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Aua35: Gastbeitrag Marla Elan: Amour, Glamour, Tortur

                                        
Amour, Glamour, Tortur

von Marla Elan

Schöne neue Welt. Mit wenigen Klicks komme ich ins Paradies, nein, gleich in mehrere Paradiese. Das ist einfach zu toll. Hätte ich früher an Zuchtverbände schreiben oder faxen müssen, um dann ewig auf Antwort zu warten, wäre ich früher jedem Doggenbesitzer auf der Straße hinterher gelaufen, um nach den Erfahrungen mit dieser Rasse zu fragen, kann ich mir diese Mühe nun sparen, dank Internet und Suchmaschine.

Doggen sind schon edle Hunde. Und wie viel Platz und Know-how man braucht, um sie zu halten, diese majestätischen Hunde, die vorm Kamin im Rittersaal mit ihrem kurzen Fell glänzen wie Skulpturen. Haben Sie schon mal Kopfportraits von blauen Doggen gesehen (das sind die anthrazitfarbenen)? Gesichter wie gemeißelt. Oder eine Dogge auf einer Freitreppe aus Granit? Man hat das Gefühl, die Herbstjagd geht gleich los. Doggen haben Windhundblut, sind Begleiter edler Herrschaften zu Pferde.

Deshalb weisen auch die Zwingernamen der Zuchtstätten auf die edle Herkunft hin. Burgen, Landschaften oder sogar Planeten des Universums sind Teil des Namens der Zuchtstätte. Im Norden soll der gelbe Farbschlag Tradition haben. Vielleicht finde ich meine Dogge in einem Zwinger mit wirklich edlem Namen mit lokaler Tradition. Wenn ich Glück habe, erwische ich einen H-Wurf. „Horatio vom Preußenblut“, das wäre mein Traum.

Eine erste Homepage eines Züchters, oooh, die tollen Welpen gleich auf der Startseite. Hier werden zwei Farbschläge gezüchtet, auch gelb.

Bei diesen Züchtern haben die Doggen sogar Pferde als Gesellschaft. Es scheint sich um ein ländliches Anwesen mit Pferdehaltung zu handeln. So gehört sich das. Und da sitzen sie, die edlen Hunde in der Sonne vor einem Bergpanorama. Phantastisch. Auch Informationen über weniger Angenehmes bietet diese Homepage. Schließlich sollte jeder Doggenbesitzer über den Schrecken „Magendrehung“ informiert sein. Solche Infos ergänzen die obligatorische Rassebeschreibung. Nun noch ein Blick ins Gästebuch.  Das soziale Umfeld der Züchterfamilie ist riesig und sehr nett, der Umgangston freundlich, richtig süß. Die schwärmen sogar von ihrer Freundschaft und man merkt schon beim Lesen, wie sich alle schätzen. Eine Herzlichkeit ist das, ja, das wärmt das Herz. Man bekommt richtig Lust, hinzufahren.

 

Letzte Woche wurde eine Zuchthündin dieser Zuchtstätte von Tierschützern aus einer dunklen Scheune befreit. Ihr Ernährungs- und Gesundheitszustand ist sehr schlecht. Der Herr des Hauses legte keinen Wert mehr auf das Tier, konnte sich aber einen professionellen Kommentar beim Abtransport der Hündin nicht verkneifen: „Mit der können Sie noch züchten!“

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Überall am Körper hat die Hündin Verletzungen. Außerdem kann sie nicht normal Kot absetzen. Hier liegt offensichtlich ein Trauma vor, über dessen Gründe man nur spekulieren kann. Doch ihr Charme ist umwerfend: Noch nicht mal sicher auf der Seite des Lebens angekommen, bringt sie ihrem neuen Frauchen das Spielzeugbärchen! (Bild: HP)

Ende des Gastbeitrages

{Dogge pur & Zuchtkritik}   Dieser Winter geißelt uns früh mit extremer Kälte und viel Schnee. Mit Sorge wenden sich die Gedanken aller Tierfreunde jenen Vierbeinern zu, die bei dieser Witterung keinen warmen und trockenen Unterschlupf haben. Auch wenn sich sicherlich die Mehrzahl dieser bedauernswerten Wesen eher in Ost- und Südeuropa befinden, gibt es nicht wenige Fälle auch hier. Gleich um die Ecke.

Buchstäblich kurz vor knapp konnte vorletztes Wochenende eine engagierte Tierfreundin auf der Schwäbischen Alb eine fünf Jahre alte Doggenhündin aus katastrophaler Haltung übernehmen. Von einem Züchter! Früher wohl just in dem Verband züchtend, der schon einmal Gegenstand eines offenen Briefes an den Verband für das Deutsche Hundewesen war, soll dieser Zwinger aber inzwischen wohl ausgeschlossen worden sein.  (Offener Brief: https://www.doggennetz.de/index.php?option=com_content&view=article&id=103;doggenzucht-offener-brief-an-den-vdh-&catid=39;dogge-pur-a-zuchtkritik&Itemid=115),

Nun war die Hündin übrig, die schon per Zeitung zum Verschenken angeboten worden war.

Zum Zeitpunkt der Übernahme dieser ehemaligen Zuchthündin, die in einem lichtlosen und unbeheizten Schuppen auf einer Handvoll Stroh gehalten wurde, herrschte in der Region Dauerfrost. Der Gesundheitszustand des Hundes war zunächst so katastrophal, dass nicht sicher war, ob man sie durchbringen würde: vollständig abgemagert mit einer massiven Scheidenentzündung inklusive Ausfluss (der Anfangsverdacht eine Pyometra bestätigte sich glücklicherweise nicht), des Weiteren einer beidseitigen Bindehautentzündung mit grünem Eiterausfluss. Nach Meinung einer Tierklinik wird man die Augen operieren müssen, nachdem man die Hündin in einen operationsfähigen Zustand gebracht hat. Eine Hypothek auf die Zukunft sind starke Herzklappengeräusche, die auch den Zugang zu dieser eigentlich notwendigen Operation begrenzen.

Das zuständige Veterinäramt war nach Auskunft der Tierfreundin vor Ort schon eingeschaltet worden. Es sollen Auflagen gemacht worden sein. Sonst nichts.

Für die Dogge ist der Horror vorbei. Aber es befinden sich noch andere Hunde in dieser Haltung. In diesem Schuppen.

Das Schicksal spielte für die Hündin, denn sie konnte sofort und ohne Schachzüge über irgendwelche Pflegeplätze auf einen der wenigen letzten Spitzenplätze von Doggennetz vermittelt werden. Jetzt sind drei Wesen ziemlich glücklich: die erfolgreiche und engagierte Tierfreundin vor Ort über die gelungene Aktion, die Doggenfreundin, welche klaglos die nicht unerheblichen Tierarztkosten stemmt, und nicht zuletzt: eine ehemalige Zuchthündin, die ihren früheren Verwendungszweck nur knapp überlebt hat.

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Züchter in den Verbänden werden in Sachkunde geschult – damit zumindest werben die Verbände! Wenn also der Züchter und Vorbesitzer dieser Doggenhündin am Tage des Entstehens dieses Bildes sagt: „Mit der können Sie noch züchten!“, dann kann man das ruhig glauben! (Bild: HP)

Aber das ist quasi eine Standardgeschichte im Tierschutz. Nicht nur bei den Doggen! Alle rassespezifischen Tierschutzorganisationen können solche dokumentierten „Einzelschicksale“ nachweisen. Das ändert nichts.

Deshalb wurde der Fokus in obigem Text einmal auf einen anderen Aspekt gerichtet:

Wie stark das Gefälle zwischen virtueller und realer Welt ist, zwischen dem, was Züchter auf ihrer Homepage schreiben, und dem, was diese Hündin an Leidensgeschichte physisch dokumentiert, dieser Abgrund faszinierte die Autorin Marla Elan.

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Physiologisch-veterinärmedizinisch lässt sich das Augendesaster bündig erklären. Auf einer anderen Interpretationsebene mögen diese Augen nur das widerspiegeln, was diese Hündin an vermutlich kaum recherchierbarem Leid erfahren hat. (Bild: HP)