Aua1196P: Dr. Dr. Busch Tierheim-Leitfaden: Sachbuchautor Martin Krause kritisiert nicht nur die Euthanasie-Empfehlung

 

{TS-Kritik}    [im DNPA erschienen: 20.12.2013; online verfügbar ab: 23.01.2014]

 

Der Anspruch, mit dem das Buch auftritt, ist sehr hoch: „Das einzige umfassende Buch zum Thema von Katze bis Kakadu“ behauptet die Kurzbeschreibung bei Amazon.

Das Thema: Tierheime.

Das Buch: Der Tierheim-Leitfaden: Management und artgemäße Haltung.

Der Autor: Dr. Dr. Bodo Busch, der von 2001 bis 2006 auch Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung Tierschutz (TVT) war und in verschiedenen Tierschutzausschüssen von Verbänden sitzt.

Das Buch beansprucht den Status eines Standardwerks und ist am 4. November 2013 in zweiter, aktualisierter und überarbeiteter Auflage erschienen.

 

Umfassende Kritik an der Neuauflage

Er habe sich zurecht und nachhaltig über verschiedene „unsubstantiierte Textstellen“, insbesondere bei den Euthanasie-Empfehlungen, in einem „Standardwerk“ von einem so renommierten Tierarzt sehr geärgert, erklärt der Tierpfleger, Ausbilder und Sachbuchautor Martin Krause, der breite Kritik an dieser Neuauflage übt.

Und der Ärger hält bei Krause auch nach einer ausführlichen Presseanfrage durch die DN-Redaktion und einer sehr knappen Presseantwort von Busch und dem herausgebenden Schattauer-Verlag an.

Kernpunkt der Buchkritik sind die nach Krauses Meinung laxen Leitlinien für die Euthanasie von Tierheim-Tieren. Die lesen sich bei dem renommierten Tierarzt so:

Euthanasien von Tierheimtieren dürfen nur durch den Tierarzt erfolgen und wenn einer der folgenden Gründe vorliegt: […] Erkrankungen, die eine kostenintensive Operation und/oder eine langanhaltende Therapie erfordern. Die zu erwartende Lebensdauer und –qualität ist dabei zu berücksichtigen.“

(Tierheim-Leitfaden, 2. Auflage 2013, Kapitel 5.15 Euthanasien; Hervorhebg. d. DN-Red.)

 

Dazu schreibt Krause in seiner Kritik an Verlag und Autor:

Schlichtweg schockiert bin ich von der auf Seite 75 dargestellten Behauptung des Autors, ein Tier dürfe dann euthanasiert werden, wenn die Erkrankung eine kostenintensive Operation und / oder eine lang anhaltende Therapie erfordern würde.

Diese Darstellung war in der ersten Auflage (dort auf Seite 68) auch nicht enthalten.

Ich bin davon überzeugt, dass weder hohe Kosten für eine Operation noch Erkrankungen, die eine lang anhaltende Therapie erfordern, zulässige Gründe sind, um ein Tier „einzuschläfern“. Die Vorschriften von § 3 Nr. 2 und § 16a Absatz 1 Nr. 2 Tierschutzgesetz sind insofern eindeutig.

Nach dem Tierschutzgesetz darf ein Tier nur bei einem „vernünftigen Grund“ euthanasiert werden. Vernünftige Gründe sind zum Beispiel solche, welche die Rechtswidrigkeit einer strafbaren Handlung ausschließen (z.B. Notwehr).

Ein Grund zum Töten von Tieren ist nur dann „vernünftig“, wenn er triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen ist – und wenn er unter den konkreten Umständen schwerer wiegt, als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit. Man könnte auch von „rechtfertigenden Gründen“ sprechen. Die Fachliteratur nennt als weitere „vernünftige Gründe“ zum Beispiel unheilbare Krankheiten, starke Schmerzen oder schwere Unfallverletzungen.

Aber selbst diese Gründe genügen noch nicht! Ein Hund darf z.B. nur dann „eingeschläfert“ werden, wenn ein Weiterleben des Tieres mit nicht behebbaren und erheblichen Schmerzen oder Leiden verbunden wäre. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von „erlösen“ sprechen. Wie teuer eine Operation ist oder wie lange die Behandlung dauert, spielt hingegen überhaupt keine Rolle.

Andernfalls könnte man zum Beispiel die Auffassung vertreten, dass man einen zehnjährigen Tierheimhund mit einem Kreuzbandriss (OP-Kosten geschätzt EUR 1.000) euthanasieren dürfe und auch ein dreijähriger Tierheimhund mit Leishmaniose euthanasiert werden dürfe, da dieser lebenslang behandelt werden muss. Insofern muss es schon auf erhebliches Erstaunen stoßen, wenn der Autor Dr. Dr. Busch in (s)einem „Tierheim-Leitfaden“ behauptet, Tiere dürften dann getötet werden, wenn die Erkrankung eine kostenintensive Operation oder eine lang anhaltende Therapie erfordert.

Um es etwas klarer zu formulieren: Eine solche Behauptung ist unhaltbar, vollkommen unverständlich und inakzeptabel. […] Die Einschläferung (Euthanasie) unheilbar kranker Tiere, die nur unter Schmerzen, Leiden oder Schäden weiterleben könnten, ist ein selbstverständliches Gebot des Tierschutzes. Nur weil ein Tier in einem Tierheim schon älter ist und eine Operation teuer sein könnte, darf es aber noch lange nicht eingeschläfert werden und nur weil eine Therapie lange dauern kann, darf das Tier in einem Tierheim selbstverständlich ebenfalls noch lange nicht euthanasiert werden.

Es ist völlig unverständlich, warum der Autor Dr. Dr. Busch derartiges in der 2. Auflage seines Buches behauptet. Ich rege dringend an, der 2. Auflage einen „Zettel“ oder dergleichen beizulegen, damit es unter den Tierheimverantwortlichen nicht zur Verbreitung einer solchen falschen Behauptung kommt.

 (Martin Krause am 11.12.13 an den Verlag Schattauer GmbH; Hervorheb. d. DN-Red.)

 

Busch: Zweiter Satz soll es rausreißen

Die DN-Redaktion hatte Autor und Verlag gebeten, zu diesem Vorwurf (und weiteren) Stellung zu nehmen.

Zu den brisanten Euthanasie-Empfehlungen wird der DN-Redaktion und Martin Krause von Dr. Dr. Bodo Busch zur kurzbündigen Antwort:

 

       

In Kapitel 5.15 Euthanasien steht unter Punkt 2 folgender Text:
Erkrankungen, die eine kostenintensive Operation und/oder eine langanhaltende Therapie erfordern. Die zu erwartende Lebensdauer und –qualität ist dabei zu berücksichtigen.
Dieser 2. Satz enthält weitere zu beachtende Kriterien und ist deshalb zu berücksichtigen, was von Herrn Krause nicht erfolgte.

Die auf S. 76 gemachten Feststellungen stimmen voll mit den Meinungen anderer Autoren überein, so in „Tierärztliche Sterbehilfe“ von Hoff, Buck-Werner und Fürst, Veterinärspiegel Verlag, 2. Aufl. 2013, das mir leider erst nach Manuskriptabgabe zur Verfügung stand.

(Presseantwort von Dr. Dr. Bodo Busch über Schattauer Verlag am 16.12.13)

 

 

       

©Thomas Siepmann / pixelio.de

 

Krause weist den Vorwurf zurück

Den Vorwurf von Busch, diesen zweiten Satz nicht berücksichtigt zu haben, weist Martin Krause vehement zurück:

Die Textpassage und Kriterien „Die zu erwartende Lebensdauer und -qualität ist dabei zu berücksichtigen“ wurde von mir ganz und gar nicht unberücksichtigt gelassen.

 (Stellungnahme Martin Krause an die DN-Redaktion zur Presseantwort Dr. Busch)

 

Krause sieht Busch hier in der Verantwortung, weil er den Vorständen von Tierschutzvereinen mit seiner bedeutungsoffenen Formulierung ein „Mittel“ an die Hand gebe, die sowieso schon lange stattfindenden schnellen Euthanasien von Tierheimtieren zu „legalisieren“.

Dabei räumt der Tierpfleger-Ausbilder durchaus ein, dass es in Tierheimen Fälle geben könne, in denen eine kostenintensive Operation möglich wäre und man trotzdem eine Euthanasie befürworten sollte. Dazu nennt er Fallbeispiele aus dem DN-Fundus (Aua275, Aua1191).

Als im Umgang insbesondere mit den Besonderheiten oft nicht sachkundiger Tierschutzvereinsvorständen Erfahrener sieht Krause die Gefahr:

 

       

So, wie die Textstelle in dem Buch von Dr. Dr. Busch niedergeschrieben wurde, lässt sie ohne genauere Erläuterung oder Beispielen auch die Spekulation zu, dass man einen 10-jährigen Tierheimhund mit einem Kreuzbandriss oder einen dreijährigen Tierheimhund mit Leishmaniose euthanasieren dürfe.

(ibid.)

 

       

 

Persönliche Meinungen irrelevant

 Auch auf die von Busch angegebene Literatur Hoff / Buch-Werner / Fürst „Tierärztliche Sterbehilfe“ geht Krause ein.

Es mag zutreffen, dass Hoff / Buck-Werner / Fürst in ihrem Buch „Tierärztliche Sterbehilfe“ die gleiche Meinung wie Herr Dr. Dr. Busch in seinem Buch „Der Tierheim-Leitfaden“ vertreten.

Die Autoren schreiben aber auch, dass bei der Euthanasie von Tieren eine Reihe von ethischen Mindestanforderungen eingehalten werden müssen.

 Wörtlich:

 „- Der Tierarzt überzeugt sich, dass die Tötungshandlung tatsächlich erforderlich ist, um dem Tier ein qualvolles Weiterleben zu ersparen.

– Der Tierarzt versichert sich vor der Ausführung der Tötungshandlung, dass keine realistische Alternative zur Tötung besteht.

– Der Tierarzt nimmt die Tötungshandlung mit der Absicht vor, dem Tier Leiden und Schmerzen zu ersparen.“

Diesen Ausführungen stimme ich vollinhaltlich zu. Von all dem steht jedoch kein einziges Wort in dem Buch „Der Tierheim-Leitfaden“.

(ibid.)

 

Nicht einmal Konsens bei überprüfbaren Fakten

Auf Detailkritik des Sachbuchautors Krause am „Standardwerk“, etwa zitierte, aber mit dem Inkrafttreten des neuen Tierschutzgesetzes hinfällige Paragrafen, sei hier nicht weiter eingegangen.

Interessant jedoch ist noch folgender Kritikpunkt:

 

       

Des Weiteren war ich sehr überrascht, dass auf Seite 15 des Buches für die Leitung eines Tierheimes zwar unter anderem eine Ausbildung als Zootierpfleger/in oder als Tiermedizinische/r Fachangestellte/r (Tierarzthelfer/in) gefordert wird, dort jedoch keine Ausbildung als Tierheimtierpfleger/in (Tierpfleger/in Fachrichtung Tierheim und Tierpension) aufführt ist.

Gerade ein ausgebildeter Tierheimtierpfleger eignet sich aber meines Erachtens ganz besonders für die Leitung eines Tierheimes.

(Martin Krause am 11.12.13 an den Verlag Schattauer GmbH)

       

Dazu merkt Dr. Busch in seiner Presseantwort an:

 

       

Die Ausbildung zum Tierheimpfleger wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt, wobei dann auch unterschiedliche Bezeichnungen vorkommen.

(Presseantwort von Dr. Dr. Bodo Busch über Schattauer Verlag am 16.12.13; Hervorheb. d. DN-Red.)

 

       

Unter valider Quellenangabe kritisiert Krause auch diese Äußerung als nicht zutreffend: 

Die Ausbildung zum Tierheimtierpfleger (offizielle korrekte Bezeichnung: Tierpfleger Fachrichtung Tierheim und Tierpension) wird nicht in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt.

Die Ausbildung zum Tierpfleger Fachrichtung Tierheim und Tierpension ist im Berufsbildungsgesetz geregelt und gilt damit bundesweit und einheitlich (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Tierpfleger).

(Stellungnahme Martin Krause an die DN-Redaktion zur Presseantwort Dr. Busch)

Der Punkt geht nach Meinung dieser Redaktion klar an Krause.

 

Weitere Ungenauigkeiten?

Grundsätzlicher Natur ist Krauses Kritik am Umgang Buschs mit juristischen Vorschriften. So behaupte der Autor zum Beispiel auf Seite 8, dass Pflegestellen von Tierschutzvereinen eine Erlaubnis nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes (AVV-TierSchG) benötigen, obwohl das Bundesverwaltungsgericht schon vor einigen Jahren entschieden hat, dass Pflegestellen von Tierschutzorganisationen (leider) keine Erlaubnis benötigen.

Auch dieser Punkt geht überprüfbar an den Kritiker, denn die zitierte BVG-Entscheidung aus dem Jahr 2008 krümmt noch heute viele Tierschutzkritiker und Kritiker des Auslandstierschutzes, dessen gesamtes System auf (unqualifizierten) Pflegestellen beruht.

 

 

Justizia sei blind, Okay. Aber Autoren, die sich juristisch äußern, dürfen die relevanteren Urteile der Dame ruhig zur Kenntnis nehmen?

© Jan von Bröckel / pixelio.de

 

 

 

Doggennetz.de-Senf:

Der Konflikt zwischen Krause und Busch bleibt ungelöst. Die detaillierte und mit Belegstellen untermauerte Kritik Krauses wird vom Autor relativ knapp in der nur wenige Zeilen umfassenden Presseantwort abgehandelt. Ein Gespräch zwischen beiden hat nicht stattgefunden. Krauses Kritik wird nicht widerlegt.

Schade! Sehr schade, dass sich der renommierte Autor des „Tierheim-Leitfaden“ nicht etwas mehr Zeit und Mühe für die berechtigte Kritik von Martin Krause genommen hat. Denn seine Antworten hebeln diese nicht aus. Überdies betrifft Krauses Kritik ein enorm wichtiges Problem: Euthanasien in (deutschen!) Tierheimen.

Die knappe und nicht wirklich überzeugende Stellungnahme Buschs lässt Raum für Spekulationen zu der auf diesem Blog schon häufiger kritisierten, im Jahr 2014 einfach unerträglichen Arroganz tierärztlicher Honoratioren. Hat es Dr. Dr. Busch nicht nötig, auf die berechtigten Einwürfe eines Tierpflegers, freilich mit Zusatzqualifikationen, etwas ausführlicher zu antworten?

Überdies: Der erste Satz der strittigen Euthanasie-Empfehlung umfasst sogenannte harte und konkret messbare Kriterien: Geld, Zeit. Diesen harten Kriterien werden dann im zweiten Satz so butterweiche, nicht messbare, spekulative und beliebig auslegbare Größen wie „Lebensdauer und -qualität“ gegenübergestellt. Aua1191 hatte gerade – und interessanterweise an einem Gegenbeispiel – zitiert, wie großzügig Tierärzte mit Spekulationen zur Lebensqualität umgehen, die sich doch nicht selten zuvorderst an den Bedürfnissen der tierhaltenden Vereine zu orientieren scheinen.

Dass ein „Standardwerk“-Autor nicht weiß, dass die Ausbildung zum Tierheimtierpfleger bundeseinheitlich geregelt sei, wie Krause behauptet und mit Quelle belegt, lässt nachdenklich werden. Dass der Standardwerk-Autor ein seit 2008 geltendes und ziemlich fatales Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Erlaubnispflicht (Sachkundenachweis) von Pflegeplätzen nicht kennt, ist massiv peinlich.

Das lässt die Frage zu, mit welcher Sorgfalt dieses „Standardwerk“ verfasst wurde?

Im Übrigen bereitet Busch mit seiner auslegungsfähigen Euthanasie-Empfehlung der Zukunft in deutschen Tierheimen den Boden. Insider bestätigen sich hinter vorgehaltener Hand gegenseitig, dass dort jetzt schon in weit größerem Ausmaß eingeschläfert wird, als der Öffentlichkeit bekannt ist. Angesichts der akuten Finanznot vieler Tierschutzvereine und Tierheime, die seit Jahren reihenweise in den Konkurs gehen, wird sich dieses Phänomen noch verschärfen. Und daran trägt nach Ansicht dieser Redaktion und wie in vielen DN-Artikeln belegt der Auslandstierschutz sein gerüttelt Maß an Verantwortung. Durch die endlose Tierschlepperei aus dem Ausland werden deutsche Tierheime zusätzlich belastet. Außerdem werden durch das mediale Tamtam des ATS der deutschen Tierschutzinfrastruktur Aufmerksamkeit, Manpower und vor allem Spendengelder entzogen.

Und im Zweifelsfall wird ein Tierschutzvereinsvorstand in Finanznot dem von Busch genannten „harten“ Kriterium Geld den Vorrang gegenüber so spekulativen und schlussendlich nicht messbaren Größen wie „Lebensqualität“ geben. Wenn sich die Tierschutzinfrastruktur in Deutschland so weiter entwickelt, wie DN das vor Jahren schon prognostiziert hat und fortlaufend an Einzelfällen dokumentiert, wird sich Dr. Dr. Busch für die nächste Auflage des Tierheim-Leitfadens eventuell sogar eine noch „großzügigere“ Euthanasie-Empfehlung ausdenken dürfen