Aua9: Tierschutzwidrige Anlagen in Tierheimen?

{TS-/DS-Kritik}

So herum kennt man den Vorgang: Ein privater Tierhalter hält seinen Hund nicht vorschriftsmäßig. Die Behörden intervenieren. Im günstigsten Fall wird der Hund beschlagnahmt und kommt dann in das nächstgelegene Tierheim. So weit, so vertraut.

Was aber ist, wenn die Unterbringung im Tierheim selbst tierschutzwidrig ist? Ist so etwas überhaupt möglich? Wie? Wo? Warum?

 

Tierschutzhundeverordnung (TierSchHuV)

 

Wir haben ja schon nicht viel Konkretes im Tierschutz, also konkrete Vorgaben, Verordnungen, Bestimmungen etc. Da muss man dankbar sein für das Wenige. Z. B. die Tierschutzhundeverordnung (TierSchHuV). In der aktuellen Version von 2001 beschreibt diese exakt, unter welchen (vorrangig baulichen) Bedingungen Hunde gehalten werden dürfen. Sie gilt für alle privaten und gewerblichen Hundehaltungen außer für Tierversuchsanlagen, Tierärzte und Transportereignisse. Sie gilt mithin auch für Tierheime.

Das scheint aber für manche Tierschutzvereine völlig neu zu sein.

 

Ein sogenannter Normzwinger, wie er auch in Hundepensionen häufiger vorkommt. Diese Zwinger haben immer mindestens die vorgeschriebene Mindestfläche. Noch entscheidender allerdings ist, wie hier sehr schön zu sehen, die Aussicht für die Hunde.
Bild: Pierrette Houmard; Hunde: „Onyx“ und Doggenhündin „Aéla“, übrigens eine Vermittlung des Doggennetz’.

Weniger als fünf Quadratmeter in Ravensburg

In meinem Artikel Phantastisch – verboten – schwarz auf Charitywatch.de habe ich die Verhältnisse im Tierheim Berg des Tierschutzvereins Ravensburg-Weingarten und Umgebung e. V. beschrieben. In den Innenzwingern stehen den Hunden dort weniger als fünf Quadratmeter zur Verfügung. Zwar können die Hunde durch einen Schieber in den Außenzwinger. Aber jeder Tierheim-Praktiker weiß, dass diese Außenzwinger aus lärmtechnischen, wärme- und witterungstechnischen, organisatorischen und noch einer Reihe anderer Gründe den Hunden nur zeitlich begrenzt zugänglich zu machen sind. Die Schieber werden vom Tierpflegepersonal bedient.

Die Maße der TierSchHuV aber beziehen sich auf die Fläche, welche den Hunden uneingeschränkt, also auch zeitlich unbegrenzt, zur Verfügung stehen MUSS. Bei meiner Begehung im Tierheim Berg am 25.08.2010 waren die Schieber geschlossen. Kot oder sonstige Spuren, die auf erst kurz zurückliegende Benutzung der Außenzwinger durch Hunde schließen ließen, war nicht zu sehen.

 

Der tierschützerische Fundus an Zwingerbildern ist üppig. Bei diesem „Modell“ sind die Zwingergitter nicht vorschriftsmäßig und bieten Verletzungsgefahr, wie man sehr schön am linken Hund sieht. Gegen die Wändeguck-Option allerdings eine Marginalie, denn diese beiden Hunde sind wenigstens zusammen und sie haben eine fulminante Aussicht.
Bild: Klaus Schaper


Millionen für den Umbau von tierschutzwidrigen Anlagen in tierschutzwidrige Anlagen

Jeder Tierheimpraktiker weiß des Weiteren, dass manche Tierschutzvereine immer noch in alter Bausubstanz residieren. Früher gab es diese baulichen Vorgaben nicht. Dass dieser oder jener kleine Tierschutzverein, dessen nicht vorhandene finanziellen Mittel bisher Um- oder Neubauten unmöglich machten, solche Zwinger im Sachzwang weiter betreibt, das ist die eine Sache. Wenn aber Tierschutzvereine Millionen oder zumindest eine halbe aufwenden, um tierschutzwidrige Anlagen in tierschutzwidrige Anlagen umzubauen, erhebt sich die Frage, ob hier noch von einer sachgerechten Verwendung von Spendengeldern die Rede sein kann? 

 

Im Falle Ravensburg wurde das Tierheim 2007 mit einem Mitteleinsatz von 450.000 Euro umgebaut. Herausgekommen sind Hunde-Innenzwinger mit den Maßen 270 x 175 cm. Darüber hinaus starren die Hunde, solange sie im Innenzwinger sind,  entgegen der Vorgaben der TierSchHuV nur Wände an. Weder können sie aus dem Gebäude herausgucken noch sehen sie andere Hunde oder irgendetwas. Verhaltensbiologisch eine Qual!

 

Auch diese Zwingervariante zeigt, worauf es ankommt: Viel Fläche, artgemäßes Zusammenleben mit einem Kumpel, witterungsfeste Schutzräume und –flächen und vor allem: eine luxuriöse Rundumsicht!
Bild: Klaus Schaper

Bei dieser Variante entscheidend sind die Türen zwischen Außen- und Innenzwinger. Denn insbesondere großrassige Hunde haben in vielen Tierheimen Probleme, weil sie durch zu eng konzeptionierte Durchlassklappen nicht oder nicht problemlos passen. Gerade für unsere Doggen ist das in Tierheimen oft ein gravierendes Problem.
Bild: Klaus Schaper

Die Interessen der Behörden

Nun wird jeder Tierfreund empört einwenden, das alles könne doch nicht sein, denn schließlich müssten auch Tierheime von den Behörden genehmigt werden.

Um diese wundersame Vorschriftswidrigkeit verstehen zu können, bedarf es eines kurzen Exkurses über die Interessen der Behörden.

Alle Kommunen unterliegen der Verpflichtung zur Fundtierverwaltung. D. h. jede Gemeinde muss sicherstellen, dass sie herrenlose Hunde und Katzen unterbringen kann. Das Adverb „artgemäß“ habe ich jetzt schon mal im Vorgriff auf die Realität herausgelassen. Wie in vielen anderen Bereichen delegiert der Staat, hier die Kommunen, diese Aufgabe in den privaten bzw. karitativen Bereich. In der Regel sind es Tierschutzvereine, die den Kommunen für teures Spendengeld Tierheime bauen, in die jene dann für einen Apfel und ein Ei an städtischen Zuschüssen Fundtiere abschieben. Man möchte es sich in der augenblicklichen Finanzsituation Deutschlands gar nicht ausmalen, was es bedeuten würde, müssten alle Gemeinden ihre Tierheime selbst bauen und betreiben.

Ergo: Die zuständige Gemeinde hat schon einmal per se ein Interesse daran, dass bestehende Anlagen zur Unterbringung von Tieren greifbar sind. Welche Kommune schießt sich dann selbst ins Bein, indem sie feststellt bzw. durch die zuständige Fachbehörde, das ist das Staatliche Veterinäramt, feststellen lässt, dass die Anlagen vorschriftswidrig sind?

So weit dürfte bürgerliche Naivität in der BRD im Jahr 2010 erschüttert sein, um die These abzunicken, dass ein solches Vorgehen eher selten sein wird.

Auch die Staatlichen Veterinärämter selbst haben ein vitales Interesse daran, auf Infrastruktur zugreifen zu können, in die man beschlagnahmte Tiere einweisen kann. Ob diese Beschlagnahmungen im Kontext mit den verzichtbaren Landeshundeverordnungen, Tierquälereien durch Privathalter oder Gewerbliche, illegale Exotenhaltung, -einfuhr oder was auch immer zustande kommt, spielt dabei keine Rolle. Ein Staatliches Veterinäramt muss notfalls Unterbringungsmöglichkeiten schaffen. Und wenn sich das örtliche Tierheim im karitativen Übereifer für diese kommunale Pflichtaufgabe nahezu anbiedert (ethisch durchaus gerechtfertigt), welcher Amtstierarzt fängt dann an herumzuquengeln, die Zwinger seien zu klein? Eine Hand wäscht die andere; und auch Tierschutzvereine haben ein Interesse an einer guten Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Veterinäramt.


Und die Dachverbände?

Gern wird in dieser Diskussion dann auf die maßlos überschätzten Einwirkungsmöglichkeiten von Dachverbänden verwiesen; im Regelfall der Deutsche Tierschutzbund. Fangen wir wieder von vorne an: Welche Interessen hat der Deutsche Tierschutzbund? Nun ja, sie dürften ähnlich gelagert sein wie bei anderen Dachverbänden auch. Der Deutsche Tierschutzbund lebt und finanziert sich aus den Mitgliedsbeiträgen seiner Vereine. Damit sind wir eigentlich schon durch!

Im Übrigen ist zumindest unter dem Dachverband Deutscher Tierschutzbund jeder angegliederte Verein autonom; anders als etwa beim Bund gegen den Missbrauch der Tiere. Eine rechtliche Möglichkeit über die Zugehörigkeit zum Dachverband hat der DTSB nicht, wenn ein Verein störrisch seine eigene Version von Hundezwingern baut. Und man vermeidet unnötige Unruhe am besten, wenn man all diese Sachzwänge hübsch unter dem Mäntelchen der Verschwiegenheit und bundesweiter Sehschwäche belässt. Zuzüglich behördlicher Interpretationsakrobatik – siehe oben.

Natürlich bleibt Doggennetz allen überzeugenden Erklärungen gegenüber völlig offen und publikationswillig, sollte der zuständige Dachverband hier noch darstellen können, warum, wie und wieso in drei Jahren Betriebstätigkeit bisher niemand gemerkt hat, dass die Hunde-Innenzwinger in Ravensburg tierschutzwidrig sind.

Und kein Tierschutzkritiker ist wirklich überrascht, wenn uns jetzt irgendjemand vorrechnet, dass Hunde-Innenzwinger mit den Maßen von 270 x 175 cm total hundegerecht, vorschriftsmäßig und überhaupt super sind. Anwaltsschreiben, Unterlassungserklärung und Gegendarstellungen inklusive!

100 Kilometer-Radius x 2 auf Deutschland?

Der aufmerksame Leser hat bisher nur zwei Finger benötigt: In einem Umkreis von nicht einmal 100 Kilometern meines Standortes sind es zwei Tierheime, die – zumindest nach unserer Wahrnehmung – nicht artgemäße Hundezwinger betreiben. Und aufgrund der starken Scheue von Tierschutzvereinen vor kritischen Blicken sind ja noch nicht einmal alle Tierheime in diesem Radius gescreent. (Weitere Berichte hierzu folgen!)

Zum Scheues-Reh-Phänomen der Tierschutzvereine, die gar nicht gerne sachkundigen Kritikern Einlass in ihre Mauern gewähren: Die Behörden als wirkliche Kontrollinstanz scheiden aus; siehe oben. Auf die Dachverbände ist offensichtlich auch nicht zu zählen. Habe ich Ihnen jetzt nahe genug gelegt, welche Zunft möglicherweise unabhängig und kritisch die Örtlichkeiten betrachten wird?

Natürlich dürfen und werden wir nicht von zwei Tierheimen auf den bundesdeutschen Rest schließen. Mit umso größerer Spannung ist deshalb der weitere Fortgang des Qualitätscheck deutscher Tierheime zu erwarten.