Aua339: Auslandstierschützer über den Auslandstierschutz (4): Ulrike Feifar

{TS-Kritik}

Die Kritik am Auslandstierschutz wird von  vielen erfahrenen Auslandstierschützern unterstützt. Die Wahrnehmung des Faktums, dass die Missstände selbst keine Erfindung oder praxisferne Fokussierung der Kritiker sind, gibt dieser Kritik das besondere Gewicht.

Deshalb setzt Doggennetz seine Artikelserie Auslandstierschützer über den Auslandstierschutz fort. In Aua184 kam dabei Wolfgang Stephanow zu Wort. Gleich anschließend skizzierte die in Spanien aktive Schweizer Tierschützerin Mo Swatek ihre Kritik (Aua185). In Aua193 demontierte Andrea Maurer von der Tierhilfe Costa Blanca den Mythos des Tierparadieses Deutschland (Schweiz, Österreich).  Yera Halabi appellierte in ihrem Aufruf „Pro Auslandstierschutz“ für Ehrlichkeit und verantwortungsvolles Handeln (Aua300).

Doggennetz freut sich, den bemerkenswerten Text der erfahrenen Auslandstierschützerin Ulrike Feifar abdrucken zu dürfen. Die Autorin hat diesen im Internet schon vielfach empfohlenen Artikel jetzt aktualisiert und der DN-Redaktion zur Verfügung gestellt.

              

Ich bin seit 35 Jahren im Tierschutz aktiv und seit etwa 14 Jahren auch im spanischen Auslandstierschutz.

Mit diesem Statement möchte ich versuchen, meinen Standpunkt zum Tierschutz zu verdeutlichen.

2001 habe ich einen Verein für spanische Windhunde (Galgos) gegründet, um ihn so schnell wie möglich wieder aufzulösen. Soll heißen, ich wollte von Anfang an nicht nur Tiere retten, sondern ich wollte (und will noch immer) die Situation in Spanien verbessern, Menschen aufklären, das Image der in ihrem Heimatland „ungeliebten Galgos“ verbessern, sensibilisieren, ausgewählte Tierschützer vor Ort nach Kräften unterstützen.

Aus diesem Grund war ich auch einige Monate vor Ort, denn ich bin überzeugt, dass man Situationen und Menschen nur beurteilen kann, wenn man sie kennt.

Auf meiner Fahne stand und steht auch, dass man Tiere nicht nach ihrer Vermittelbarkeit aussuchen und aufnehmen darf, sondern sich besonders um die kümmern muss, die sonst niemand haben will, weil sie zu krank, zu alt oder in der medizinischen Betreuung zu teuer sind. Ob die Tiere taub, blind, behindert oder krank sind – die spanischen Partner müssen wissen, dass sie mit den Sorgen um solche Hunde nicht allein gelassen werden.

Kooperation mit festen spanischen Partnern

Ich möchte auch erklären, warum ich nur mit festen spanischen Partner, die absolut zuverlässig sind, gearbeitet habe und arbeite. Niemand kann die ganze Welt retten und wer permanent und wahllos nur dort „zugreift“, wo mit Tötung gedroht wird, verzettelt sich nicht nur, sondern hilft eigentlich langfristig gar nicht. Sicher ist dann der einzelne Hund in Sicherheit, aber damit endet die Rettungsaktion auch schon.

Ja, jedes Leben ist kostbar, aber dürfen wir dabei das Ganze außer Acht lassen?

Ermuntert man damit die Leute vor Ort nicht dazu einfach dazu,  ein „Sterbedatum“ aufs Bild zu kleben, weil es dann besonders schnell geht und man sich erstmal wieder zurücklehnen kann?

Mitleid ist der falsche Weg

Führt man damit nicht Menschen in Versuchung, aus reinem Mitleid einen Hund aufzunehmen, den sie eigentlich weder wollen noch halten können?

Mitleid kann ein gefährlicher Ratgeber sein und sehr sehr oft, wenn Hunde in die Obhut von Tierschützern gelangen, sind es Hunde von Menschen, die sich dazu verleiten haben lassen, nur aus Mitleid zu handeln und dann völlig überfordert sind.

„Als ich im Urlaub war, hab ich ihn/sie gesehen und musste ihn/sie einfach mitnehmen. Aber mein Vermieter erlaubt keine Hunde und eigentlich bin ich auch allergisch …“. Das ist eine typische Aussage von „Rettern“.

Ich weiß, es klingt sehr dramatisch, wenn man 10 Nasen fotografiert und drunter schreibt: „Wenn sie nicht bis zum xx.xx gerettet werden, müssen sie sterben“. Sobald man ein „Gesicht“ dazu hat, will man automatisch sofort was tun, aber viele von den Hunden, die schon lange tot sein müssten, sind immer noch am Leben und bekommen dann regelmäßig „gerade nochmal die Frist verlängert“ und landen in der nächsten Panikmail.

In staatlichen
Perreras werden aber keine Fristen verlängert. Hunde, die einen Tötungstermin haben, werden getötet. Viele dieser ”Retter” haben noch nie ernsthaft versucht, mit privaten Tierschützern in Spanien Kontakt aufzunehmen, um so einen Teil der Hunde aus der unmittelbaren Gefahr zu bekommen. Sie wissen, dass sie dann mehr tun müssen als Mails zu verschicken. Die berechtigten Auflagen der privaten Tierheime sind ihnen zu streng, zu mühsam. Es ist einfacher Mitteleuropäer zu finden, die man mit „wird getötet“ so sehr erschrecken kann, dass sie auf nichts anderes mehr achten.

Selbstverständlich will ich nicht alle Menschen, die Tieren helfen, in einen Topf werfen, aber wenn man mit den Panikmailern aus Spanien näheren Kontakt aufnimmt, trennt sich sehr schnell die Spreu vom Weizen. Und es bleibt sehr viel Spreu …

In Spanien sind die Organisationsstrukturen der Tierschützer mittlerweile sehr gut und Netzwerke sind entstanden, die es auch privaten spanischen Tierschützern ermöglichen ihre Schützlinge über große spanische Orgas unterzubringen.

Die wertvolle Arbeit spanischer Tierschützer

Solche etablierten spanischen Tierschutzvereine werden in Deutschland aber leider oft als „nicht der Hilfe wert“ angesehen, weil es ihnen ja ohnehin so gut geht und die vielen, armen, kleinen Perreras und Tierschützer ja mehr und dringender Hilfe brauchen …

Dabei wird übersehen, dass gerade diese etablierten spanischen Tierheime den Hauptanteil ihrer Hunde von diesen „armen, kleinen Perreras“ übernehmen.

Und es wird übersehen, wie steinig und mühsam der Weg zu dieser Tierschutzqualität war und oftmals immer noch ist. Diese Tierschützer, die heute als „denen geht’s doch gut“ oftmals links liegen gelassen werden, haben nicht nur Panikmails geschrieben …

Sie haben die Ärmel hochgekrempelt und aus Nichts etwas gemacht. Niemand hat ihnen was geschenkt. Die Anfänge waren private Wohnungen und Häuser, Garagen, Schuppen zur Unterbringung der Tiere, Betteltouren, auf unwirtlichstem Gelände erste Zwinger, Handarbeit, viel viel Schweiß, viel Enttäuschung, aber der unbändige Wille Tierschutz RICHTIG zu machen.

Hinter den Tierheimen von z.B. ANAA, ALBA oder BERGA stecken unzählige Jahre harte, härteste Arbeit. Diese Vereine unterstützen heute spanische Tierschützer, die Tierschutz ebenfalls ernst nehmen, sie leisten logistische und finanzielle Unterstützung und nehmen immer wieder Tiere von ihnen auf.

Tierschutz jenseits von Panikmails

Wenn also Hunde von den etablierten Tierschützern aufgenommen werden, sind diese oft aus kleinen Perreras, wo sie auf ihre Tötung gewartet haben. Sie waren allerdings nie Thema einer Panikmail, sondern werden, wann immer es möglich ist, aus den Tötungsstationen geholt und von den „Großen“ aufgenommen, medizinisch versorgt und gehen dann den normalen Vermittlungsweg.

Und ja, es sind auch bei diesen etablierten spanischen Tierschützern absolut bemitleidenswerte, furchtbare Schicksale dabei, aber niemand droht mit Tötung und es geht auch niemand von diesen Tierschützern aktiv auf die Jäger zu, um ihnen die Hunde „abzuschwätzen“ und somit beim Jäger wieder Platz zu schaffen für die nächsten …

Genau das passiert leider bei “Rettern” häufig. Es wird den Jägern die goldene Brücke gebaut:  „Gib mir deine ausgemusterten Hunde und du musst dir keine Sorgen mehr machen.“ …

Die seriösen spanischen Tierschützer gehen den anderen, wieder den steinigen, aber, nach meiner Ansicht, langfristig richtigen Weg: „Du kannst uns deine Hunde bringen, aber du wirst deine Verantwortung nur los, wenn du dich an den notwendigen Kosten für die medizinische Versorgung beteiligst.“

Jetzt werden vielleicht einige sagen: „Das funktioniert doch nie im Leben“ DOCH – wenn man parallel dazu politisch aktiv ist, sozialpolitischen Druck aufbaut und immer wieder das Gespräch sucht, wenn man in Parteien, Schulen, auf Veranstaltungen präsent ist, wenn man mit den Behörden zusammenarbeitet (auch wenn das manchmal unendlich mühsam ist), wenn man die Landbevölkerung sensibilisiert, wenn man Moral umdefiniert.

Moral ist …

nämlich nichts anderes als die Summe gesellschaftlicher Vereinbarungen.

Wenn es also moralisch als nicht verwerflich gilt Hunde aufzuhängen, wird es getan. Sobald sich die Moralvorstellung durch intensive Aufklärungsarbeit ändert, ist es plötzlich doch verwerflich und öffnet Türen für andere, vernünftige Lösungen.

Für Viele ist Tierschutz immer hektisch, muss schnell gehen, ein Wettlauf mit dem Tod

… Aber Tierschutz MUSS mehr sein! Die Zeit, die Umgebungsvariablen zu verändern, MUSS da sein, sonst ändert sich langfristig nichts.

Und hier komme ich zu der Weggabelung „Schwarze Schafe“ – mit schwarzen Schafen meine ich nicht die Leute, die den, nach meiner Ansicht, falschen Tierschutzweg gehen (siehe oben), sondern diejenigen, die erkannt haben, dass das Mitleid der Menschen eine wunderbare Einnahmequelle sein kann. Diejenigen, die auf Bestellung gezielt Galgos bei Jägern kaufen, die Spendenaufrufe starten und die Hunde dann – wenn die Quellen versiegen – „sterben lassen“.

Meist erfährt man auf Nachfrage nicht einmal, wo sich die Tiere eigentlich befinden/befunden haben.

Kritisch sein!

Wenn Sie finanziell helfen wollen – und diese Hilfe ist unbedingt erforderlich, um all das Elend in den Griff zu bekommen – dann sollten Sie, wenn Unklarheiten bestehen, immer nachfragen. Normalerweise wird bei seriösen Spendenaufrufen das wie/wann/wo immer offen gelegt und es gibt Ansprechpartner.

Die „arme Nase“, die unerreichbar in einer Perrera sitzt, wo nur alle paar Wochen mal ein Tierschützer rein darf und wo es keine Ansprechpartner gibt, weil alle Perrera-Mitarbeiter unkooperativ sind, die aber gleichzeitig unbedingt Geld für eine OP braucht, gibt es nicht.

Wenn man nicht in die Perrera kommt, kann ein Hund auch nicht operiert werden.

Das Tierheim, das dringend Geld für Futter braucht, aber keine Rechnungen vorweisen kann, gibt es nicht (auch in Spanien bekommt man Belege).

Auch ich habe mich immer 100%ig abgesichert, bevor ich Spendengelder nach Spanien geschickt habe und – hier ein weiterer Vorteil von festen ausländischen Partnern – habe in all den Jahren so viel Vertrauen aufgebaut, dass ich absolut sicher sein konnte, dass das Geld genau da ankommt, wo es hin soll und muss. Genau wie die spanischen Partner sich darauf verlassen konnten, dass ich die Hunde, die sie mir anvertrauen, nicht im Stich lasse.

Der dümmste Spruch

Ja, ich habe geschrieben „die sie mir anvertrauen“, denn keinem echten Tierschützer ist es egal, was mit den Hunden passiert. Kein Tierschützer, der seine Verantwortung ernst nimmt denkt: „Hauptsache sie sind raus aus dem Tierheim“ oder „Hauptsache: vermittelt“.

„Alles besser als Spanien“ ist einer der dümmsten Sprüche, die ich kenne.

Qualität statt Quantität

Man muss sich vor Augen führen, dass die Verantwortung, die wir übernehmen, eine sehr weitreichende ist. Es geht nicht um irgendwelche Gebrauchsgegenstände, sondern um Lebewesen. Da niemand von uns vor menschlichen Schwächen, Schicksalsschlägen oder dieser furchtbaren Resignation, die oftmals mit dieser Arbeit einhergeht, gefeit ist, muss man versuchen mit allen Mitteln und Kräften das sichere Umfeld, das wir für unsere Schützlinge geschaffen haben, zu erhalten.

Niemand darf schief angesehen werden, wenn er den Rahmen dessen, was er zu tun bereit ist, genau absteckt.
Niemand muss ein Tausendsassa in Sachen Tierschutz sein. Niemand darf als
Schwächling eingestuft werden, weil er z. B. keine kranken Tiere aufnehmen möchte, weil er
sich damit überfordert fühlt etc.

Vernünftiger Tierschutz

Tierschutz braucht nicht nur Multitalente. Tierschutz braucht viele, viele Spezialisten, die ihr Können genau da einbringen, wo es gebraucht wird. Manchmal ist schon eine nutzbringende Antwort zu einer „Expertenfrage“ super wichtig und rettet vielleicht sogar ein Leben.

Man muss nicht höchstpersönlich nach Spanien fahren und Dutzende Hunde einfangen und anschließend eigenhändig operieren und vermitteln, um guten Tierschutz gemacht zu haben.

Man muss sich nicht total übernehmen, um ein guter Mensch zu sein. Im Rahmen der persönlichen Möglichkeiten ein sinnvolles Glied in der Kette zu sein – das ist guter und vernünftiger Tierschutz.

Stärke durch Kooperation

Und die Kette muss stark sein, stark genug, um auch außergewöhnlichen Belastungen stand zu halten. Wenn Glieder dieser Kette Tierschutz-Hopping betreiben, also sich immer dort einfügen, wo es gerade am interessantesten, am schönsten, am angenehmsten, wo die meiste Aufmerksamkeit zu erzielen ist, wird die Kette instabil.

Die beste aller Varianten ist, wenn sich mehrere Ketten verflechten und so eine unzerstörbare Kraft entwickeln. Das ist leider fast immer unmöglich, da die Interessen verschiedener Orgas oftmals sehr unterschiedlich sind.

Gänzlich unmöglich ist es aber nicht.

Es bedarf allerdings viel Feingefühls und auch eines gewissen Maßes an Kompromissbereitschaft.

Konkurrenz statt Kooperation

In vielen Köpfen ist bedauerlicherweise ein starkes Konkurrenzdenken verankert. Es geht nicht generell um DIE Tiere, sondern ausschließlich um die EIGENEN Tiere.

„Wenn da der Hund von der Orga XY hingeht, dann nehmen die keinen Hund von meiner Orga“. Auf den ersten Blick vielleicht noch verständlich, unter übergreifenden Gesichtspunkten natürlich völlig falsch. Wenn die eigene Vermittlungsstatistik wichtiger wird als das Wohl der Tiere und der Menschen, die Tiere aufnehmen, läuft man in die falsche´Richtung.

Es gibt oft den Fall, dass sich Familien für einen Hund interessieren, aber von den Hunden des bevorzugten Vereins keiner so wirklich passt. Dass solchen Familien dann befreundete Vereine empfohlen werden, sollte selbstverständlich sein. Im Tierschutz werden ja keine identischen roten Norwegerpullover angeboten, sondern Individuen, die von Individuen gesucht werden. Und der Deckel soll möglichst genau auf den Topf passen.

Es macht keinen Sinn jemandem, der einen Dackel sucht, den Labrador schön zu reden, nur weil man selbst im Moment keinen Dackel in der Vermittlung hat und die 20 Dackel einer anderen Orga bei der Beratung „unterschlägt“.

Jeder Tierschützer freut sich natürlich, wenn einer seiner Schützlinge ein tolles Zuhause findet, aber wenn es nicht klappt, sollte er sich genau so freuen, wenn es ein Schützling einer anderen Orga schafft. Selbst dann, wenn er von dieser Orga nicht so überzeugt ist, denn letztlich geht es um das Tier und nicht um unsere Sympathien und Antipathien.

Die blanke Wut

Nein, ich bin nicht der „Übermensch“, der frei von jeglichen negativen Emotionen mit Heiligenschein rumsitzt und nur alle glücklich machen möchte.

Ich bin oft nahe an der Explosion. Es gibt Tage, da bin ich so wütend, dass ich mir selber nicht zu nahe kommen möchte.

Es gibt Tage, da interessiert mich all das, was ich jetzt geschrieben habe, nicht und ich möchte mit Tierschutz nichts mehr zu tun haben, aber letztlich versuche ich immer, rechtzeitig die Notbremse zu ziehen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren – die Tiere.

Anwalt sein

Tierschutz ist nicht mein Hobby und ich betreibe Tierschutz nicht, damit ich ein Sternchen im goldenen Buch bekomme und lässig über die Regenbogenbrücke marschieren kann, weil ich ein „ach so guter Mensch“ war.

Ich betreibe Tierschutz, weil die Tiere dringend eine „Anwaltskanzlei“ brauchen. Die Tiere haben mich mit einem Job beauftragt, den ich – auch ohne „Advocard“ – so gut, wie es in meinen Kräften steht – erledigen muss/darf. Und wenn – irgendwann – der Tag kommt, an dem sie mich/uns nicht mehr brauchen, weil die Welt sich geändert hat, weil sie endlich gleichberechtigte Mitgeschöpfe sind, dann können wir unser Mandat beruhigt zurück legen.

Ich fürchte nur, das wird noch ein wenig dauern …

And I am my brother’s keeper,
And I will fight his fight;
And speak the word for beast and bird
Till the world shall set things right.

Bis dahin …. lasst uns weiter einen GUTEN Job für unsere Mandanten machen …

© Ulrike Feifar
ehemals 1.Vorsitzende Far from Fear e. V.
zurückgetreten Juni 2011