Championzucht 2003

Einer der zentralen Punkte in der Zuchtkritik kreist um den Begriff Inzucht und damit verbunden die sogenannte Champion- oder Matadorzucht, d.h. der viel zu häufige Einsatz einzelner, mit bezüglich der Vitalität nichtssagenden Schönheitstiteln hochdekorierter Rüden. Die Championzucht wird durch die Bank von Kritikern aller Couleur gerügt, ob Züchter, Wissenschaftlicher, Tierschützer oder wer immer.

Als zuchtverbesserndes Postulat wird die dramatische Begrenzung der zulässigen Deckakte pro Rüde diskutiert. Damit einhergehend soll die Anzahl der eingesetzten Rüden maximiert werden. Schreibt Wachtel: „In Schweden schlägt man je nach Größe der Population eine Begrenzung von hundert bis auf einen einzigen Wurf je Rüden (auf Lebenszeit!) vor. Professor Sundgren von der Universität Uppsala empfiehlt die Begrenzung auf 5 % der registrierten Welpen der Rasse auf eine Fünf-Jahres-Periode.“ (Dr. Hellmuth Wachtel: „Das Buch vom Hund“). Das würde für die Deutsche Dogge bedeuten: bei derzeit 1800 Welpen pro anno 90 Welpen auf 5 Jahre, d. h. 18 Welpen pro Jahr, ergo maximal 4 Würfe! Fakt aber ist, daß der DDC die maximale Anzahl von Deckakten pro Jahr bei der gigantischen Zahl 20 fixiert. Das ist die Innovation im DDC aus dem Jahr 2000, mit der man die vormals erlaubten 40 Deckakte pro Jahr doch glatt halbierte!

Seriöse Kritik verlangt entsprechende Belege. Gerade in Zeiten virtueller Standgerichtsbarkeit, wo Betroffene zu schreien beginnen, bevor sie überhaupt die Texte richtig rezipiert, ganz zu schweigen davon, sie verstanden zu haben, soll diesem oldfashioned Grundsatz wissenschaftlichen Arbeitens und fundierter Kriktik gehuldigt werden.

Wie also sehen die Deckakte im Zuchtgeschehen der Deutschen Dogge unter dem Dach des Rassehundeverbandes Deutscher Doggen Club für das Jahr 2003 aus?

Grundlage der nachstehenden Auswertung sind die in der Verbandszeitschrift „unsere Deutsche Dogge“ monatlich erscheinenden Deckmeldungen. Wenn weiter unten bei einzelnen Rüden Nummern angegeben sind, beziehen sich diese auf die von uns gemachte alphabetische Liste, die auf Wunsch bei der Autorin bezogen werden kann (siehe Hinweis am Schluß des Artikels).

Jede Menge Verwandtschaft

Insgesamt werden für das Jahr 2003 460 Deckakte gemeldet. Sie verteilen sich wie folgt:

Januar 34
Februar 53
März 37
April 42
Mai 48
Juni 36
Juli 40
August 34
September 35
Oktober 40
November 35
Dezember 26
—–
Gesamt 2003 460

 

Jetzt kommt natürlich die Frage aller Fragen: Wie viele Deckrüden braucht man im DDC, um 460 Deckakte durchzuführen??? 400? 300? 200? Nein: 161 Rüden!!!

Wer gut im Kopfrechnen ist oder schnell seinen Taschenrechner zu Hand hat, fühlt sich getröstet, denn das macht statistisch 2,857 Deckakte pro Rüde. Übererfüllung des Solls nach der oben zitierten Forderung schwedischer Wissenschaftler? Weit gefehlt!

Zunächst einmal trösten wir uns mit immerhin 74 Rüden, die nur ein einziges Mal mit einem Deckakt zum Zuge kamen. Auch die 24 Rüden, die 2 Deckakte für 2003 zu vermelden haben, erregen uns nicht. 19 Deckrüden mit je 3 Deckakten lassen wir auch noch dahingehen und ziehen die Bedenkensgrenze analog zu unserem schwedischen Freund Professor Sundgren jenseits der 17 Doggenrüden, die mit 4 Deckakten zu Buche schlagen.

Zwischensumme: 134 Deckrüden finden rein zahlentechnisch eine Verwendung im Zuchtgeschehen, die akzeptabel ist und bezüglich der Frequenz modernen Forderungen entspricht. Verbleiben 27 Deckrüden, die in einem Umfang eingesetzt werden, der jenseits aller wissenschaftlichen Vernunft und genetischer Erkenntnis liegt.

Ein Züchter reizt das Maximum fast vollständig aus und brachte seinen Deckrüden im Jahr 2003 sage und schreibe 19 Mal zum Einsatz. In dieser Spitzenposition muß er aber nicht völlig unter Vereinsamung leiden, denn ihm folgt ein Kollege mit 18 Deckakten für einen einzigen Rüden. Danach lichtet sich das Feld, der nächste Spitzenstecher schlägt erst wieder mit 14 Deckakten für das Jahr 2003 zu Buche, gefolgt von einem weiteren Rüden mit 12 Deckakten. Ab 10 Deckakten pro Jahr, für 2003 mit 2 Rüden belegt, geht es Schlag auf Schlag: 2 Rüden à 9 Deckakte, 2 Rüden à 8 Deckakte, 1 Rüde mit 7, 8 Rüden mit 6 Deckakten sowie gleichfalls 8 Rüden mit 5 Deckakten.

Hier noch einmal in der Übersicht:

74 Deckrüden  mit   1 Deckakt
24 Deckrüden  mit   2 Deckakten
19 Deckrüden  mit   3 Deckakten
17 Deckrüden  mit   4 Deckakten
8 Deckrüden  mit   5 Deckakten
8 Deckrüden  mit   6 Deckakten
1 Deckrüde    mit   7 Deckakten
2 Deckrüden  mit   8 Deckakten
2 Deckrüden  mit   9 Deckakten
2 Deckrüden  mit 10 Deckakten
1 Deckrüde    mit 12 Deckakten
1 Deckrüde    mit 14 Deckakten
1 Deckrüde    mit 18 Deckakten
1 Deckrüde    mit 19 Deckakten
_________________________

Summe:        161 Deckrüden mit 460 Deckakten

Was ein derart massiver Einsatz eines Deckrüden bedeutet, wie ihn die letzten vier Positionen ausweisen, läßt sich wieder bequem per Rechnung darstellen: bei einer angenommenen mittleren Wurfstärke von 4 Welpen bedeutet der 19fache Einsatz eines Doggenrüden, daß allein im Jahr 2003 76 Doggen produziert wurden, die alle denselben Vater haben. Dazu dann noch mal 4 x 18 = 72 Welpen, und 4 x 14 = 56 Welpen, 4 x 12 = 36 Welpen. So kommt Inzucht zustande, und das, was der Genetiker als „genetische Drift“ bezeichnet, läßt sich zahlendynamisch gut illustrieren.

HD-Befunde

Nachdem wir uns nun schon einmal die Mühe gemacht haben, sollen weitere zuchttechnische Daten für die eingesetzten Rüden betrachtet werden. Da es dem Zuchtkritiker in diesem Themenbereich ja nur um Vitalität, Lebenserwartung und Genpooleffekte gehen kann, sollen die dürftigen zwei relevanten Parameter, die überhaupt nur zur Verfügung stehen, herangezogen werden: HD-Befunde und Ahnenverlustkoeffizienten.

Wir gehen hier nicht auf die mühsame Diskussion bzw. Behauptung mancher Züchter ein, da HD ein polygen determiniertes Merkmal sei, könne man auch ruhig Hunde mit leichter HD zur Zucht verwenden. Fakt ist, bei den größeren Rassen, bei denen der Grad des Befalls in der Gesamtpopulation dramatisch gesenkt bzw. fast vollständig eleminiert werden konnte, war dies nur durch die kategorische Verwendung ausschließlich HD-freier Elterntiere möglich. Dieses Thema soll in dieser Rubrik in einem späteren Artikel „Züchten mit HD“ behandelt werden.

EINSCHRÄNKUNG: HD-Befunde und AVKs wurden in dieser Auswertung (mit einer Ausnahme) nur für Rüden berücksichtigt, die 3 Deckakte und mehr zu verzeichnen haben.

Insgesamt kamen 5 Doggenrüden mit dem Befund HD 2 zum Einsatz.
Einer davon mit 5 Deckakten (Nr. 136), zwei davon mit 4 Deckakten (Nr. 58 und 85), einer mit drei (Nr. 133), und einer mit 2 Deckakten; total also 17 riskierte Würfe (= 68 Doggenwelpen) mit dieser schweren Hypothek.

Von den mehrfach deckenden Rüden ist die Mehrzahl, nämlich 36 Rüden mit HD 0 befundet; mit HD 1 decken durften dann noch 23 Rüden.

Ahnenverlustkoeffizienten

Ein bedeutender Parameter, der den Grad der Homozygotie und damit der Inzucht innerhalb einer Population angibt, ist der sogenannte Ahnenverlustkoeffizient (AVK). Leider werden in der deutschen Hundezucht wie auch im DDC nur 4 Generationen berücksichtigt; die Experten sind sich einig: die Einbeziehung von mindestens 5 Generationen wäre unabdingbar notwendig. In wissenschaftlichen Studien werden zur Berechnung des AVK und des Inzuchtkoeffizienten (IK) i. d. R. sogar 10 Generationen berücksichtigt.

Bei 4 Generationen sind 30 Ahnen eines Hundes möglich. Mit jedem Ahn, der doppelt vorkommt, vermindert sich die Anzahl der tatsächlichen gegenüber den möglichen Ahnen; aus dem Verhältnis beider Zahlen zueinander gewinnt man den AVK, z. B. bei 29 von 30 möglichen Ahnen beträgt der AVK 96,67 %; bei 28 von 30 93,33 % usf. Auf die heikle Diskussion über AVK, klassischem IK und relativem IK soll hier aber nicht eingegangen werden, weil der Laie an diesem Punkt ohnehin schon ausgestiegen ist, für die Profis diese Infos aber redundant sind.

Wer sich über den AVK seiner Dogge informieren möchte, hat dazu auf der Internetplattform www.great-dane.org im Ahnentafelarchiv (ATA) die derzeit einzige und bequemste Möglichkeit, da das System den AVK automatisch zu jeder (vollständigen) Ahnentafel errechnet. Leider und aus verständlichen Gründen (Erfassung!) ist das ATA nicht so vollständig, wie es die Auswertung fruchtbar machen würde. Deshalb kann dieser Paramenter in dieser Aufstellung nur partiell berücksichtigt werden; es fehlen einfach die Daten.

Konsens unter den Profis dürfte sein, daß ein AVK unter 90 Prozent kritisch, ein AVK unter 80 Prozent haarsträubend ist. Deshalb ist es (mir) auch völlig unverständlich, wie es möglich ist, daß im DDC ein Rüde mit einem AVK von 66,67 % (20 von 30 Ahnen), der im ATA ohnehin schon 50 Nachkommen aufweist (Erfassungsstand dort dürfte ca. 2001 sein!) mit jetzt 7 Jahren im Jahr 2003 noch 6 Deckakte vollziehen darf! Ein weiterer Rüde mit eine AVK von 70 % wird 4 Mal zum Decken eingesetzt. Ein Rüde mit einem AVK von 76,67 % beglückt den Genpool über 3 Deckakte.

3 Deckrüden sind mit eine AVK von 83,33 % populationstechnisch mehrfach unterwegs. 1 Deckrüde verteilt einen AVK von 86,67 %. Dann noch einmal 2 Rüden mit einem 90er-AVK.

Erfreulich sind insgesamt 8 Deckrüden mit einem AVK von 100 %. 9 Deckrüden schaden dem Genpool bei 29 von 30 Ahnen mit einem AVK von 96,67 % auch nicht. 7 Rüden decken mit einem AVK von 93,33 %, also 28 von 30 möglichen Ahnen.

Allerdings scheinen manche Züchter der Auffassung zu sein, ein AVK von 100 % sei eine Art ansteckende Krankheit, die man nur weit genug in der Population herumtreiben muß, um den Genpool zu verbessern. Denn es macht wohl populationsgenetisch kaum Sinn, wenn zwei direkte Doggenbrüder mit je einem AVK von 100 % einmal 12 Deckakte, einmal 5 Deckakte absolvieren. Ein nahezu tragisches Mißverständnis!

Diese Auswertung ist nicht repräsentativ, da für uns bei der Mehrzahl der eingesetzten Deckrüden aufgrund o. g. datentechnischer Vakanzen keine Zahlen eruierbar waren.

Idealfall

Ohne auf das hochaktuelle Thema und derzeit in der Doggenzucht in dem geforderten Ausmaß gar nicht angewandte Verfahren der Zuchtwertschätzung (siehe hierzu auch Dr. F. Krautwurst: „Praktische Genetik für Hundezüchter“ und andere Autoren) einzugehen, kombinieren wir für die Auswertung jetzt nur einmal die dürftigen 2 Parameter, die uns für eine Aussage über gesundheitliche und gentechnische Aspekte der eingesetzten Doggenrüden zur Verfügung stehen: einen HD-0-Befund und einen AVK von 100 Prozent. Diesen Lorbeerkranz dürften sich ohnehin nur 3 Doggenrüden (von den mehrfach deckenden!) aufsetzen; 2 davon sind die o. g. Brüder mit dem ahnenverlustkoeffiziententechnischen Missionsauftrag.

Bleibt in der gesamten Auswertung ein einziger Rüde (Nr. 66) übrig, der sich wirklich gar nichts hat zu schulden kommen lassen, mit einem HD-0-Befund glänzt, 100prozentigen Ahnenverlust vorweist und noch dazu nur 3 Mal zum Deckeinsatz kam. Dazu gratulieren wir den Besitzern und dem DDC!

HINWEIS: Die vollständige alphabetische Liste aller lt. Deckmeldungen in den uDDs im Jahr 2003 zum Einsatz gekommener Rüden mit jeweiligem Quellennachweis (Ausgabe des entsprechenden uDD und fortlaufende Nummer der Deckmeldung) kann als 20 DIN-A4-Seiten umfassende Doc-Datei gegen einen Unkostenbeitrag von € 9,63 per Email bei mir angefordert werden. Alle Rüden, die 3 Deckakte und mehr aufweisen, sind dabei mit weiteren zuchttechnischen Daten (Farbe, ZBNR, WT, HD-Befund etc.) aufgeführt.