Jung – krank – tot? Krümel-Memorial IV

Was sagt und zeigt die Zucht?

Insidern ist das Problem der im statistischen Mittel rasant kurzen Lebenserwartung der Deutschen Dogge hinlänglich bekannt; teilweise auf der Grundlage eigener Empirie. Zu Beginn dieses Jahres gab mir eine Tierärztin, die über Herzkrankheiten bei der Deutsche Dogge promoviert hat, in einem persönlichen Gespräch die korrigierte mittlere Lebenserwartung als bei maximal 6 Jahren liegend an.

Die seriöseren, publizierenden Doggenzüchter thematisieren das Problem des dramatischen Vitalitätsverlustes (schöner Euphemismus, der den de facto festzustellenden Anstieg von Erbkrankheiten und die damit einhergehende geringe Lebenserwartung bezeichnet) gleichfalls; wenn natürlich und unter dem Sachzwang ihrer Gruppenzugehörigkeit in weitaus leiseren Tönen, als dies mir zu tun möglich ist.

Kernbegriff der Vitalitäts- und Lebenserwartungsdebatte ist und wird bleiben INZUCHT. Das letzte Verdikt über diese in heutiger Zeit fatale züchterische Orientierung ist längst gesprochen und hundertfach publiziert. „Die frühere Meinung, Inzucht plus Selektion auf Gesundheit sei unschädlich, hat sich als schwerer Irrtum erwiesen“ (www.hundezeitung.de, dort Top-Thema „Biohund?“) Welchen zynischen Umgang manche Züchter in vollkommener Ignoranz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse mit dem Inzuchtbegriff und seinen Ergebnissen pflegen, ist gelegentlich in den einschlägigen Internetforen nachzulesen, wo sich Volkes Stimme gern noch ganz spontan und schamlos artikuliert. Schreibt eine Züchterin eben dort: „Inzucht nur zuz (sic!) verteufeln ist ein Fehler, sie kann zu guten Ergebnissen führen, auf jeden Fall sehen wir schneller die guten oder negativen Eigenschaften.“ Wir sehen schneller die guten ODER NEGATIVEN EIGENSCHAFTEN!!! Wow! Zucht als Tierversuch? Die betroffenen Doggen jedenfalls sehen diese negativen Eigenschaften nicht, sie müssen sie durchleiden! Und die Halter von mit derlei negativen Eigenschaften als Inzuchtergebnis belegten Doggen…. von denen ist die Rede hier! Aber wer da glaubt, beim Kummer dieser sei der züchterische Zynismus zu Ende, irrt. In Reaktion auf diese Artikelserie, welche die langen Reihen junger Doggen, die es im Alter von 3, 2 Jahren, 18 oder 10 Monaten oder sogar 6 Monaten hinwegfegt, thematisiert, leert eine Züchterin ihren Kübel verhöhnenden Zynismus über die betroffenen Hundehalter mit der Anmerkung aus: „Jeder wünscht sich, dass sein Hund ewig lebt“, räumt aber gleich im nächsten Satz ein: „Natürlich ist die Lebenserwartung der Deutschen Dogge zu kurz“ (nachzulesen in www.great-dane.org; Rubrik „Kontaktgesuche und Vermischtes“, Thread „Aktuell und Kritisch“ (sic!), Eintrag vom 03.12.03, 11.47 Uhr). So fertig kann ich die Züchter gar nicht machen, wie sie es mit sich selber tun! Die unendliche Trauer über den Verlust eines nicht mal jährig weggestorbenen Hundes, der wegen seiner Krankheit und Schmerzen rein nichts von seinem kurzen Leben hatte, wird mit dem irrigen Wunsch nach ewigen Leben verhöhnt???

Ein anderes Zitat: „Kann es sein, daß man mit der Zucht wissentlich kranker Doggen mehr Geld verdient. Oder wie es ein deutscher Doggenzüchter leider so bezeichnend darstellte: ‚Wenn die Doggen nicht so lange leben kann ich mehr davon verkaufen.‘ Wovon reden diese Leute eigentlich in ihren schwülstigen Anzeigen mit den ausschweifenden Bemerkungen über die große Liebe zur Deutschen Dogge?“ ZITATENDE!!! Wer wagt derlei zu sagen? Keine Tierschützerin. Ein Züchter selbst, der wohl wissen wird, wovon er spricht. Dieses Zitat stammt aus dem Text „Gedanken zur Reinfarbenzucht“ von Bernd Völxen, nachzulesen auf www.great-dane.org, dort unter Zucht! Das, wenn ich’s geschrieben… – kaum auszudenken!

Wo immer sie der Diskussion über die Vitalität und Lebenserwartung begegnen, achten Sie auf ARGUMENTE!!! Seriöse Publizisten, kritische Züchter, Tierärzte, Genetiker und andere Wissenschaftlicher haben ihre Ergebnisse und die daraus für die Zucht resultierenden Notwendigkeiten schon vor Jahren formuliert. Praktiziert und polemisiert aber wird auf einem ganz anderen Level. Und geändert wird rein gar nichts!

Was zeigt die Zucht?
Kein Mensch bestreitet, daß es AUCH MAL ältere Doggen gibt; am allerwenigsten ich selbst, stolze Halterin einer 8,5 Jahre alten Hündin und eines 9,5 Jahre alten Rüden – übrigens beide klein und leicht, die beste Voraussetzung dafür, ein solches Alter überhaupt zu erreichen. (Entsprechend schreibt auch Dr. Friedmar Krautwurst: „Je größer ein Hund, um so leistungsschwächer ist er“, Deutsche Dogge heute, S. 28). Aber der Verweis auf ein paar ältere Exemplare nach dem Motto „Einer kam durch“ exkulpiert nicht für die viel zu großen Mengen toter jüngerer Doggen. Das ist so ähnlich, als verwiese man auf die Kriegsüberlebenden als Argument dafür, daß es mit dem Krieg irgendwie doch nicht so schlimm war.

Und alle Belege und Beweise liefert die Zucht selbst. Eine für sich sprechende Auswertung der Meldezahlen zur Welthundeausstellung 2003 in Dortmund soll nur als weitere Illustration der in Hülle und Fülle vorliegenden Belege dienen. Bitte: es handelt sich hier nur um die gemeldeten, nicht einmal die tatsächlich gezeigten Hunde, weshalb der Verweis auf die an diesem Tag höllischen Außentemperaturen nicht greift. Gemeldet waren 471 Deutsche Doggen. Fazit ist: Die Deutsche-Doggen-Zucht vermag auf einer Welthundeausstellung keine einzige 6jährige Hündin in den offiziellen Klassen zu zeigen. Die Deutsche-Doggen-Zucht kann auf einer Welthundeausstellung von 471 Hunden nur 3 fünfjährige Doggenhündinnen zeigen; bei den gestromten gab es nicht einmal eine solche. Im gelben Farbschlag gab es nur einen einzigen 5jährigen Doggenrüden zu zeigen. Nur 6 Prozent von den 471 gemeldeten Doggen waren 4 Jahre und älter. Ingesamt waren nur 84 Doggen 3 Jahre und älter; dafür waren 387 Doggen unter 3 Jahre alt, das sind 82 Prozent! DAS ist der Überblick über den Leistungsstand der Zucht.

Aber gern räume ich den Züchtern selbst noch einmal das Wort ein: „Die Fixierung auf ganz rassespezifische Merkmale bis hin zur Extremzucht, die enge Zucht auf wenige Siegertiere, die Selektion nach zum Teil unwichtigen Dingen und die Intoleranz mancher Clubfunktionäre haben der Rassehundezucht nicht gut getan. Gesundheit und ein solides Wesen sind in der Vergangenheit oft auf der Strecke geblieben, dies leider auch sehr oft bei unserer Deutschen Dogge“, schreibt der Präsident des Schweizerischen Clubs für Deutsche Doggen, Michael Neugel, schon vor drei Jahren in seinem Artikel „Die Deutsche Dogge im Jahr 2000 vor einem Wendepunkt“ (Dog-Dog, Nr. 2, August 2000, S. 60/61). Auch Micheal Neugel kommt bezüglich der dringend notwendigen Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu keinem anderen Ergebnis als die Tierschützer: „Und was machen wir Doggenliebhaber, wir Züchter, Aussteller, Richter, Funktionäre? Nicht viel. Leider.“ (ibid.).

Übrigens: das Verzeichnis genetisch bedingter Erkrankungen allein des Bewegungsapparates des Hundes gegliedert nach Skelettabschnitten umfaßt 66 Krankheiten!!!

Michael Neugel geht zu sehr mit seiner Gilde ins Gericht; zumindest mit dem eidgenössischen Teil davon. Denn gerade der Schweizerische Club für Deutsche Doggen tut sehr wohl etwas; im Rahmen seiner geringen Möglichkeiten als „Nicht-Mutterland der Rasse“. Zu diesen Maßnahmen etwa zählt eine Fragebogenaktion dieses Clubs im Jahre 2000. Das Ergebnis formuliert der Präsident selbst: „Dass in Bezug auf Gesundheit etwas geschehen muss, zeigt die Auswertung der Fragebogen“ (Dog-Dog Nr. 2, Oktober 2001, S. 7).

Und was zeigt diese Auswertung? 42 % der Rüden sterben, bevor sie 5 Jahre alt werden; bei den Hündinnen sind es 20 %. 94 % der Rüden sterben vor einem Alter von acht Jahren und 67 % der Hündinnen. Die Todesursachen sind leider sehr wenig differenziert: 23 % werden euthanasiert (Logik und Tierschutzgesetz lassen interpretieren: auf Grund von Krankheiten); immerhin 20 % und damit ein Fünftel der Popation sterben an Herzkrankheiten; bei einer jährlichen „Produktion“ von 1800 Doggen in der BRD sind das 360 Doggen, die an einem pathologischen Formenkreis zugrundegehen, der züchterischer Beeinflussung unterliegt! 19 % sterben an Krebs; über die Interdependenz zwischen Krebsdisposition und Inzucht liegen Untersuchungen vor! 10 % sterben an Magendrehung; auch hier wird seitens der Wissenschaft eine genetische Disposition angenommen; ein weiterer wichtiger, ebenfalls züchterischer Beeinflussung unterliegender Faktor beim Thema Magendrehung ist die Körpergröße (Stichwort: Gigantismus). 27 % der Doggen in dieser Befragung starben „an anderem“ (ibid.).

Wiederholen wir noch einmal Bernd Völxen aus der o. g. Quelle: „Wovon reden diese Leute eigentlich in ihren schwülstigen Anzeigen mit den ausschweifenden Bemerkungen über die große Liebe zur Deutschen Dogge?“ Ja: wovon?

[Fortsetzung folgt]