of the Slums, 1887.

Hamburger Abendblatt vom 20.12.2011: Streunende Hunde nutzen mit Vorliebe Moskaus Metro.

Inna Krieger: Ein Hundeleben hat viele Gesichter. Moskauer Deutsche Zeitung, 14.11.2008.

Stefan Scholl: Hunde-Hauptstadt Moskau. In: DerWesten, 18.02.2011.