Aua122: MARIUS: Der Nachruf auf den großen Meister

{Dogge pur} 

 

      

Er sieht so schön aus. Im Tod. Nicht fremd. Würdevoll. Ruhig.

Nein, er wird nicht gleich aufstehen und jemanden einschüchtern.
Er wird nie mehr aufstehen.

Und wir sind beide einverstanden!

 

Die (ebenerdige) Aufbahrung in der großen kühlen Scheune ist kein Melodram, sondern Sachzwang. Irgendwo muss er im Moment ja bleiben. Und en passant darf man dabei feststellen, dass die alten bewährten Riten Trauerarbeit fruchtbar nach vorn bringen. Wenn man das Ende vom Leben in aller Ruhe betrachten kann, verliert es von seinem Schrecken.

Vier dicke weiße Kerzen drum herum. Aber was deren Licht er-wirkt, das ist zauberhaft: Der lautlos tänzelnde Lichtkranz hält ihn, trippelt webend hin und her zwischen der erkaltenden Realität der erstarrenden siebzig Kilo und der so intensiv spürbaren Gewissheit: ewig selig!

So richtig! So Ostern!

 

Nicht ganz so pittoresk der postmortale Transfer vom Wohnzimmer in die Scheune. Doggenspezifika: Den toten Pudel kann man noch auf Trauerarme gebettet, in Trauertränen gebadet von hier nach dort verorten. Aber mit der Schubkarre im Wohnzimmer? Zwei pietätvoll dreinblickende Nachbar-Kraft-Männer, die den Leichnam …. wuchten …. 

Wie pietätvoll ist das denn? Sachzwang, rücksichtsloser!

 

Doggenabschiede: Patty nähert sich dem Toten wie dem Lebenden: aktiv submissiv, mit hochfrequent kreisender Rute. Der Geruch des Todes trägt keine Botschaft für sie. Für sie ist Marius  ewig.

Marius  IST ewig!

Muffin läuft an ihm vorbei wie an den Gummistiefeln. Triumph mit Anstand, wenn auch unab-sicht-lich.

 

Jahrelang hatte man sich vor dem Grenzübertritt gefürchtet, überlegt, geplant, gecheckt, erwogen, besprochen, vorbereitet. Wenn Euthanasie nötig wird, dann wo? Wie? Bei diesem Verhaltensprofil? Bei der Gastfreundlichkeit? Bei diesem Gebiss? Wenig vorstellbar, dass Marius-Hinfälligkeit und Todesnähe irgendeinen Einfluss auf die Toleranz des Handlings durch den Tierarzt haben wird. Zu Hause oder extraterritorial?

Sachzwang, hilfreicher: Nicht mehr laufen könnend, hat der Meister auch diese Frage selbst geklärt. So typisch! Den kynopädagogischen Tadel von wegen <Reaktion statt Aktion> brauchen wir nicht mehr zu fürchten.

 Wir brauchen gar nichts mehr zu fürchten.


Vor-Sedation. Wir sind allein. Die „Kleinen“ müssen jetzt mal draußen bleiben. Mit dem Tierarzt ist die Zeit abgesprochen. Aber wir haben diese Zeit ganz für uns allein. Marius nimmt das Medikament gierig auf.

Es wirkt.

Marius verliert sein Wichtigstes: Kontrolle. Gefangen in der Körperlichkeit wendet er sich ab. Ich weiß, dass ich ihm helfe, wenn ich das respektiere. Ich sitze dabei. Ich bin da. Des körperlichen Kontakts bedarf es nicht. Schon treten die Augen zurück. Er zieht sich zusammen. Marius  wird ruhig. Ich bin ruhig. Ich muss es sein, wenn ich meine letzte Pflicht an ihm so erfüllen will, dass es ihm hilft. Das war von jeher der Deal, Buuutz: Wo du die Kontrolle abgibst, da übernehme ich sie und sachwalte souverän.

Der Tierarzt kommt. Es hilft nichts. Auch das gehört zu meiner Verantwortung. Der Maulkorb muss drauf. Denn ich kann nicht sicher sein, dass er selbst mich in diesem Stadium noch erkennt. Aber der Maulkorb, weißt’ noch, Marius ?, war schon einmal unserer Freund. Im Tierheim Biberach hat er dir Freiräume eröffnet. Also: drauf!

Ein Tierarzt-Mann. Sachzwang des Ostersonntag-Tierärztlichen-Bereitschaftsdienstes. Aber wir sind ja beide lang vorbereitet einverstanden. Kein Knurrer. Keine erkennbare Aversion. Keine Reaktion auf diese Provokation. Ich atme voraus aus.

Euthanasie ist eine hohe veterinärmedizinische Kunst. Der Mann beherrscht sie in einer Perfektion, wie ich sie in 44 Jahren Hundehaltersein bei keinem anderen erlebt habe, in 25 Jahren Tierschutzarbeit bei keinem anderen bezeugen konnte.

DAS Beste für DEN Besten!

Alles geschieht ruhig, routiniert, sicher, zügig ohne Hektik. Narkose. Der schwere Kopf liegt in meinem Schoß und seine Entspannung flutet mich. Keine Zuckungen, keine Krämpfe, kein Erbrechen.
Alles ist easy! Alles ist richtig.

Letzte redundante Worte. Es ist doch alles gesagt.

Zum Augenreflextest muss der breite Maulkorbriemen nach unten gedrückt werden.

Die letzte Spritze in der diesem Körpergewicht angemessenen Menge. Marius’  Kopf liegt immer noch in meinem Schoß. Drei tief schöpfende, nach außen drängende, nicht nach innen ziehende Atemzüge kappen den letzten Faden.

Marius  ist tot. Der Meister ist gegangen.

Gründliches letztes Abhören: ja!

Als letzte körperliche Befreiung nehme ich jetzt den handgefertigten Marius-Spezial-Maulkorb ab.

 

Buuutz, du bist frei!

 

Gerechtigkeiten

Was ist das eigentlich für eine tröstliche Gerechtigkeit? Ein Hunde-/Doggenleben mit dieser gut bekackten Vorgeschichte, diesen sozialunverträglichen Handicaps und Restriktionen, aber dann ein Mal ein Doggenleben bis zum letzten Tropfen ausschlotzen: 10 Jahre, 1 Monat, 16 Tage! Der ganze großartige Lebensbogen von der überschäumenden Kraft der Jugend über die adulte Souveränität  hinein in die häppchenweise früheres Ungestüm verdauende Abgeklärtheit, lange ausgleitend in Rückzug, Abbau, Kontraktion, auch Demenz. Auch mit Schmerz dabei. Die Lebensfarbe.

Ein so prachtvolles Doggenstück!

Ästhetische Imposanz!

Mythos Marius – am 24. April 2011 bist du unsterblich geworden!

 

In deinem Geist

Ja, es bleibt abgemacht: Ich beiße für dich mit!

Damit der Tierschutz vielleicht doch eines Tages für Biographien wie deine tragfähige Strukturen hat statt leidensbereiter Individuen. Besser noch: sie ganz verhindert, wie träumerisch das auch immer sein mag.

Deine Geschichte ist das kraftvolle Dokument des Versagens eines emotionalen, inkompetenten, egomanen und in letzter Konsequenz erschreckend erbarmungslosen Tierschutzes. Das Recht, dies zu kritisieren, haben wir beide uns über mehr als acht Jahre hinweg hart erarbeitet. Die Ochsentour halt!

Jetzt setze ich mich noch einmal zu dir und atme deine Kraft. Und teile deinen Frieden. Zusammen gucken wir zurück.
Allein gucke ich nach vorn.

Und morgen schreibe ich dann weiter meine Texte.
Hier und dort in deinem Geist!

Mach’s gut, mein Buuutz!