Aua630: Das Verwaltungsgericht-Lüneburg-Urteil: Volltext und nichts als die Wahrheit
{TS-Kritik}
In Aua605 wurde das Contra-Gewerbsmäßigkeit-Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vorab vermeldet. Erstritten hat dieses Urteil der Internationale Tierschutzverein Grenzenlos e. V. (ITV), der es dann auch entsprechend publik machte.
In den Meldungen über dieses Urteil wird vom ITV Grenzenlos durch eine entsprechende Wortwahl der falsche Eindruck erweckt, dieses Urteil hätte über den Einzelfall ITV hinausgehend irgendeine Bedeutung. So etwa titelt die Meldung auf der ITV-Website „Die Rettung von Tieren aus dem Ausland ist Tierschutz und kein Handel“ (Quelle).
Urteil hat keine Bindungskraft für andere Vereine!
Das ist jedoch nicht mehr als eine vom ITV Grenzenlos geäußerte Meinung und hat mit dem Urteil überhaupt nichts zu tun. Denn dessen Bindungskraft beschränkt sich ausschließlich und allein auf den Verein ITV Grenzenlos.
Nach Paragraf 121 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben verwaltungsrechtliche Urteile, wenn sie rechtskräftig werden, eine rechtliche Bindungswirkung nur zwischen den Beteiligten („inter partes“), d. h. andere Landkreise in Niedersachsen sind an das Urteil des VG Lüneburg rechtlich nicht gebunden. Dies rührt daher, dass Landkreise in Niedersachsen, soweit sie im übertragenen Wirkungskreis staatliche (d. h. nicht kommunale) Aufgaben (Ausländerrecht, Tierschutz etc.) übernehmen, nicht untere „staatliche“ Verwaltungsbehörde sind. Anders als in anderen Bundesländern ist der niedersächsische Landkreis rein kommunal verfasst.
Infolge der bloßen „Inter partes“-Wirkung rechtskräftiger Urteile können auch die Verwaltungsgerichte Braunschweig, Göttingen, Hannover, Oldenburg, Osnabrück und Stade anders entscheiden als das VG Lüneburg. Erst ein entsprechendes Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg in einem Hauptsacheverfahren hat eine zumindest faktische Bindungswirkung für die niedersächsischen Tierschutzbehörden und die niedersächsischen Verwaltungsgerichte, denn Rechtsstreitigkeiten kämen ja wieder im Instanzenzug vor das OVG.
Klagen bis zum Abwinken
Die Rechtsunsicherheit (für andere Vereine und die Veterinärbehörden) bleibt vorläufig bestehen. Wenn die Tierschutzvereine der Ermunterung großer Organisationen wie z. B. TASSO (vgl. Aua499) folgen und Spendengelder in Verwaltungsgerichtsverfahren investieren, deren Urteile dann ohnehin nur für den jeweils betroffenen Verein Gültigkeit haben, lässt sich stoisch Urteil auf Urteil schichten, ohne dass diese irgendeine regulative Kraft entfalten oder Rechtssicherheit herstellen würden.
Perspektive? Wenn sich nicht zuvor die Landesbehörden länderübergreifend darauf einigen, ihre Verwaltungspraxis an der Entscheidung eines oder mehrerer Verwaltungsgerichte oder Oberverwaltungsgerichte bzw. der Verwaltungsgerichtshöfe auszurichten, kommt es zu einer bundesweiten Rechtsvereinheitlichung erst durch eine Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtshofes (BVerwG) in Leipzig. Zwar hat auch dieses Urteil nur „inter partes“-Wirkung, jedoch reicht die faktische Bindungswirkung bundesweit, da jeder Rechtsstreit in Deutschland in der letzten möglichen Instanz (Revision) wieder beim BVerwG landet.
Urteil im Volltext
Als Bestandteil des Lesegeld-würdigen exzellenten Doggennetz.de-Leserservices (Botschaft angekommen?) findet sich unten als pdf-Dokument die vollständige und anonymisierte Version des Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg 6 A 63/10 vom 19.04.2012.
Das frühere und nicht rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig zum selben Thema ist am Ende von Aua312 als pdf-Dokument verlinkt.
Das jüngste, nun wieder pro Gewerbsmäßigkeit entscheidende Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen (vgl. Aua627) liegt noch nicht vor und wird nachgereicht.
Nichts als die Wahrheit
Die Urteilslektüre ist jeweils so spannend! Gelegentlich wirft sie auch Fragen auf. So etwa, wenn man folgenden Passus aus dem VG-Lüneburg-Urteil liest, der die Anzahl der importierten Hunde des klagenden Vereins ITV Grenzenlos benennt:
Pro Jahr würden etwa 50 Hunde nach Deutschland gebracht und vermittelt. (Urteil VG Lüneburg 6 A 63/10; Seite 3; Hervorhebung d. Red.) |
Auf der Website von ITV Grenzenlos e. V. steht zum quantitativen Leistungsumfang des Hundeimports:
Der ITV Grenzenlos hat seit seiner Gründung im Jahr 2001 mehr als 850 Hunde – zumeist aus Süd- und Osteuropa, gelegentlich aber auch aus Ägypten und Taiwan – vermittelt. (Zitat von der Website ITV Grenzenlos, Rubrik „Wir über uns“ / Tierschutz in Europa; Hervorhebung d. Red.) |
Der Taschenrechner in der DN-Redaktion ist offensichtlich defekt und liefert bei 850 Hunden in 11 Jahren eine Zahl als mittleres Jahresergebnis, die nicht zu der im Urteil genannten passt. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit unendlich groß, dass die Tierschützer in früheren Jahren mehr, jetzt aber weit weniger Hunde einführen. Ist sie?
Um diese These zu überprüfen, werfen wir einen Blick auf die Anzahl der aktuell angebotenen Hunde: Aktuell und mit Stand vom 9. Mai 2012 stehen 31 Auslandshunde von ITV Grenzenlos in der Vermittlung (hier).
Für 2012 müsste ITV Grenzenlos dann die Aufnahme weiterer Tiere in den Vermittlungskatalog demnächst einstellen? Denn satte vier Monate des Jahres sind schon rum. In der Zeit wurden doch sicherlich auch schon Hunde vermittelt? Und bei „rund 50“ ist ja Schluss!
Doggennetz.de hat das aktuelle Hundeangebot per Screenshot gesichert. Sicherlich ist es spannend zu beobachten, was in den nächsten Monaten an Hunden noch so dazu kommt.
Aktuell warten auf einen Platz:
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Namentlich aufführen muss man natürlich nur Hunde, die auch in die Vermittlung gehen!