Aua24: Tierschutzskandal Zarenhof – 6 Thesen: Folge 1: Kontrolle & Transparenz, Professionalität

{TS-/DS-Kritik} 

Seit über vier Wochen tobt die Diskussion über den Skandal Zarenhof. Und die Verantwortung wird zwischen den Beteiligten hin- und hergeschoben wie eine verwurmte Kotprobe, ohne dass sich jemand zur Wurmkur entschließen könnte. Konstruktive Ansätze in der Diskussion über die Vorgänge sind bisher nicht zu erkennen.

Es ist nicht an dem, dass bisher noch nie solche Tierquälereien von Tierschützern bekannt geworden wären. Aber dieses Mal werden die Zustände medial optimal begleitet: mit Bildern, Videos, einer Fülle von Zeugenaussagen etc. Deshalb erhält dieser Fall außergewöhnlich viel Aufmerksamkeit. Kaum ein Tierschutz- oder Hunde-Forum im Netz, auf dem der Zarenhof nicht diskutiert würde.

Das war der positive Teil!

Leider geht die gesamte Diskussion und Webdokumentation bisher nur in eine einzige Richtung. In des Tierschützers liebste Richtung: Empörung, Schuldzuweisung und Aktionismus! Die emotionalen Schreikrämpfe steigern sich hier und dort schon zu Lynchjustiz-Phantasien gegenüber einer „Tierschützerin“, der man bis vor wenigen Wochen gehuldigt hatte bis zum Abwinken!

Deshalb Achtung: Die Tierschützer könnten jetzt eine große Chance vertun! Natürlich muss der Skandal komplett aufgearbeitet, müssen Vor- und Nachlauf aufgedeckt werden, frühe Zeugen zu Wort kommen und müssen auch die Behörden auf ihre Verantwortung festgenagelt werden.

Aber bei aller Empörung, bei aller Wut ist nicht zu vergessen, dass dieses Phänomen strukturell bedingt ist.  Und wenn sich an den Strukturen im Tierschutz nicht bald und im Konsens ganz grundlegend etwas ändert, empören wir uns heute über Gesa K. und morgen über Lieschen M. und übermorgen über Herr und Frau F. … ad infinitum!

Deshalb muss spätestens jetzt eine breite, engagierte und ernst gemeinte Diskussion darüber beginnen, wie man strukturell Tierschutz im 21. Jahrhundert so ändern kann, dass solche und andere Furchtbarkeiten nicht mehr oder nicht mehr so häufig vorkommen.

Und dieser Diskussion liefert Doggennetz ein Thesenpapier. In dieses fließen Erfahrungen und Beobachtungen verschiedener Tierschützer und Tierfreunde zusammen, die über Jahrzehnte hinweg akribisch analysiert haben, was schiefläuft. Es ist nicht so, dass sich nachfolgend gelistete Werte und Prinzipien eine einzige Person ausgedacht hat. Sie sind jetzt schon Konsens unter denjenigen, die durch den Zarenhof-Skandal nur in ihrer Auffassung bestätigt werden: SO KANN ES NICHT MEHR WEITERGEHEN!

Diesen Thesen muss man nicht zustimmen. Im günstigsten Fall sollte sich aber über diese Punkte eine Diskussion entwickeln. Sicherlich wird man diesen oder jenen Vorschlag verändern oder modifizieren wollen-können-müssen. Wichtig ist allein, dass sich ausgehend vom Zarenhof-Skandal eine Perspektive entfaltet, die das Risiko weiterer solche Exzesse auf Kosten von Tieren unter der Obhut von Tierschützern entscheidend mindert.

 

1.  Kontrolle und Transparenz

Dass politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Abläufe zum einen einer vereinbarten Kontrolle unterworfen sein müssen, zum anderen für alle Außenstehenden transparent sein müssen, ist schon lange gesellschaftlicher Konsens – außerhalb des Tierschutzes! Nicht umsonst gibt es internationale Nichtregierungsorganisationen, die sich genau diese Transparenz zum Ziel gesetzt und zum Aktionsnamen gewählt haben: Transparency International.

Und besonders im Fundraising-Bereich, zu dem auch der Tierschutz gehört, ist Kontrolle und Transparenz schon längst das, was Stefan Loipfinger von Charity-Watch.de als „Branchenstandard“ bezeichnet: „Wer fremdes Geld sammelt, der sollte über die Verwendung der Mittel transparent informieren. […]  Für seriöse Organisationen ist dies selbstverständlich. […] Über die Vorgaben von DZI, Spendenrat und VENRO ist die Veröffentlichung der Mittelverwendung quasi zum Branchenstandard erklärt worden. Deshalb gilt: Wer nichts zu verstecken hat, der wird dem Spender offen und ehrlich erklären, was er mit seinem Geld getan hat. Wer dazu nicht bereit ist, der grenzt sich selbst vom seriösen Teil der Branche ab“ (Stefan Loipfinger, www.charitywatch.de).

Die „Großen“ der Branche tun dies längst: wahlweise gegenüber dem DZI, dem Spendenrat oder als kostengünstigere Variante eben gegenüber CharityWatch.de.

„Kontrolle“ bedeutet nicht ausschließlich die Kontrolle durch die entsprechenden Fachbehörden wie z. B. die Veterinärämter. Kontrolle geschieht auch durch „leichtere“ Strukturen wie z. B. eine Vereinsorganisation. Auf der praktischen Ebene führt dieses anerkannte Instrumentarium dann zu dem Entschluss, nur noch Vereine oder andere gesetzlich definierte Rechtsformen zuzulassen und zu unterstützen.

Im Tierschutz jedoch tummeln sich Legion von Privatpersonen, die weit über einen privaten Rahmen hinaus Tierschutz betreiben. Oft geben sie sich Namen, die das private Engagement nicht mehr erkennen lassen. Aber weil sie Privatpersonen sind, können sie sich auch den üblichen Kontrollmechanismen entziehen. Ihr Tun bleibt intransparent und damit inakzeptabel in einer Tierschutzszene, die sich auf verbindliche Standards einigt und an struktureller Verbesserung interessiert ist.

Dass selbst eine Vereinsstruktur noch keine Sicherheit bietet, das enthüllen die vielen auf CharityWatch.de und andernorts dokumentierten Vereinsskandale. Aber immerhin können Vereine wenigstens zur Auskunft aufgefordert werden. Behörden wie Veterinär- und Finanzämter dürfen kontrollieren und maßregeln. Bei den „echten“ Vereinen jedoch ist auch wieder darauf zu achten, dass sich dort tatsächlich demokratische Strukturen zeigen. Wenn der Verein nur aus fünf stimmberechtigten Mitgliedern besteht, alle wesentlichen Ämter von derselben Person besetzt sind, Vorsitzender und Tierheimleiter eine Personalunion sind, das Kassenamt von der eigenen Schwester oder sonstigen Angehörigen versehen wird, Mitgliederversammlungen nur alle drei Jahre stattfinden u. v. a. m., verliert der Strukturrahmen Verein sofort wieder an regulativer Kraft.

Kontrolle und Transparenz bedeuten des Weiteren, sich an bestehende Gesetze zu halten. Beim Thema Auslandstierschutz ist es de facto momentan so, dass eine nicht unerhebliche Anzahl von Tierschutzorganisationen an den bestehenden Gesetzen (Binnenmarkt-Tierseuchenschutzverordnung, Tierschutzgesetz etc.) vorbei Tiere aus dem Ausland einführen. Das ist schlicht illegal und lässt sich mit keinen moralischen Verweisen rechtfertigen. Wer die bestehenden Gesetze, z. B. die Kategorisierung „gewerblich“ für jegliche Tiereinfuhr von Tierschutzorganisationen, hier für unzureichend hält, muss sich auf parlamentarischer Ebene um Änderungen bemühen. Der Bund gegen den Missbrauch der Tiere tut das derzeit. Und nur dieser Weg ist legitim!

 

2.  Professionalität

Tierschutz im 21. Jahrhundert hat eine Dimension erreicht, der man auf der Basis rein ehrenamtlichen Engagements ohne jede (professionelle) Qualifikation nicht mehr gerecht wird. Natürlich soll auch weiterhin jeder ohne voraussetzende Qualifikation Zugang zu tierschützerischem Tun haben, WENN er bereit ist, sich für diese heute hoch anspruchsvolle Aufgabe fort- und weiterzubilden. Fort- und Weiterbildung ist in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen schon längst eine Selbstverständlichkeit. Warum nicht im Tierschutz?

Organisatorisch ist das überhaupt kein Problem. Es gibt genügend Anbieter sachkundiger Fortbildung, ohne dass man zu selbst ernannten, de facto aber eben überhaupt nicht qualifizierten Hundeflüsterinnen pilgern müsste. Die Tierschutzakademie des Deutschen Tierschutzbundes ist hier zu nennen; die verschiedenen Institutionen, die professionell auf die Sachkundeprüfung vorbereiten; kynologische Fachorganisationen, die zertifizierte Absolventen hervorbringen und ein breites Themenspektrum an Vorträgen, Workshops und Seminaren anbieten.

Es muss zum selbstverständlichen „Branchenstandard“ werden, dass Verantwortliche und Agierende von (eingetragenen) Tierschutzorganisationen auf ihrer Website eine Liste ihrer Qualifikationen und absolvierten Seminare veröffentlichen. Wer dies nicht tut, wer dies nicht vorweisen kann, disqualifiziert sich selbst.

Unter der Leitorientierung von Professionalität kann es dann eben nicht mehr sein, dass Tierschützer zu der von ihnen geschützten Tierart weder über eigene Empirie noch über irgendwelche Qualifikationen verfügen. Aus der Doggenschützer-Szene bietet sich das eindrückliche Beispiel einer Tierschützerin an, die bundesweit Doggen vermittelt und betreut, zu Fragen der Doggenhaltung berät, selbst aber noch nie in ihrem Leben eine Dogge besessen hat. Und solche Beispiele gibt es in allen anderen Sparten des Tierschutzes auch.

Wenn Tierschützer sich die für ihr Engagement notwendigen Fachkenntnisse aneignen, dann können sie auch ihre Aufgaben professionell erledigen. Und das fängt ganz banal und ganz anspruchsvoll bei professionellen Vor- und Nachkontrollen an! Und hier bedeutet „professionell“ die Einsicht, dass es bei diesen Kontakten mehrheitlich nicht darum geht, potenzielle Tierquäler auszusieben, sondern darum, ganz subtile Anspruchs- und Erwartungshaltungen an das neue Familienmitglied aufzudecken, Defizite im Fachwissen aufzuspüren und Tierhalter verlässlich in dauerhafte Kontakt-, Beratungs- und Betreuungsstrukturen einzubinden.

Das bitterste Thema, welches unter den Leitorientierungen Kontrolle, Transparenz und Professionalität komplett auf den Prüfstand muss, ist das Pflegeplatz-System. Das nämlich funktioniert aus genannten Gründen viel zu häufig nicht: Kontrolle ist in dem definitionsgemäß privaten Bereich der Menschen, die sich als Pflegeplatz anbieten, nur bedingt möglich. Ebenfalls an den privaten Status gebunden ist das Defizit an Sachkunde. Leider hat die Rechtsprechung hier auch die ursprüngliche Forderung eines Sachkundenachweis für Pflegeplätze gemäß § 11 Tierschutzgesetz wieder zurückgenommen. Da aber die Tiere, insbesondere auch die Hunde, im Tierschutz sehr häufig traumatisiert sind oder Fehlverhalten zeigen, können private Pflegeplätze diesen Tiere nicht gerecht werden, die über keine Sachkunde darüber verfügen, wie man mit ihnen umgeht.

Fortsetzung des Artikel ins Aua 25: Tierschutzskandal Zarenhof – 6 Thesen / Folge 2: Gesunder Menschenverstand, Ethik-Grundsätze