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Aua29: Tierschutzskandal Gnadenhof M.: Mehr als 100 Hunde beschlagnahmt – Entzug der Hunde verhindert!

{TS-/DS-Kritik}  

In der Tierschützer-Szene ändert sich nach „Zarenhof“ eher nichts. Das zeigen insbesondere die Reaktionen von Tierschützern und deren Peergroups auf Aua28
.
ABER auf anderer Ebene tut sich ganz offensichtlich sehr wohl etwas. Plötzlich nämlich reagieren Behörden, die zuvor bestimmte Animal-Hoarder-Haltungen jahrelang geduldet haben, obwohl ihnen immer wieder substanzielle Hinweise auf gravierende Missstände gegeben worden waren.

Am 11.11.2010 wurde amtlicherseits endlich eine „kritische tierschützerische Märtyrer-Tier-Hortung“ (zur Definition des Begriffes vgl. Aua28) in Niedersachsen, Landkreis Diepholz, zumindest teilweise beschlagnahmt: über 100 Hunde! Die in ersten Presseberichten beschriebenen Zustände belegen: von Dreck, Müll, Gestank und Nässe her so ziemlich ähnlich den Verhältnissen auf dem Zarenhof. Die über 100 Hunde sind jetzt erst einmal in Sicherheit. Gemäß Berichterstattung in kreiszeitung.de entschloss sich die Behörde: „… alle Hunde abzutransportieren, da auf dem gesamten Gelände keine trockene Liegefläche für die Tiere existiert“
(
https://www.kreiszeitung.de/nachrichten/landkreis-diepholz/sulingen/hunde-gnadenhof-evakuiert-1001761.html). Leider wurden noch 40 Katzen, 14 Pferde, Ziegen, Hängebauchschweine und Frettchen in der Obhut der Tierhalter belassen.

Auf diesen „Gnadenhof“  hatte Doggenetz in einem Artikel unter der Überschrift „Warnwort Gnadenhof“ (heute in der Rubrik „TS-/DS-Kritik“) vom 11. Januar 2009 (!!!)  hingewiesen. Also schon vor einem Jahr und 11 Monaten! Ganz erstaunlich zum damaligen Zeitpunkt war die Erfahrung, dass äußerst namhafte Tierschutz-Szenegrößen versuchten, Druck auf Doggennetz dahingehend auszuüben, diesen Artikel wieder aus dem Netz zu nehmen, da es sich um unberechtigte Vorwürfe handele. Selbstverständlich drohte auch die Betreiberin sofort mit Anwalt. Doggennetz hat den Drohungen widerstanden.

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Bilder aus einer von den Gnadenhof-Betreibern zurückgelassenen Immobilie. Das „Ambiente“ hier ist kaum von dem der Zarenhof-Bildern zu unterscheiden. (Bild: W. Koppka)

Ein Tierschützer, der ganz besonders engagiert und mit enormem Standing seit vielen Jahren den Gnadenhof M. beobachtet, dokumentiert und kritisiert hat, ist Werner Koppka vom Tierschutzforum Roter Ara. Trotz massiven Gegenwinds und anwaltlicher Drohungen hielt er u. a. seine aussagekräftige Fotodokumentation über die Zustände an vorherigen Standorten des Gnadenhofs M. zugänglich: hier oder auch hier .
 
Auch eine Video-Dokumentation am früheren Standort bei Bielefeld ist verfügbar:

Doggennetz dankt Werner Koppka dafür, dass er uns die eindrücklichen Bilder aus der Sammlung zur Verfügung stellt.  Jedem Kenner der Materie, der die Räumlichkeiten am vorherigen Standort nach Abzug der Verantwortlichen gesehen bzw. die Fotos zur Kenntnis genommen hat, ist klar, was er vor sich hat.


CharityWatch.de interveniert beim Ministerium

Schon seit Wochen ganz dicht an dem Fall dran ist CharityWatch.de. Dort auch wird zeitnah zuerst und detailliert über Einzelheiten dieses spektakulären Falls berichtet. Bitte beachten Sie auch die Kurz-News vom 13.11.2010 im Vorgriff auf eine umfassende Berichterstattung auf CharityWatch.de.

Vorab hier nur zu dem enormen Recherche-Aufwand und den Bemühungen der recherchierenden Journalisten, nicht nur ihr Thema, sondern auch die Tiere zu retten. Was nämlich bisher in der Berichterstattung über den Fall in Niedersachsen nur marginal erwähnt wird, ist die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft schon vor 14 Tagen (in der 43. Kalenderwoche) auf der Grundlage eines Gerichtsbeschlusses eine Hausdurchsuchung gemacht hatte. Auch bei diesem Termin war ein zuständiger Amtstierarzt anwesend; allerdings nur im Zuge der Amtshilfe. CharityWatch.de hatte schon am 05.11.2010 mit dem Veterinär gesprochen. Zu diesem Zeitpunkt war noch von einem drei Wochen umfassenden Zeitfenster die Rede, während dessen man sich nach Aussage des Tierarztes gedulden müsse. Der ganze Vorgang ist rechtlich sehr kompliziert, weil hier verschiedene Behörden beteiligt und beim Verwaltungsgericht Hannover zu dem Zeitpunkt noch ein Mediationsverfahren anhängig war.

Gegenüber CharityWatch.de gab der Amtstierarzt am 05.11.2010 die Verfassung der Tiere mit den knappen Worten an: „Ernährungszustand: gut. Pflegezustand nicht so gut.“ Ein nicht quantifizierter Teil der Hunde stamme aus dem Ausland, was man anhand der Chipnummern feststellen könne. Die geäußerte Befürchtung von CharityWatch.de,  die Verantwortlichen könnten in dem langen Zeitraum zwischen Hausdurchsuchung und Vollzug der Beschlagnahmung Tiere verschwinden lassen, kommentierte er mit: „Das werden wir vielleicht nicht verhindern können.“

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Ein weiteres „Stimmungsbild“ aus der nämlichen Immobilie. Zusammen mit den älteren Bildern des Videos ergeben diese Dokumente einen anschaulichen Eindruck von der hier betriebenen Tierhaltung.  (Bild: W. Koppka)

Daraufhin schaltete CharityWatch.de das zuständige Ministerium ein, das zu dem Zeitpunkt, zumindest nach Aussage der Pressesprecherin am 05.11.2010, von dem Fall noch nichts wusste. CW verwies auf den Parallelfall Zarenhof und betonte nachdrücklich die „Gefahr im Verzug“. Um diese wichtige Intervention auch dokumentieren zu können, erging noch am selben Tag eine Mail ans Ministerium.


Vorsichtige Organisation im Hintergrund

Besorgt und umsichtig arbeiteten sich die recherchierenden CW-Journalisten durch das komplexe Minenfeld für diesen Fall: auf der einen Seite zu erreichen, dass behördlicherseits schnell vollzogen wird; auf der anderen Seite der Behörde alle potenziellen Stolpersteine aus dem Weg zu räumen, um jeden Hinderungsgrund für den Vollzug der Maßnahme zu eliminieren. Und bei all dem die Sache geheim halten!

Bei allem Mitgefühl für die betroffenen Tiere muss man einfach sachlich anerkennen, dass die Veterinärämter in diesen Fällen ein enormes Risiko eingehen. In Zeiten kommunaler Kassenebbe ist es ein finanzieller Kraftakt, eine derartige Menge von Tieren zu beschlagnahmen und unterzubringen. Und juristisch abgehakt ist eine solche Maßnahme immer erst dann, wenn das Gericht sie nachträglich bestätigt. Da haben Tierschützer und auch Veterinärbehörden ja schon die dollsten Sachen erlebt. Gibt später ein Gericht dem Tierhalter recht, kommen die vollziehenden Behörden in große Schwierigkeiten.

Zudem verfügen die Veterinärämter in der Regel überhaupt nicht über entsprechende Unterbringungskapazitäten. Da bedarf es dann immer auch des Angebots des seriösen und transparenten Tierschutzes: ob in dem historischen Doggenzüchter-Skandal Bohling, ob bei 120 Kangals, die von einem Züchter beschlagnahmt wurden (übrigens von demselben Veterinäramt) oder in allen anderen Fällen von Animal-Hoarding.

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Die Doggennetz-Illustratorin Erri Emra hat das gruppenpsychologisch hinter diesen immer wieder neuen Auswüchsen stehende Problem grafisch auf den Punkt gebracht. Zwar steht noch dahin, ob das Label Animal Hoarding hier überhaupt berechtigt ist oder ob nicht doch ganz andere Fäden diese Protagonisten dirigieren, aber Personenkult, in welcher Form auch immer, ist eine der Hauptursachen dafür, dass man guten kaum mehr von schlechtem Tierschutz unterscheiden kann. (Bild: Erri Emra)

An dieser Bruchstelle sind wir übrigens wieder mitten bei den Doggennetz-Thesen dazu, was sich strukturell im Tierschutz ändern muss, wenn man aus Zarenhof & Co. wirklich Lehren ziehen will (vgl. Aua24 bis 26, wenn eine hoheitliche Aufgabe wie die Beschlagnahmung nicht ohne das Ehrenamt und die Infrastruktur des Tierschutzes vollzogen werden können).

Journalismus tun und Tierschutz nicht lassen! Deshalb bot ich dem Veterinäramt des Landkreises Diepholz Hilfe bei der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten an. Der Veterinär gab sich begeistert.

Noch bis spät am Abend desselben Tages konnte ich durch zahlreiche Telefonate und Mails die Zusicherung verschiedener Tierschutz-Netzwerker und bundesweit organisierter Tierschutzvereine erreichen, bei Vorliegen einer Spezifikation der zu beschlagnahmenden Hunde Unterbringungskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Ausdrücklichen Dank an dieser Stelle hier von mir an Petra Zipp vom Bund gegen Missbrauch der Tiere, die mir sofort auf die Anfrage antwortete und Hilfe zusicherte. Auch den Verein Beschützerinstinkte  e. V. hatte ich am 05.11.2010 informiert und um Hilfe gebeten. Bis heute liegt keine Reaktion vor.

Die Akquisition von Unterbringungskapazitäten wurde durch die noch viel dringender notwendige Diskretion erheblich erschwert. Es war ganz klar: Sollte die Information, dass eine Beschlagnahmung der Hunde unmittelbar bevorsteht, vorzeitig an die falschen „Tierfreunde“ geraten, könnte dadurch die Aktion als ganze gefährdet werden.

Das praktische Hilfsangebot wurde dann aber zumindest bisher von den Behörden gar nicht abgerufen. Und dafür sind auch eher die großen Dachverbände zuständig und gerüstet. Dafür erhalten sie Spendengelder.

 

Staatsanwaltschaft Verden nicht zu erreichen

Behördliche Verlautbarungen zum Vollzug der Beschlagnahmung auf dem Gnadenhof des Ehepaars B., die Kooperationspartner der Tierschutzorganisation Animals Hope sind, fehlen bislang. In einem ersten Pressebericht bei kreiszeitung.de ist zu lesen, dass auch die Veterinäramtsleiterin, Dr. Anja Eisenack, bisher noch weitere Auskünfte unter Verweis auf das laufende Verfahren verweigert. Auch für CharityWatch.de war Dr. Anja Eisenack gestern nicht zu erreichen.

Dieser neue Tierschutzskandal fällt in dieselbe Rubrik wie Zarenhof, nur dass hier noch mehr Hunde und viele weitere Tiere betroffen sind. Über die weit reichenden Hintergründe hierzu wird ausführlich auf CharityWatch.de berichtet werden. Doggennetz wird sich im Anschluss daran erneut mit dem Teil des Tierleids befassen, der strukturell bedingt ist.

Man kann sich übrigens gut an das Rufen in der Wüste gewöhnen … solange man knapp zwei Jahre später ganz gelassen auf die entsprechenden Doggennetz-Artikel dazu verweisen kann. Spannend bleibt die Frage, wie viel Zeit verstreichen wird, bis auf Aua28 zurückzuverweisen ist.

Aktualisierung vom 20. Oktober 2011:

Der von Karin Burger im Auftrag von CharityWatch.de recherchierte und dort auch publizierte Fall „Gnadenhof“ Momo hat auch Eingang in das Buch Spendenmafia von Stefan Loipfinger gefunden (dort in der Erstauflage ab Seite 49).