Aua723: Lernschritt Demokratie: Bernd Wierum gewinnt vor dem Landgericht Köln

{TS-Kritik}

 

Zumindest für einen speziellen Teil der „Tierschutzszene“ sind die Gerichte im Allgemeinen und das Landgericht Köln im Besonderen zentraler Schauplatz des Geschehens. Wer „Tierschutzarbeit“ live und – sicherlich nicht in allen, aber nachweisbar in vielen Fällen – das Verbrennen von Tierschutzgeldern miterleben möchte, findet hier jede Menge Gelegenheit (i. e. Verhandlungstermine).

Abgesehen von Obigem sind aber auch die Beschlüsse und Urteile nicht selten von generellem Interesse. In Aua717 wird ein solcher Beschluss zitiert.

 

Wichtiges zur Verdachtsberichterstattung

Aber auch das Urteil des Landgericht Kölns (Az.: 28 O 133/12) vom 11.07.2012 verdient die Veröffentlichung, weil es Grundsätzliches zum weit verbreiteten Phänomen der so genannten Verdachtsberichterstattung verlautbart – und das fallgenau für die Tierschutzszene.

Grundsätze dieser Verdachtsberichterstattung werden schon bei Wikipedia definiert. Das Auftrumpfen im Internet und/oder bei Facebook mit dem Hinweis auf ein gegen Person X laufendes staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren ist inzwischen zu einer weit verbreiteten Unart geworden, der selbst große Tierschutzorganisationen frönen (vgl. Aua644). Dass der Hinweis auf solche Verfahren jedoch an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist, scheint vielen „Tierschützern“ nicht bekannt zu sein.

In dem dem Landgericht Köln vorliegenden Fall stritten zwei Tierschützer über die Rechtmäßigkeit einer Mitteilung eines gegen den Verfügungskläger laufenden Ermittlungsverfahren durch den Verfügungsbeklagten (Bernd Wierum)  in einem Internetforum.

Doggennetz.de zitiert nachstehend aus dem Urteil bei Wahrung der Anonymität des Verfügungsklägers. Bernd Wierum hat dieser Redaktion schriftlich das Einverständnis zur Nennung seines vollen Namens erteilt. Hervorhebungen und Absätze in den nachstehenden Urteilsauszügen stammen von dieser Redaktion.

 

Zum Tatbestand

Dieser wird im Urteil wie folgt beschrieben:

              

Zwischen den Parteien herrschen Differenzen, dies insbesondere auch im Hinblick auf die Verwendung von Spenden an ein von dem Verfügungskläger mitbetreutes rumänisches Tierheim. Der Verfügungsbeklagte erstattete bei der Staatsanwaltschaft Kleve Strafanzeige gegen den Verfügungskläger wegen des Verdachts der Beihilfe zum Spendenbetrug.

(Urteil Landgericht Köln Az.: 28 O 133/12 v. 11.07.2012)

              

Bernd Wierum hatte dann im Internet in einem Kommentar auf die selbst darstellende Berichterstattung über die Tierschutzarbeit des Verfügungsklägers auf diese Tatsache hingewiesen. 

In Reaktion auf diesen Kommentar von Wierum hatte der Verfügungskläger beim Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung erwirkt, durch die Bernd Wierum diese Äußerung verboten wurde.

Erst im Widerspruchsverfahren zu dieser einstweiligen Verfügung stellte sich dann heraus, dass der Verfügungskläger selbst auf der Homepage seines Tierschutzvereins schon am 14.02.2012 über das zitierte Ermittlungsverfahren berichtet hatte. Und dort tat er auch genau das, was er Wierum mit der einstweiligen Verfügung zunächst untersagen ließ – er berichtete von einem Strafantrag gegen seinen Kritiker:

              

„Von Anfang an versuchte ein Bemd Wierum durch Lügen und falsche Anschuldigungen meine Arbeit zu boykottieren, dass sogar soweit ging, dass er sogar unter Behauptung falscher Tatsachen bei der Staatsanwaltschaft schriftlich eine Strafanzeige erstettete, […] 

Ich habe gegen
Wierum Strafantrag gestellt. Das Aktenzeichen werde ich diese Woche noch bekommen und umgehend veröffentlichen ...“

(ibid.)

              

 

Keine Wahrheitspflicht vor dem LG Köln?

Ganz besonders interessant im weiteren Verlauf des Urteils ist die dort festgehaltene Aussage des Verfügungsklägers zu seinem eigenen Status:

              

Der Verfügungsbeklagte sei nicht zu „den Medien“ zu rechnen, die ein Informationsinteresse zu befriedigen hätten; im Übrigen bestreite er, eine Person des öffentlichen Lebens oder der Zeitgeschichte zu sein.

(ibid.)

              

Dieser Redaktion liegt ein Screenshot der Facebook-Seite des Verfügungskläger vor mit Datum vom 12. Juli 2012 (also ein Tag nach Urteilsverkündung), in der er sich selbst ausdrücklich als „Person des öffentlichen Lebens“ bezeichnet. Leider kann dieser Screenshot an dieser Stelle nicht veröffentlicht werden, da sonst die Anonymität des Verfügungsklägers aufgehoben würde.

 

Entscheidungsgründe

Das Landgericht Köln entschied in diesem Widerspruchsverfahren:

              

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung über den Widerspruch nicht (mehr) begründet.

Hiernach liegt keine einen Unterlassungsanspruch nach §§ 823, 1004 BGB rechtfertigende rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung wegen der erfolgten Namensnennung in Verbindung mit einem gegen den Verfügungskläger laufenden Ermittlungsverfahren vor; auch die Eilbedürftigkeit ist zu verneinen.

Bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es ’sich um einen sogenannten offenen Tatbestand, d.h. die Rechtswidrigkeit ist nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern im Rahmen einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen von Presse- und Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) einerseits und allgemeinem Persönlichkeitsrecht des Antragstellers andererseits (Art. 2, 1 GG) unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit positiv festzustellen (Palandt-Sprau, BGB, .§ 823 Rn. 95 m.w.N.).

Regelmäßig stellt die öffentliche Berichterstattung über eine Straftat unter Namensnennung, Abbildung oder Darstellung des Täters eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Täters dar, weil sein Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen des Publikums negativ qualifiziert wird (BVerfG NJW 2006, 599). Presserechtlieh sind daher bei Verdachtsberichterstattung erhöhte Anforderungen an die publizistische Sorgfaltspflicht zu stellen. So ist unter anderem Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Berichterstattunq das Vorliegen eines Mindestbestands an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen (vgl. BGH NJW 2000, 1036 – Verdachtsberichterstattung).

Unabhängig von der Frage, ob der Verfügungsbeklagte im Hinblick auf die Äußerung in einem Blog bereits den Sorgfaltspflichten der Presse unterliegt, ist es vorliegend allerdings bereits höchst zweifelhaft, ob ein derartiger Mindestbestand an Beweistatsachen für ein strafbares Verhalten des Verfügungsklägers vorliegt. Derartiges ist nicht hinreichend von dem Verfügungsbeklagten vorgetragen worden. Dies gilt jedenfalls hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Schriftsätze seines Prozessbevollmächtigten; ob seine eigenen Schreiben insoweit einen nachvollziehbareren Sachverhalt enthalten, konnte wegen § 78 ZPO nicht geprüft werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass ein persönlicher Verdacht des Verfügungsbeklagten insoweit nicht ausreichen dürfte. Der erforderliche Mindestbestand an Beweistatsachen erfordert eine gewisse Zuverlässigkeit der Informationen, reine Vermutungen reichen insoweit nicht aus (vgl. dazu auch Burkhardt in Wenzel, das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rn. 10.155, 156).

Demgegenüber ist allerdings davon auszugehen, dass der Verfügungskläger deshalb durch seine namentliche Erwähnung im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren nicht in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt ist, weil er selbst in einer eigenen Internetveröffentlichung am 14.02.2012 dieses Ermittlungsverfahren öffentlich machte.

Der Schutz der Anonymität versagt – genauso wie bei sonstigen Informationen über eine geschützte Sphäre – wenn der Betroffene selbst diese Informationen der Öffentlichkeit zugänglich macht (vgl. Burkhardt in Wenzel, das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rn. 5:42, 5.51). Derjenige, der aus eigenem Entschluss am öffentlichen Prozess der Meinungsbildung teilnimmt und sich damit den Bedingungen des Meinungskampfes unterwirft, begibt sich eines Teils der zu schützenden Privatsphäre (BVerfG, NJW 1980, 2069).

Derartiges geschah seitens des Verfügungsklägers mit dem Beitrag vom 14.02.2012 (Anlage AG 1). Dort ist der Umstand des Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft Kleve benannt, genauso wie der Zusammenhang mit der Tätigkeit des Verfügungsklägers in [Ortsname entfernt – d. DN-Red.], Rumänien mit [Personenname entfernt – d. DN-Red.]. Zwar ist dort nicht auch der Gegenstand des Tatverdachts (Beihilfe zum Spenden betrug) erwähnt, jedoch erscheint dies, da die Veröffentlichung des Verfügungsbeklagten vorliegend allein wegen der angeblich unzulässigen Namensnennung des Verfügungsklägers im Zusammenhang des Ermittlungsverfahrens erfolgte, unerheblich.

Maßgeblich für die Abwägung ist es, dass der Verfügungskläger selbst an die Öffentlichkeit trat und über das gegen ihn gerichtete Ermittlungsverfahren berichtete. Dort bezichtigte er den Verfüqunqsbeklaqten unter weiterer Darlegung der Umstände seinerseits der falschen Anschuldigung in diesem Zusammenhang. Im Rahmen der Gesamtabwägung bildet daher die streitgegenständliche Äußerung keine zu unterlassende Persönlichkeitsrechtsverletzung, zumal der Verfügungskläger dort ankündigte, seinerseits das Aktenzeichen des von ihm gegen den Verfügungsbeklagten eingeleiteten Ermittlungsverfahrens zu veröffentlichen, sobald er es bekomme.

Soweit aus der Veröffentlichung des Verfügungsklägers vom 14.02.2012 hervorgeht, dass ihm zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass der Verfügungsbeklagte in anderen Foren behaupte, dass gegen den Verfügungskläger bereits eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Kleve gestellt sei, ist auch die Eilbedürftigkeit zweifelhaft geworden.

Denn wenn der Verfügungskläger bereits zu diesem Zeitpunkt wusste, dass der Verfügungsbeklagte ihn identifizierend in Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren brachte, hat er zu lange – nämlich bis zum 21.03.2012 – mit der AntragsteIlung in diesem Verfahren gewartet, indem er bereits die vom Informationsgehalt identischen alten Veröffentlichungen tolerierte.

(ibid.)