Irrwitz: Die Schlacht der Helfer!

Es ist NICHT erstaunlich, dass sich kaum Schriftgut über die Schizophrenie und den Irrwitz im weiten Umfeld des Tierschutzes, tierischer Menschen überhaupt, findet. Zum einen fliehen seriöse und verstandesbegabte Menschen, die nur einmal Kontakt mit all der Paranoia drum herum hatten, mit hellem Entsetzen. Zum anderen scheitern hier selbst Autoren, die sonst jeden noch so komplizierten Sachverhalten in überschauliche Textfragmente zu gliedern verstehen, welche sich dann in glücklicher Harmonie zur Sinnstiftung zusammenfinden, an dem nicht mehr kommunizierbaren Irrsinn. Es soll schon so manchen verzweifelten tierliebenden Publizisten gegeben haben, der von der Unbezwingbarkeit der Aufgabe zerschmettert seine Tastatur hinter der letzten Biegung des Flusses vergraben hat.

Tierschutz ist wahnsinnig gefährlich. Ehrlich. Und zwar ist das eigentliche Gefährliche daran: das Helfen! Nein genauer: die Helfer! Oder noch genauer: die jeweils anderen Helfer. Das verstehen Sie doch sicher, oder?

Wie gefährlich Helfen ist, durften auch jüngst einige Auslandstierschützer erfahren, die in einem schockierend unfachmännischen, polemischen und vernichtenden Fernsehbeitrag über die Tierschutzarbeit in Griechenland filetiert wurden. Und zwar in Bausch und Bogen und nicht etwa differenzierend und sachlich, wie es dem Thema dringend angemessen wäre.

Aber nehmen wir (wieder einmal) einen aktuellen Fall aus der Doggenszene. Ein echtes Leckerstückchen, wie ich Ihnen versprechen darf.

Tag 1: Von einer Doggenhalterin und Tierfreundin irgendwo in Deutschland erreicht uns eine flehentliche Bitte-helfen-Sie-Mail. Der zunächst berichtete Sachverhalt: Durch eine Zeitungsannonce sei man auf die private Doggenhaltung einer jungen, von der Sozialfürsorge abhängigen Frau aufmerksam geworden. Nun schon (mindestens) zum zweiten Male habe es in der Hundehaltung dieser nach Berichtslage noch anderweitig „abhängigen“ Frau einen Wurf Doggenwelpen aus der Verpaarung Gefleckt mal Gefleckt gegeben. Die Welpen seien jetzt 12 Wochen alt und noch nicht einmal ansatzweise stubenrein. Der Besitzerin gelinge es nicht, die Hunde zu vermitteln. Und die Krönung: zwei der Welpen seien – da aus einer Geflecktverpaarung stammend – taub! Doggen-Netz, bitte hilf!

Nun gibt es immer wieder jene verhängnisvollen Momente und Zeitintervalle, wo die eigene Aufmerksamkeit, das in 20 Jahren Tierschutz geschärfte Gefahrenbewusstsein, die Skepsis und die Vorbehalte tonlos vor sich hinschlafen und ihren Tierschützer nicht warnen. Vom Alltag überlastet, beschwert von dem Kummer mit allen möglichen anderen Vermittlungsdoggen und vielleicht auch noch mit zwei-drei anderen Aufgaben beschäftigt, ist man einen Moment unachtsam – und spontan hilfsbereit! Und schon ist es passiert!

Immerhin reichte es noch für den eindringlich vorgetragenen Hinweis, man bräuchte dann aber noch am liebsten das schriftliche, mindestens aber mündliche Einverständnis der vielfachen Doggenbesitzerin zur Vermittlung der Welpen. Ja ja.

Tag 2: Gute Bilder jedes einzelnen Welpen erreichen das Doggen-Netz. Auch ein Indiz, denn immerhin muss die Besitzerin ja die Welpen für dieses Fotoshooting irgendwie zur Verfügung gestellt haben. Stundenlang erstellen wir Texte, schreiben die Welpen auf der eigenen Website und bei verschiedenen Handicap-Tierschutzorganisationen aus, erkundigen uns nach Hilfestellung für potentielle Bewerber bezüglich des Handlings mit tauben Welpen etc. etc. etc. Auf der Suche nach Pflegeplätzen telefonieren wir quer durch die ganze Bundesrepublik.

Inzwischen konkretisieren sich die Angaben zu den Haltungsbedingungen wie folgt: 1,5-Zimmer-Wohnung. Darin: Mutterhündin, Vaterrüde (erst 18 Monate alt) und 4 nicht stubenreine Welpen. Den Hektolitern Kot und Urin mussten die vorhandenen Bodenbeläge schon vor einiger Zeit weichen; jetzt zeige sich der blanke Estrich willig, an Flüssigkeiten und Gestank das aufzusaugen, was überreichlich geboten wird. Eine Teppich-Spende der anzeigenden Doggenfreundin konnte da auch nur vorübergehende Linderung bringen. In der Wohnung herrsche ein unerträglicher Gestank, wird uns glaubhaft und nachvollziehbar versichert. Der Rüdenwelpe sei von der jungen Frau schon innerhalb ihrer Szene versprochen. Prima: dann kann man auf den nächsten Wurf, nämlich Sohn deckt Mutter, ja warten.

Tag 3: Die Lage spitzt sich zu. Die anzeigende Doggenhalterin räumt Probleme ein. Die Hundebesitzerin sei inzwischen schwankend in ihrer Bereitschaft, die Welpen durch uns vermitteln zu lassen, und dann seien da auch noch zwei ganz komische Damen auf der Bildfläche erschienen. Wie sich im weiteren Verlauf herausstellt, handelt es sich um zwei Pfeil-und-Bogen-Furien einer „tierschützerischen“ Dissidentengruppe, die schon eine ganze Weile den ortsansässigen etablierten Tierschützern das Leben schwer machen und eine ganz besonders eigene, dem modernen Tierschutz diametral entgegengesetzte Auffassung von Hilfe in einem solchen Fall haben.

Obwohl ebenso wenig im Besitzstand der Welpen wie das Doggen-Netz, kreischen diese Damen in nicht ganz so wohlgesetzten Worten Zeter und Mordio über die angebotene bzw. schon in die Wege geleitete Hilfe. Schlimmer noch: Werde diese Hilfe nicht sofort eingestellt, droht man wenig eindrücklich mit Polizei (niedlich!), Rechtsanwalt und Hölle. Des wenn i vorher g’wusst hätt‘! Keinesfalls auch sind die beiden „Expertinnen“ irgendwie der Meinung, die Welpen müssten möglichst schnell aus diesen verheerenden Haltungsbedingungen herausgeholt werden. Denn zwei Pflegeplätze für zumindest die beiden tauben Welpen standen schon zur Verfügung. Ganz im Gegenteil sollen die Welpen nach Auffassung der hier am meisten und durch Geld beförderten Einfluss Habenden weiter eben dort verbleiben. Und dann werde man die Welpen vor Ort VERSCHENKEN!

Rücksprache beim dem Tatort nächst befindlichen seriösen und mit einem hervorragenden Ruf ausgestattetem Tierschutzverein. Nach Namensnennung werden dort Hände über Köpfe zusammengeschlagen und liebevolle Warn- und Nebenwirkungshinweise bei weiterem Kontakt mit den Kampfschützerinnen ausgesprochen. Man selbst wisse von diesem Fall, habe ebenfalls schon Hilfe angeboten, aber die Doggenbesitzerin verfolge mit den Welpen wohl ganz andere Ziele als eine erfolgreiche, seriöse und gute Vermittlung. Und die zwei Damen hielten die Hand darüber!

Jetzt eilt es aber: Husch, husch, ganz schnell sämtliche Vermittlungsanzeigen zurückziehen, Telefon ausstöpseln, Handy ausschalten und sich in Demut an alle Schutzheiligen wenden. Wie konnten wir bloß? Wie konnten wir bloß völlig vorbehaltlos auf einen Hilferuf reagieren? Das weiß man doch, wie gefährlich das werden kann.

Wir brauchen es auch weder für unser Ego noch unsere Vermittlungsstatistik noch das Heil der Welt, uns mit anderen Tierschützern um irgendwelche Doggen zu prügeln. So weit kommt das noch! Haben wir doch gerade eben wieder einen ganz typischen Fall reinbekommen, wo sich zwei anderen „Experten“ in ihrer Helferenergie und Kompetenz gnadenlos überschätzt haben, gescheitert sind und wir jetzt die verbliebenen Doggenreste an den Mann bzw. eine Frau bringen sollen.

Doch, die Welpen in unserem Musterfall tun uns leid. Was nützt es? Sich aus Hunderten Kilometer Entfernung in die heiße Schlacht am Tierschützerbüfett zu stürzen, macht keinen Sinn und hilft keinem wirklich weiter. Spätestens an dieser Stelle muss das unvergleichlich treffende Diktum des Kynologen Michael Grewe über solcherart Tierschützer zitiert werden: „emotional völlig überqualifiziert“.

Und wir bitten alle sich um Hilfe an das Doggen-Netz Wendende um ihr Verständnis dafür, wenn wir im Falle eines Hilfeersuchen auf einer diesbezügliche Erklärung an Eides Statt und einer notariell beglaubigte Willensbeurkundung bestehen müssen, solcherart zu dokumentieren, dass diese Hilfe auch wirklich gewünscht ist….

Solche Geschichten passieren überall auf der Welt jeden Tag. Das Stichwort Cap Anamur für den humanitären Bereich ist aktuell. Einen weiteren haarsträubenden Fall aus der Kategorie „Tue nichts Gutes, dann passiert dir nichts Schlimmes“ haben jüngst einige bayrische Doggenschützer durchlitten. Im Zuge einer Zwangsversteigerung von der Besitzerin zweier erkennbar mißhandelter Doggen zu Hilfe gerufen, übernehmen diese die völlig verängstigten und in einem schlechten Ernährungs- und Pflegezustand befindlichen Hunde, vermitteln sie sorgfältig und staunen nicht schlecht, als sie einige Monate später von exakt derselben Dame im Internet per Email und per Zeitungsinserat des Diebstahls eben dieser Doggen bezichtigt werden. Das ist die andere Variante des gefährlichen Spiels: hier bekämpft nicht der Besser-Helfer den Schlechter-Helfer, sondern der Hilfesuchende selbst attackiert und beißwadelt seine Wohltäter.

Lauter Irre! Aber doch gelegentlich von einem gewissen skurrilen Unterhaltungswert. Deshalb vergrabe ich meine Tastatur nicht hinter der letzten Biegung des Flusses!