Aua84: Marius‘ Geburtstag: Eine 90-70-Dogge wird 10 Jahre alt!
{Dogge pur}
[07.03.2011]
Leserhinweis:
Nachstehender Text bezieht sich auf eine der bekanntesten Tierschutzdoggen im deutschsprachigen Raum: der später dann von mir übernommene Doggenrüde Marius. Zwei Jahre lang hatten alle Doggen-Schutz-Orgas der BRD versucht, für diesen ausgewiesen dominanten Hund führungskompetente Halter zu finden. Chancenlos.
Seine Geschichte ist besonders und exemplarisch.
Weitere Texte zu diesem „Paradebeispiel“ deutschen Doggen-Schutzes finden Sie am Schluss des Artikels.
Ein seltener Festtag für Doggenbesitzer. Der Exotengrad des Jubiläums steigt mit Größe und Gewicht des Jubilars.
Marius wird heute zehn Jahre alt!
Marius: Kopfporträt vom 7. März 2011. Die steingraue Eminenz! (Und natürlich bewegen wir uns im Freien keinen Meter ohne Halti!) |
Zweimal ist es mir bisher gelungen, Doggen auf ein respektables Alter zu bringen: Mano auf 11 Jahre und 10 Monate; Pebble auf 11 Jahre und 4 Monate. Weitere Rekorde bei andersrassigen Hunde zählen nicht wirklich: Mein erster Hund Ali, ein Dackel-Mix, wurde 17 Jahre alt. Mein Weltmittelpunktspudel Tacco, ein einäugiger weißer Kleinpudel aus dem Zirkus, ebenfalls.
Für Marius hatte ich selbst die für Doggenhalter schon bescheidene Lebenserwartung drastisch runtergekürzt; auch aufgrund seiner Größe mit 90 Zentimeter Stockmaß und einem Gewicht von 70 Kilo. Und seiner Vorgeschichte!
Verschiedene Wegstrecken-Kumpels haben wir lange schon verloren: Der gleichaltrige Berner-Senn-Mix-Rüde Wizzard aus der Nachbarschaft, dem man beim Thema Lebenserwartung im Abgleich mit der Dogge die angeblich so glanzvollen Perspektiven geneidet hatte. Wizzi ist vor zwei Jahren gestorben (unklare Todesursache).
Marius’ Schwester Aimée, Augenstern ihrer Halter, für die kein Futter exzellent genug, kein Tierarzt, keine Klinik zu teuer waren: Sie ging im Sommer 2009 über die Regenbogenbrücke.
Auch Doggenhündin Lotta, altersmäßig gleichauf mit Marius, ist schon lange nicht mehr bei uns, obwohl ihr neben der empathischen Bindung zu Frauchen alles zur Verfügung stand, was man für Geld kaufen kann.
Marius aber atmet ein und atmet aus, lauscht den Stimmen, die nur er hören kann, stiert den Sphären nach, die sich nur ihm zeigen, und ließe keine Gelegenheit aus, andere Wesen unterzuordnen – man erlaubte es ihm denn!
Und heute, am 8. März 2011, treten wir beide vor: Ja, da sind wir! Marius lebt. Es ist sein Ehrentag (und meiner auch!). Wir feiern seinen zehnten Geburtstag.
Und wehe die Zucht kommt daher und stickt sich Marius’ Geburtstag als Verdienst für eigenes Tun auf ihr Label; als Beleg für die doch nicht so moribunde Deutsche Dogge; als Beweis für eine doch mögliche halbwegs akzeptable Lebenserwartung dieser Exotenrasse. Dann kämen wir persönlich vorbei – und vergessen den Maulkorb!
Die Anfänge: Ein schwäbischer Bauer wollte den schnellen Euro machen, hat irgendeinen Rüden über seine DDC-Hündin gejagt. Und von den fünf Welpen dieser Gewinnmaximierungsaktion ist Marius der einzige, der noch lebt!
Status quo des Jubilars
Marius hört Stimmen.
Er sieht … ? Geister?
Kurz, im Kopf ist Party! Und ich drücke mir jeden Tag die Daumen, dass er mich wenigstens noch erkennt. Bei Menschen spräche man von Demenz.
Der Grad seiner „Umgänglichkeit“, um mal einen extremen Euphemismus zu bemühen, ist jetzt maximal gering. Und sie war früher schon nicht gerade ein auszeichnender Wesenszug des Meisters, um nicht zu sagen: DAS Vermittlungshemmnis schlechthin!
Aber sonst geht’s gut: Sein Futter nimmt er gierig. Und in Vorfreude aufs Gassi stürmt er mit einer Kraft nach vorne, die staunen macht. Die Optik einer seiner erklärten (kaninen) Feinde im Gelände fordert dann doch wieder alle Führungsstärke an, um Unerfreulichkeiten zu verhindern. Bei dem Matsch im Kopf geht Alpha keine Risiken mehr ein.
Im Gelände sind wir rasant unterwegs. Je nach Tagesform werden 30 bis 40 Minuten beim „großen“ Gassi angefordert, die Marius wie eh und je im flotten Tempo am E-Mobil über vier bis fünf Kilometer absolviert. Und wenn es mal einen Tag nicht so gut läuft, dann wir machen wir kein Drama draus, leiten keine Tendenzen ab.
Indoor lebt er schon seit einiger Zeit eher zurückgezogen und will seine Ruhe haben. Ein laufender Fernseher nervt und induziert gern den Platzwechsel ins ruhigere Schlafzimmer (und bequemere Bett).
Eine interessante wie tröstende Erfahrung ist der Verlauf seiner ausgeprägten Spondylose. Nach drei wirklich harten Wintern, während derer er von November bis April durchgehend mit Schmerzmittel behandelt werden musste, ist die Versteifung der Wirbelsäule jetzt abgeschlossen – und er ist mithin schmerzfrei. Sogar die Urininkontinenz, die phasenweise alberne Höschen notwendig machte, hat sich gegeben.
Treppen sind natürlich unmöglich! In einer Haltung, deren zentraler Lebensbereich nur über Treppen zu erreichen ist, wäre schon vor eineinhalb Jahren Schluss gewesen. Das ist ein neuerlich klares und empirisch gestütztes Votum gegen die Vermittlung von Doggen in Haushalte, zu denen der Zutritt über Treppen obligatorisch ist.
Die massive Muskelatrophie hinten rechts ist auch irgendwie zum Stillstand gekommen und offensichtlich können wir einen minimalen Muskelstatus aufrechterhalten, der es ihm ermöglicht, sein Gewicht noch ohne Hilfe aus dem Liegen nach oben zu stemmen. Verantwortlich für diese grundvoraussetzende Muskelkraft mache ich die tägliche flotte Bewegung. Hier ist das Regime eine ständige Gratwanderung zwischen Muskelerhalt und Vermeidung von konditioneller Überforderung.
Das rechte Hinterbein schleift Marius weiter leicht nach. Deshalb trägt er schon seit gut zwei Jahren permanent und immer im Freien einen soliden Schuh, der verhindern muss, dass die Krallen bis aufs Krallenbein blutig geschliffen werden. Funktioniert einwandfrei, wenn man von den regelmäßigen Investitionen in den nicht ganz billigen Schuh absieht.
Marius – Hinterhand-Situation am 07.03.11: Die starke Atrophie ist fotografisch schwer darstellbar. | Das rechte Hinterbein ist ungleich stärker von dem Muskelschwund betroffen als das linke. Und nur das rechte Bein schleift nach. |
Neben der strengen Beobachtung von Body-Mass-Index und filigran ausgetüfteltem Bewegungsregime mache ich als dritten Kausalfaktor für die relative Langlebigkeit meiner Doggen die konsequente und nur für wirkliche Notfälle durchbrochene Tierärzte-Abstinenz verantwortlich.
Lange leben OHNE Tierarzt!
Wenn ich nur allein an die veterinärmedizinischen „Angebote“ im Kontext mit der Diagnose Spondylose für Marius denke. Nein, danke! Meine alte und sehr schmerzhafte Dogge wird nicht neuerlich und womöglich im Liegen geröntgt, womöglich auch noch ohne jede therapeutische Perspektive durch CT und MRT geschoben, allen möglichen, den physiologisch determinierten Abläufen sinnlos entgegengestemmten Therapieansätzen unterzogen, ebenso hochrisikobehaftet wie sinnlos infiltriert und medikamentös anderweitig vergiftet und durch permanente Tierarzt- und sonstige Behandlungstermine gestresst.
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Marius wird heute zehn Jahre alt:
– ohne Ultraschall des Herzens,
– ohne ACE-Hemmer,
– ohne Dieuretika,
– ohne (mehr als 1)Röntgen,
– ohne MRT,
– ohne CT,
– ohne Rückenmarksinfiltration,
– ohne Kniebehandlung,
– ohne alle möglichen Nahrungsergänzungsmittel à la Arthroflutsch und
Gelenk-o-san,
– ohne toxische Allopathie gegen altersgemäße Demenz,
– ohne Grünlippmuschelkalk,
– ohne Algen,
– ohne Öle.
Ein Homöopathikum hier, eine Bach-Blüte dort, gern und satt Heilerde. Ende Gelände!
Herrliche Anekdote im Zusammenhang mit seinem Blutohr vor einigen Jahren. Sie trägt eine tiefwahre Botschaft: In der einen Ecke des Behandlungsraums ein hochaggressiv knurrender, dabei vor Angst zitternder Marius mit Maulkorb plus meinereiner, in der anderen Ecke eine ebenso ängstliche wie hilflose Tierärztin plus Helferin. |
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Sie würden nicht glauben, wie empfänglich |
Verkündung: „Wir machen einen neuen Termin. Zu dem bestelle ich fünf Helfer ein.“ |
Sieben Leute sollten mit ihrer ganzen Körperkraft und weiteren Zwangsmaßnahmen den Meister zur Duldung der Ohrpunktion „überreden“, deren Sinn an sich schon mehr als fragwürdig ist. Wir sind gegangen – und nie mehr wiedergekommen, haben stattdessen einen großen Becher Tensolvet-Gel besorgt und das Ohr wochenlang dick eingeschmiert. Dann war das Thema Blutohr erledigt! Und fünf andere Leute konnten zu Hause bleiben!
Der letzte Gang wird auch noch einmal schwierig. Aber hier vor Ort steht uns eine Tierärztin zur Verfügung, deren Marschroute lautet: „Sie sagen uns genau, wie Sie es haben wollen, Fr. Burger, und dann machen wir das so!“ Wer denn bitte anders als ich sollte wissen, wie man den Meister händeln kann?
Und vielleicht schenkt uns das Schicksal als Belohnung dieses eine Mal einen Tod ohne tierärztliche Hilfe? Wohl nicht sehr wahrscheinlich! Aber das packen wir dann auch noch!
Tun Sie es nicht!
Eine andere durchgeknallte Dogge vor etwa zwei Jahren: Eine Tierschützerin zu deren wirklich miesen Vermittlungsaussichten: „Vielleicht findet sich ja noch mal jemand wie du für Marius!“
Hoffentlich nicht!
Marius und ich sind keine Vorzeigegeschichte.
Ja, ich habe mich an ihm zum Märtyrer gemacht.
Nein, ich würde es nie mehr wieder tun.
Und nein: Ich kann das niemandem empfehlen!
Bisher habe ich Marius unfallfrei geführt. Die Tonnen an Nerven und die Hektoliter an Adrenalin, die ich dabei gelassen habe, hat keiner gemessen. Und dass bei vielen Situationen auch eine dicke Portion Glück dabei war, das zuzugeben verlangt die Ehrlichkeit.
Mit göttlichem Beistand wird mir die unfallfreie Führung hoffentlich auch bis zum Ende gelingen. Und dann knie ich nieder und danke denen, die mir dabei geholfen haben und die nicht auf diesem Erdenrund zu finden sind!
Und wo sie ganz besonders nicht zu finden sind: unter den Doggenschützern! Da war die Prüfungsdauer von gut über acht Jahren ausreichend lang, um zweifelsfrei zu beweisen, dass ihn schlicht alle im Stich gelassen haben! Mitsamt ihrem unanständigem Spendenreichtum, eigentlich für Tierschutzdoggen bestimmt, aber nur denen darunter abgemessen, deren Halter sich fügsam zeigen und nicht aus dem Kreis brav blökender Claquere ausscheren.
Empfehlen also kann ich eine solche Märtyrerchose nicht. Keiner, der so eine Marius-Geschichte nicht selbst durchgezogen hat, kann auch nur nährungsweise abschätzen, was da auf ihn zukommt. Deshalb reden Tierschützer, die für Hunde wie Marius Doofe suchen, wie der Blinde von der Farbe. Und keiner darf von niemandem erwarten oder auch nur darauf spekulieren, dass jemand so viel an Lebensqualität einbüßt wie das Führen solcher Hunde notwendig macht.
Ich liebe Marius. Wir beide haben eine bis zur Untrennbarkeit miteinander verwobene Geschichte. Wir sind so verkruspelt, dass es keine Trennung gibt. Deshalb wird sich der Schmerz, wenn der Buuutz dann geht, in Grenzen halten. Denn Marius wird immer ein Teil von mir sein. Er hat sein Leben gehabt. Und ich habe es ihm ermöglicht!
Und es gibt auch noch ein paar unerquickliche Wahrheiten, die aus Pietätsgründen hier jetzt nicht thematisiert werden. Vielleicht werden sie eines Tages publizistischer Teil postmortaler Trauerarbeit sein.
Die eine Andere!
Die Doggen-Schützer haben alle versagt, samt und sonders! Diesbezügliche Lobeshymnen und aufgrund nur kurzfristig erhaltener Zuwendung auch seinerzeit begründete Danksagungen sind längst Geschichte (die ich heute so nicht mehr schreiben würde).
Verlässliche, dauerhafte und Marius’ lange Lebenslinie begleitende tatkräftige wie auch materielle Hilfe kommt, wen wundert’s?, aus stilleren Ecken, wo kein Gutmenschenlärm zu vernehmen, kein Heiligenscheinlichtlein blinkt, kein Gästebuch für oberpeinliche Selbstbeweihräucherungen installiert ist. Andrea Kilian-Schulz, erst spät hinzugestoßen, hält Marius bis heute die Stange. Und er ihr. Denn wenn es außer mir noch irgendjemanden gibt, von dem er sich führen lässt, dann ist es sie.
Danke, Andrea, dass du Marius bis heute nicht verlassen hast! (Und sie hat es mit mir auch nicht einfacher als alle anderen …)
Und es gibt noch jemanden, dem wir danken, der aber nicht erwähnt werden möchte! Merci!
Heute feiern wir.
Was morgen ist, das wissen wir nicht. Wir werden es so nehmen, wie es kommt. Marius weiß Bescheid. Ich habe es ihm gesagt: „Du darfst jederzeit gehen, Bube!“
Unsere Geschichte bleibt!
Soo hatte es mal angefangen! Marius noch im Tierheim Biberach 2002. |
Weitere Texte zu Marius hier:
04.11.2003: Marius und der Perückenbock
30.01.2004: Marius – eine Bewertung von kompetenter Stelle
16.11.2008: Was macht eigentlich … Marius