Aua599: Ukraine: Fragen zur Stellungnahme der Botschaft

{TS-Kritik}

 

In Aua598 erfolgte der vollständige Abdruck einer aktuellen Stellungnahme der ukrainischen Botschaft zum tierschutzrelevanten Thema der Hundetötungen dort.

Aus dieser Stellungnahme ergaben sich noch einige Fragen, die nachstehend behandelt werden:

 

Mobiles Krematorium seit Anfang 2011 außer Betrieb

Das Botschaftspapier geht auf einzelne Vorwürfe der Tierschützer explizit ein. So wird ausdrücklich auf den von den Tierschützern erhobenen Vorwurf, es kämen so genannte fahrbare Krematorien zum Einsatz, Bezug genommen. Der technische (und mithin euphemistische) Begriff in der Stellungnahme für dieses Gerät: „Biomaterialentsorgungsmaschine“. Nach Angaben der ukrainischen Botschaft sei dieses schon seit dem 25. Januar 2011 und mithin weit VOR Beginn der Tierschutzkampagnen außer Betrieb gesetzt worden.

Sollten also weiterhin Bilder von diesem mobilen Krematorium auftauchen, wäre in jedem Einzelfall die Bildquelle und insbesondere das Aufnahmedatum zu hinterfragen. Fänden sich entsprechende Bilddokumente mit überprüfbarer Quelle und Aufnahmedatum, welche den Angaben der Botschaft widersprechen, bittet diese Redaktion um Hinweis.

 

Zeitnahe Bearbeitung der Anzeigen zugesagt

Überdies betont die ukrainische Botschaft ausdrücklich, dass gemeldete Fälle von Tierquälerei zeitnah und angemessen von den Behörden bearbeitet würden.

Auch hier liegt der Handlungsfaden wieder bei den Tierschützern. Nur wenn es dokumentierte Fälle gibt, in denen die Behörden von illegalen Tötungen unterrichtet wurden, ohne dass diese Meldungen irgendwelche Konsequenzen gehabt haben, lassen sich Vorwürfe erheben, die dann zum Beispiel der Botschaft erneut vorgelegt werden können.

 

Vom ETN namentlich keine Rede

Eher ein Schmankerl am Rande ist die Tatsache, dass der Europäische Tier- und Naturschutz e. V. (ETN), der beim Thema Hundetötungen in der Ukraine publizistisch sehr viel Aufsehen erregt, in der Stellungnahme der ukrainischen Botschaft namentlich nicht vorkommt, sondern allenfalls in der Bezeichnung „vielen anderen“ subsummiert sein könnte.

Namentlich ist in der Stellungnahme von der Organisation Vier Pfoten die Rede. Gemeinsame Projekte liefen mit der österreichischen Botschaft und dem Deutschen Tierschutzbund e. V. und – eben – „vielen anderen“.

 

Nachfrage zu  „neuter and release“

Irritierend in der vorliegenden Stellungnahme war insbesondere dieser Passus:

              

Fragwürdig ist auch die von Ihnen erwähnte Alternativlosigkeit der Methodik „fangen-kastrieren-freilassen“, denn, zum Beispiel, die Moskauer Stadtverwaltung hat nach 5 Jahren des Einsatzes dieser Methoden ganz offiziell bestätigt, dass diese Methodik in Moskau vollkommen erfolglos war. Daher wurde in russischer Hauptstadt beschlossen, auf solche Praktiken zu verzichten.

(Stellungnahme der ukrainischen Botschaft zu Hundetötungen wie in Aua598 abgedruckt)

              

Aufgrund dieser Äußerung hat die Doggennetz.de-Redaktion noch einmal bei der ukrainischen Botschaft nachgefragt. Offizielle Unterlagen zu den zitierten Erkenntnissen der Stadtverwaltung Moskau gibt es nur im (russischen) Original (Link).

Und deutsche Tierschützer mit Szenekenntnissen vor Ort hatten schon zu einem früheren Zeitpunkt kritisiert, dass das 2002 begonnene Kastrationsprogramm dort „zu halbherzig“ gestartet worden sei und deshalb „mangels konsequenter Durchführung“ nicht griff (vgl. z. B. Annelie Martin bei Pfotenhilfe Europa)

Plausible Erklärungen und Bewertungen dieses angeblichen Misserfolgs veröffentlichen auch andere Tierschützer mit Russland-Kenntnissen:

              

Hundeleben in Moskau

Der Hartnäckigkeit und zähem Kämpfen der wenigen Tierschutzorganisationen (z.B. „VITA“) und engagierter Bürger in Moskau ist es zu verdanken, dass im Jahr 2002 Bürgermeister Jurij Luschkow das Töten der Straßenhunde durch Abschuss einstellen ließ und 74 Millionen Rubel ( etwa 1,7 Mio. Euro ) in ein Sterilisationsprojekt investiert wurden (Quelle: Berliner Zeitung, Archiv, 12 .02.2008 ). Diese Summe wurde an Veterinär- Organisationen weitergeleitet, die die Tiere kastrieren, chippen und wieder auf die Straße setzen sollten. Ob das Geld diese Organisationen erreicht hat bzw. ob diese nach den Vorgaben gehandelt haben, wurde niemals einer Kontrolle unterzogen. Das Sterilisationsprogramm -mit ungeheurem Kraftaufwand der örtlichen Tierschützer ins Leben gerufen, den Behörden vorgelegt und von J. Luschkow abgesegnet- blieb leider ohne nennenswerten Erfolg, denn es scheiterte an gründlicher Organisation und Logistik. Die Anzahl der Hunde wuchs durch natürliche Vermehrung und Aussetzung weiter an.

(Hundeleben in Moskau auf www.hund-adoptieren.de; Hervorhebung d. Red.)

              

Die Verwendung der Gelder wurde „niemals einer Kontrolle unterzogen“? Dann haben die Angaben der russischen Behörden auch keine Relevanz, denn diese Behauptung wertet die „Erfahrung“ der Moskauer Stadtverwaltung deutlich ab. Solange nicht mit konkreten Zahlen belegt wird, wie viele Tiere wann und wo kastriert und wieder freigesetzt wurden, ohne dass diese Eingriffe an der Problematik etwas geändert hätten, solange sind Statements wie die zitierte aus Moskau ohne Bedeutung.

 

Deutsche Katzenschwemme trotz Kastrationsaktionen seit Jahrzehnten

Allerdings gibt es innerdeutsche Erfahrungen, die in eine ähnliche Richtung verweisen: Seit Jahrzehnten, mindestens seit 20 Jahren, kastrieren deutsche Tierschützer die freilebenden Katzenbestände in der Republik. Und trotzdem waren die Tierheime noch nie so voll mit Katzen wie in den letzten zwei Jahren. Überall platzen sie schier aus den Nähten und die Tierschützer weisen auf die Überfüllung mit Katzen hin.

Zwar wird verschiedentlich vorgetragen, dass der mögliche Lebensraum für freilebende Katzen auch immer weiter begrenzt und eingeengt wird, dass freilebende Katzen häufig völlig unnötig und tierschutzwidrig in die Tierheime eingeliefert werden, aber wo genau die Ursache dafür liegt, dass die Tierschützer trotz erheblicher Aufwendungen für die Kastration freilebender Bestände das Katzenelend nicht spürbar in den Griff bekommen, diese Frage ist bisher ungeklärt.

 

Ukrainische Botschaft stellt Neuter-and-release nicht in Frage

Zurück zum aktuellen Thema: Aufgrund dieser aus Tierschützersicht berechtigt einzuwendenden Zweifel an der Moskauer Erfahrung hat Doggennetz.de noch einmal bei der ukrainischen Botschaft nachgefragt. Dmytro Shevchenko erklärt zur Methode Neuter-and-release wie folgt:

              

Zu der von Ihnen erörterten Frage über die Methodik „fangen – kastrieren – freilassen“ möchte ich mitteilen, dass die Ukraine nie das Programm der Sterilisierung als unwirksam betrachtete. Jetzt laufen in der Ukraine viele Projekte, wo die Hunde sterilisiert werden. Wir wollten einfach darauf hinweisen, dass die internationale Erfahrung verschiedene Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten mit der Methodik „fangen – kastrieren – freilassen“ hat. Es wäre nicht objektiv diese Methodik als alleinig richtige zu bezeichnen, was viele Protestierende machen. Dass diese Methodik die meist humane und in vielen Fällen effektive ist, das bestreiten wir nicht. Und wir lehnen diese Methodik auf jeden Fall nicht ab, sondern setzen sie aktiv ein.

(Presseantwort der ukrainischen Botschaft an Doggennetz.de vom 17.04.2012)

              

Die Frage nach  möglichen Alternativen zu „neuter and release“ wurde  nicht beantwortet.

 

Tierschützer-Kritik der Zukunft

Positiv ist zweifelsohne, dass sich die Ukraine ganz offensichtlich und nicht nur gegenüber den großen Tierschutzorganisationen gesprächsbereit zeigt. Wie belegt, beantwortet sie über die Botschaft sogar Einzelanfragen von Tierschützern. Und – anders als manche große deutsche Tierschutzorganisation – reagiert die ukrainische Botschaft auch auf Presseanfragen von Doggennetz.de.

Im Übrigen kann sich die seriöse Kritik für die Zukunft sich nur an diesem Dialog entlang hangeln. Weitere Fälle müssen ordentlich dokumentiert, mit nachvollziehbarer Bildquelle und Bilddatum belegt und den Behörden zur Stellungnahme unter Bezug auf deren Zusagen vorgelegt werden.

Die „großen“ Tierschutzorganisationen befinden sich im fortlaufenden Dialog mit den Behörden. Von daher sind wichtigtuerische Einzelaktionen wie die von Annett G. (Aua598) nur peinlich und kontraproduktiv.