Aua25: Tierschutzskandal Zarenhof – 6 Thesen: Folge 2: Gesunder Menschenverstand, Qualität statt Quantität

{TS-/DS-Kritik}  Dies ist die zweite Folge der dreiteiligen Artikelserie Tierschutzskandal Zarenhof – 6 Thesen. In dieser Folge werden die Leitorientierungen gesunder Menschenverstand und Qualität statt Quantität thematisiert.

 

3.  Primat des gesunden Menschenverstandes

Der Tierschutz insgesamt muss weg von der gesellschaftlich auch nicht akzeptierten übersteigerten Emotionalität. Ina Smith hat die einzig praktikable Gewichtung zwischen Ratio und Emotion auf ein akzeptables Zahlenverhältnis gesetzt: 80 Prozent Verstand, 20 Prozent Herz!

Wenn die Tierschützer wieder vernünftiger werden, dem gesunden Menschenverstand Raum geben und zeitgleich eine gesunde Portion Skepsis entwickeln, werden sie viele Dinge aufdecken, bevor sie wie im Fall Zarenhof eskalieren: Wie kann es sein, dass eine einzige Frau 70 Hunde, darunter viele Doggen, ganz allein versorgt und betreut? Ja, wie kann es schon sein, dass sie eine solche Menge Hunde zusammen in einem Haus hält? Und 70 ist nur das Extrem. Man kann schon nicht glauben und ich konnte mich auch von den für die Hunde nachteiligen Folgen selbst überzeugen, wenn zwei Frauen angeben, sich um 20 (plus/minus)  in einem Haus umherlaufende Hunde zu kümmern; die Hälfte davon wieder großrassig, immer wieder noch aufgestockt durch ganze Welpen-Würfe.

Wirft man dann gesunden Menschenverstand und Professionalität zusammen, kann man auf wissenschaftliche Erkenntnisse wie die des sozialen Stresses zurückgreifen, um selbst einzusehen, dass solche Haltungen nicht dem Wohl der Hunde dienen können! Auch hier hilft uns die Zarenhof-Dokumentation, belegt sie doch in vielen Berichten anschaulich, was dieser Gruppenstress z. B. für Welpen bedeutet.

Die Fälle sind endlos: Derzeit recherchiere ich über einen kleinen Verein, bei dem die erste Vorsitzende zeitgleich die Tierheimleiterin ist (Interessenskonflikt!) und angibt, zusammen mit zwei Ein-Euro-Jobbern insgesamt 100 Tiere zu versorgen – und ihren Mann als Pflegefall! Jede mit gesundem Menschenverstand außerhalb des Tierschutzes stehende Person weiß, dass so etwas schlicht und einfach nicht möglich ist! Warum wissen das die Tierschützer nicht?

Auf der pragmatischen Ebene führt dieses Primat des gesundes Menschenverstandes zusammen mit der Professionalität dann zwangsläufig dorthin, die pseudo-privaten Tierhaltungen von Tierschützern zahlenmäßig drastisch zu begrenzen. Wo genau man die Grenzen setzt, muss diskutiert werden. Aber mehr als zehn in einem Haushalt frei umherlaufende Katzen sind schon verhaltensbiologisch kaum mehr vertretbar (vgl. Rosemarie Schär mit ihrem Diktum, dass die Wahrscheinlich von Unsauberkeiten bei einem Bestand von 10 Katzen bei 100 Prozent liegt). Für die Hundehaltung gab es mal eine sehr anschauliche Orientierung: Nicht mehr Hunde als Hände in einem Haushalt! Wenn zwei Personen zehn im Haus lebende, frei herumlaufende Hunde versorgen müssen, haben sie schon mehr als genug zu tun. Ob bei dieser Bestandsgröße wirklich alle Hunde jeden Tag auf ihren Spaziergang kommen, ist schon fraglich, wenn man voraussetzt, dass niemand mit mehr als zwei Hunden gleichzeitig verantwortungsbewusst nach draußen gehen kann. Im Notfall hat er eben nur zwei Hände und kann maximal zwei Hunde gleichzeitig halten.

Das Primat des gesunden Menschenverstandes muss dann auch zu einer kritikfähigen Haltung gegenüber den Angeboten der Veterinärmedizin führen. Unter Rückgriff auf Professionalität und eigene Grundkenntnisse zu den elementarsten physiologischen Zusammenhängen befähigt ein gesundes Maß an Skepsis Tierschützer dazu, diese Angebote erst einmal kritisch zu überprüfen. Ganz aktuell und mit einem dramatischen Fall aus der HundKatzeMaus-Sendung vom 30.10.2010 kann man dann vielleicht über Abgleiche mit Erkenntnissen aus der Humanmedizin feststellen, dass sich dort schon manche Eingriffe und Behandlungsoptionen ad absurdum geführt bzw. als nicht erfolgversprechend erwiesen haben.

Eine ordentliche Portion Menschenverstand und gesunde Skepsis sind vor allem auch bei der Rezeption dessen angebracht, was uns die Medien so alles unter dem Label „Tierschutz“ offerieren. Wenn sich im Kontext mit dem Zarenhof Tierschützer auf die mediale Berühmtheit der Animal-Hoarderin herausreden, dokumentiert das einen erschütternden Kinderglauben daran, wie man ins Fernsehen kommt: Exzellente Beziehungen und sich selbst gut verkaufen können, das sind die Schlüssel zu medialer Berühmtheit, nicht aber ethische Vorzüglichkeit und qualitativ guter Tierschutz! Auch andere aktuelle Fernsehsendungen (vgl. dazu die Doggennetz-Artikel-Serie zur MDR Doku-Soap „Leben für 4 Pfoten“) zeigen in den wenigsten Fällen guten und modernen Tierschutz, verbraten dafür lieber uralte Klischees von emotional überqualifizierten Menschen, die sich unter Tränen liebevoll der geschundenen Kreatur zuneigen. Das hat mit modernem Tierschutz nichts zu tun!

Und nicht an letzter Stelle fällt unter das Primat des gesunden Menschenverstandes das ausnahmelose Verdikt des Personenkults, wie er überall im Tierschutz anzutreffen ist. Personenkult ist ein Merkmal totalitärer und faschistischer Strukturen, wie man sie unter Stalin, Mao, Hitler oder Honecker in all ihren grausamen Facetten kennen gelernt hat oder auch aktuell in totalitären Staaten heute noch kennt. Schon allein deshalb verbietet sich die moralische Überhöhung von einzelnen Personen. Den fatalen Zusammenhang zwischen Personenkult und Tierschutz-Skandalen hat der Artikel Aua 21: Tierschutzskandal Zarenhof: Die Verursacher (www.doggennetz.de, aktuell & kritisch) herausgearbeitet. Moderner Tierschutz muss ohne all die Pferde- und Hundeflüsterer, die Tierschutzengel, die Mutter Theresas und Doggenmamas auskommen, wenn er eine seiner wichtigsten Existenzvoraussetzungen nicht verspielen will: gesellschaftliche Akzeptanz.

 

4.  Qualität statt Quantität

Sonja Zietlow hat mit ihrem mutigen Statement zur Qualitätsgarantie für gerettete Tiere (s. o.) schon eine Leitorientierung gesetzt. Aber dem Qualitätsgedanken muss auf viel breiterer Ebene Raum verschafft werden. 20 oder gar 70 frei umherlaufende Hunde in einer pseudo-privaten Tierschützer-Haltung im Haus ist keine Qualität. Qualität und Professionalität aber sind Hunde-Kleingruppen-Haltungen, wie ich sie z. B. jüngst bei der Besichtigung des BMT-Tierheims in Pfullingen sehen durfte: vier bis fünf Hunde in eigenen Gruppen mit Innen- und Außenzwinger, jeder Menge Platz und Rückzugsmöglichkeiten. Das ist Qualität!

Qualität ist nicht, wenn eine vergleichsweise kleine Tierschutzorganisation in ihrem Jahresbericht unhinterfragt angibt, über 500 Tiere vermittelt zu haben. Das ist schlichte Quantität auf dem Level von Tierhandel. Vermittlungen von Tierschützern haben einen enormen Aufwand mit Vorgesprächen, Vorkontrollen, Nachbetreuung, Nachkontrollen und einem zumindest anfänglich eng getaktetem Gespräch mit den neuen Tierbesitzern. Bei über 500 Tieren pro Jahr bedeutet das für eine Handvoll Tierschützer: zwei Vermittlungen pro Tag. Das ist keine Qualität, wie sie unter dem Label Tierschutz verlangt werden muss.

Immer wieder liest man auf Tierschützer-Sites Vermittlungszahlen, die sich ganz offensichtlich an Quantität orientieren, um am Ethik-Markt bestehen zu können – und damit genug Spenden zu bekommen.

Den Finger am Stellhebel zwischen Quantität und Qualität haben auch die Spender, die sich weniger von Horror-Leidensgeschichten einzelner Tiere und dem Eigenlob der rettenden Tierschützer beeindrucken lassen sollten, sondern von der Erfüllung oben genannter Kriterien: Wer ist qualifiziert? Wer beweist Transparenz und legt alle relevanten Vorgänge offen? Wer handelt nach verlautbarten Ethik-Grundsätzen? Wer dokumentiert Prinzipien seiner Tierschutzarbeit?

Fortsetzung des Artikel ins Aua 26: Tierschutzskandal Zarenhof – 6 Thesen / Folge 3: Ethik-Grundsätze, hoheitlicher Tierschutz