Aua7: Wenn der Blockwart ruft: „Zeuge von Tierleid“

{TS/DS-Kritik}

Auf verschiedenen Tierschützer-Sites findet sich der Text „Zeuge von Tierleid?“, ein Aufruf an jedermann, Tierleid und Tierquälereien fachgerecht anzuzeigen. Pikanterweise präsentieren diese Denunziationsaufforderung auch Organisationen, die selbst nicht über jeden Zweifel erhaben sind (vgl. Vier Pfoten e. V. und den Spender-Warnhinweis hier und hier und hier).

Den Text „Zeuge von Tierleid?“ gibt es in unterschiedlichen Ausführungen.

Solche Denunziationsaufrufe dokumentieren das, was man in unserer Gesellschaft als Blockwartmentalität bezeichnet. Den sogenannten „100 Wörtern des 20. Jahrhunderts“ (Wikipedia) zugehörig, versteht man unter „Blockwart“ ein Schimpfwort mit dem Bedeutungsumfang von <Schnüffler>.

Ein besonders negatives Beispiel der jüngeren Vergangenheit ist der Denunziationsaufruf von Pro Rauchfrei e. V., der Nichtrauchern vermittels vorgefertigtem Formular anbietet, jeden am falschen Ort nikotisierenden Mitbürger zu denunzieren. Weil das Bewusstsein in unserer Gesellschaft für dieses hässliche Phänomen totalitärer und manipulativer Strukturen erfreulich wach ist, findet dieser Ruf des Blockwarts entsprechend kritische Resonanz .

Da sollen die Tierschützer nicht hintanstehen müssen!


Ungefragt ans Händchen genommen

In Bauernfänger-Manier generiert sich der Text „Zeuge von Tierleid?“ als selbstloses Hilfsangebot an Tierfreunde. Mit der rhetorischen Frage „Sie sind Zeuge von Tierleid geworden und wissen nicht, was Sie tun sollen?“ greifen die Tierschützer dem entmündigten Bürger gern unter die Arme.

In der Standardversion werden nur kurze Beispiele für Tierquälereien aufgeführt: „Das Kaninchen von Bekannten hinkt, trotz mehrfacher Aufforderung bringt es keiner zum Tierarzt. Der Nachbar schlägt seinen Hund. Während des Spaziergangs sieht man abgemagerte Tiere auf einer Weide stehen. Wie soll man sich da verhalten?“ (Beispiel).

„Wie soll man sich da verhalten?“ – fragen das Kleinkinder? Demente? Kobolde? Aliens? Welcher erwachsene vernünftige Mensch bei klarer Gemütslage braucht wirklich die Tierschützer, um sich von diesen beschreiben zu lassen, was man in solchen Fällen tut oder tun kann?

Außerdem: Wie wird sich das Verhältnis zu dem Kaninchen haltenden Bekannten entwickeln, wenn ich ihn anzeige? Kann ich als Bekannte/r nicht viel eher einwirken und mehr erreichen, wenn ich das Hinkeproblem des Käfigtieres wiederholt thematisiere? Vielleicht Begleitung beim Tierarztbesuch anbiete? Infomaterial besorge? Oder kurz entschlossen das Kaninchen entführe – ganz nach Tierschützer-Beispiel!

Die Veterinärämter bedanken sich

Der Blockwart ruft. Und es jamesbondeln ferngesteuerte Dilettanten durch die Lande, die jedes schlammverkrustete Pony einer Robustpferdehaltung und jeden Leinenrucker eines Hundehalters zur Anzeige bringen, weil ihnen oft genug die notwendige Sach- und Fachkenntnis fehlt, um bestimmte Bilder wirklich zu beurteilen. Jedes Veterinäramt kann längliche Dokumentationen zu den Umtrieben der landkreiseigenen Privatschnüffler und ihrer Großtaten vorlegen. Viel Aufwand, der Kapazitäten bindet, die andernorts und im Kampf gegen tierquälerische Strukturen mit Massenwirkung viel nötiger gebraucht werden.

So hört man dann von den Amtsveterinären nur ein gequältes Stöhnen, stellt man ihnen in Aussicht, noch mehr Anzeigen von Privatleuten über hundeprügelnde Nachbarn zu erhalten. Zum einen haben die Amtstierärzte gegenüber privaten Tierhaltern nur stark begrenzte Kompetenzen; zum anderen kommen diese Beamten auch so schon kaum ihren viel zu weit gesteckten Aufsichtspflichten im gewerblichen Bereich hinterher. Überdies stecken hinter der Mehrzahl solcher Anzeigen schlicht und einfach Nachbarsstreitigkeiten.

Brüller in Breitwand sind die „abgemagerten Tiere auf der Weide“! Die Blockwarte in ihrem Aufruf begehen nämlich einen fatalen Fehler, weil diese abgemagerten Tiere auf der Weide im Ursprungstext noch „stehen“. Solange aber Tiere noch selbst stehen können, sehen Amtstierärzte in den selteneren Fällen Veranlassung, in irgendeiner Form einzuschreiten!

Der Praktiker weiß: Interventionen hier sind relativ sinnlos!


Seht her: moralische Vorzüglichkeit!

Zum Schluss des Blockwarttextes kommt ein ausuferndes moralisches Statement, dessen Funktion zuvorderst darin liegt, die moralische Vorzüglichkeit der Denunziationsanstifter zu dokumentieren: „Menschen, die Tiere verwahrlosen lassen, sie schlagen, misshandeln oder sie trotz Erkrankung nicht tierärztlich behandeln lassen, verstoßen gegen das Deutsche (sic!) Tierschutzgesetz. Wird man Zeuge solchen Tierleids, sollte man sich umgehend an das zuständige Veterinäramt wenden und Anzeige bei der Polizei erstatten“ (Denunziationsgebrauchsanweisung).


Funktion: Daseinsberechtigung und Spendenakquise

Der tiefere Sinn dieses Aufrufs liegt ganz woanders! Denn erst am Schluss des Textes wird sanft dorthin geleitet, wohin die Reise geht: zur aufrufenden Orga! In der einen oder anderen Form wird angeboten, dem „Zeugen“ die (hässlichen) Einzelschritte abzunehmen, z. B. so: „Wenn Ihnen solche Dinge auffallen, Sie sich aber nicht trauen (sic!) Maßnahmen zu ergreifen, dann sprechen Sie uns gerne an.“

Und wie gerne! Denn manche Tierschutzorganisationen haben einfach nicht genug zu tun und reiben sich die Hände, wenn sie mit Mitleid erregenden Fotos von abgemagertem Vieh auf der Weide, Hunden mit Misshandlungsspuren oder anderem Tierleid neue Spenden akquirieren können, über den Verbleib sie dann keine Auskunft geben wollen (siehe oben)!


Gesellschaftlich verpönt

Um zu einer angemessenen Bewertung tierschützerischen Tuns zu gelangen, bietet sich immer auch der Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Bereichen an. Nun gibt es ja noch eine ganze Reihe von Institutionen, Behörden etc., die ein vitales Interesse daran haben müssten, dass ihnen breite Bevölkerungsschichten notwendige Hinweise zutragen.

Zum Beispiel das Finanzamt: Kennen Sie den Aufruf <Zeuge von Steuerhinterziehung?>. Nicht? Warum wohl?

Zum Beispiel die Kommunen: Wer hat den Aufruf <Zeuge von Falschparken?> schon einmal irgendwo gelesen? Nicht? Warum wohl?

Zum Beispiel die Landratsämter und Umweltbehörden: Hier sucht man vergeblich nach dem Aufruf <Zeuge falscher Mülltrennung>. Warum wohl?

Darum: Jeder mündige Bürger mit Zivilcourage kann sich jederzeit und überall erkundigen, an wen er sich bei „Zeugenschaft“ von Untaten beliebiger Natur zu wenden hat. Als mündiger Bürger möchte man sich solche Bevormundungen verbitten. Schnüffler, Denunzianten, Blockwarte, IMs und Co. gehören zu den düstersten Kapiteln deutscher Geschichte.

Und mag das Ziel noch so hehr sein; diese Mittel sind illegitim!

Deshalb: Wo immer Sie diesem Text „Zeuge von Tierleid?“ begegnen – Vorsicht!