Aua4: Ein Hunde-Votum, das nachdenklich macht!

{TS-Kritik}


Was war noch mal das Problem mit Missionaren? Dieses: das strukturimmanente Verführungspotenzial, denen, welchen man Gutes zu tun ausgezogen ist, ohne Rücksicht auf Verluste die eigenen und vielleicht gar nicht zur Zielgruppe passenden Werte zu oktroyieren. Für Tierschützer ist dies ein ganz besonders relevantes, dafür aber so gut wie nie diskutiertes oder wenigstens reflektiertes Thema. Das weiß ich auch deshalb so gut, weil ich in den frühen und wilderen Zeiten von 25 Jahren Tierschutzarbeit so eine Art Großmeisterin im Moralkeulen-Weitwurf war!

In diesem Zusammenhang besonders bemerkenswert ist darum der Eintrag im „Tagebuch“ der Tierfreunde Niederbayern (TFN; www.tierfreunde-niederbayern.de) vom 16. Juli 2010. Mit Ehrlichkeit, der zu danken ist, berichten die Tierschützer dort von dem älteren Fundhund „Blacky“ . Die rechtmäßigen Besitzer fanden ihren Hund, der eigentlich „Alf“ heißt, erst nach einer 3,5 Monaten Verweildauer in der Großgruppen-Haltung der Tierschützer wieder.

Das Brisante dieser Geschichte liegt in den Merkmalen der Haltungsbedingungen Blacky-Alfs bei seiner Besitzerfamilie: Hofhund im klassischen Sinne mit den weiteren Bedingungen wie folgt: „Der Opa der Familie war immer mit ihm spazieren gegangen, Alf hatte Anteil am Hofleben genommen, tagsüber durfte er auch mal ins Haus, die Nächte verbrachte er draußen im Heu oder in der Hütte.“ (Quelle siehe oben).

Emesis ist hier schon ein fast natürlicher Tierschützer-Reflex in Reaktion auf die Beschreibung von solchen Hundehaltungsbedingungen. Entsprechend argumentieren die „Schützer“ Alfs gegenüber den Besitzern: „Ich erklärte ihnen, dass er es hier bei uns besser hatte: Bei uns hatte er vollen Familienanschluss, schlief im Wohnzimmer, in kalten Nächten direkt neben dem Ofen, er bekam bei uns Frischfleisch, das er besonders liebte, und jeden Abend ein Stück getrockneten Pansen als Betthupferl, er wurde regelmäßig gebürstet, geknuddelt und von uns und allen Helferinnen besonders geliebt. Dreieinhalb Monate lang“ (ibid.).

Damit dürfte die Sachen doch wohl sonnenklar sein:

  • Sofa statt Boden
  • Wärme statt Kälte
  • Frischfleisch statt ?
  • viel Körperpflege statt ?
  • viele Streichler statt ?
  • ausgedrückte emotionale Zuwendung statt selbstverständlicher Unaufgeregtheit in der Routine eines vermutlich bäuerlichen Alltags

Im Wertesystem eines durchschnittlichen Tierschützers müsste Blacky-Alf mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er sich für die Optionen hinter „statt“ entschiede.

Schon weit aus dem Angebotsspektrum durchschnittlicher Missionarstätigkeit heraus fällt das TFN-Angebot an die Besitzer, dem Hund die Entscheidung über seinen zukünftigen Lebensmittelpunkt zu überlassen (jetzt mal abgesehen von der Rechtslage, die ohnehin eindeutig ist und die Ursprungsbesitzer schützt).

Was wird er nun tun, der Entscheidungsträger?

Was er tut, der Entscheidungsträger, sollte uns alle sehr sehr nachdenklich machen: „Alf und ich fuhren dorthin, er wurde schon erwartet, lachend stieg er aus dem Wagen, und es war sofort sonnenklar, dass er nicht wieder einsteigen würde. Da war kein Raum für Diskussionen: Diese Leute sind seine Familie, der Hof ist sein Zuhause. Dort und nirgendwo sonst möchte er den Rest seines Lebens verbringen“ (ibid.).

Der Hof ist sein Zuhause!

Mutig, Solches ungeschminkt ins Internet zu stellen, denn die Empörungsmails sendungsstärkerer Mitgeschöpfe-Bevormunder kann man sich sehr gut vorstellen.

Dass Blacky-Alf die Beschaulichkeit eines Hofhundelebens der Stresshaltung einer Hunde-Großgruppe bei Tierschützers vorzieht, ist dabei noch der am wenigsten überraschende Aspekt.

Schon lange versucht uns ( = den Tierschützern) die Verhaltensbiologie, liberalere, für manche nachgerade revolutionäre Sichtweisen anzudienen: Dass ein Hofhundeleben mit der Möglichkeit, bei wechselnden Witterungen den ganzen Tag lang das Leben auf dem Bauernhof beobachten, fühlen, hören zu können, die hundegerechtere Variante zum 8-stündigen Frauchen-Warten auf dem Sofa im 2-Zimmer-Apartment sein könnte; und sei die Wartefrist auch nur 4 Stunden! Selbst ohne Warten bietet der wenn auch an Zuwendung vielleicht überbordende, an artgerechter Ernährung nicht zu überbietende, an tierärztlicher Versorgung lückenlose Hunde-Alltag nach tierschützerischem Kriterienkatalog wenig von dem, was Hunde wirklich , brauchen? Vielleicht ist den Hunden das Frischfleisch dann doch nicht so wichtig, wenn sie zuhause sein dürfen? Und was macht eigentlich der Begriff und die als Conditio qua non gehandelte Zuwendung in einer Daseinsstruktur, wo beides „natürlich“ gar nicht vorkommt?

Um aus der Intention dieser Perspektivenkorrektur herausgaloppierenden Missverständnissen gleich vorzubeugen: Die Verhaltensbiologie redet NICHT dem Züchter das Wort, der die Zwingerhaltung seiner Gebärmaschinen mit „ständig an der frischen Luft“ schönredet!

Aber.

Danke, Blacky-Alf, für diese Lektion! Deshalb darf sie auch nicht fortlaufender Eintrag in einem Tierschützer-Tagebuch bleiben.

Was eigentlich tun wir, Tierschützer, manchen Hunden an, wenn wir sie nach unserem unhinterfragten, unreflektierten, von den wahren Experten (z. B. Verhaltensbiologen etc.) keineswegs abgesegnetem Wertekatalog aus ihrem Leben, ihrem Zuhause reißen? Weg von den Höfen, weg von den Ketten, weg von der Straße im Süden? Sind diese missionarischen Invasionen und Interventionen IMMER ein Segen? Und wenn sie gelegentlich ein Segen sind, darf man daraus eine Generalvollmacht ableiten?

Die kritischen Stimmen in der Ausdifferenzierung des Neins mehren sich. Eine dieser ist Nina Taphorn, die exakt diese Frage sehr detailliert in ihrem Buch „Von der Straße auf die Couch – Streuner aus dem Süden als Familienhunde“ behandelt.

Ähnlich irritierend->korrigierende Erfahrungen habe ich auch in meiner Tierheim-Zeit gemacht. Immer wieder kam es vor, dass vermittelte Hunde ihren neuen Besitzern „entkamen“ und zurück ins Tierheim liefen. In einem Fall waren die Fluchtversuche des Vermittelten so nachhaltig, dass wir ihn schließlich wieder zurücknahmen, um ihm ein Leben dort einzuräumen, wo er es unbedingt haben wollte: im Tierheim!

Auf welchen Tierschützer-Sites werden diese Fragen kritisch diskutiert? In welchen Tierschützer-Foren? Welche Tierschützer berichten wo über ähnliche Erfahrungen und vergleichbar mutige Entscheidungen?

Für zielführende Hinweise sind die ermittelnden Kritiker dankbar!