Interview zur Lage der Doggen
Im Sommer 2009 wurde ich von der Organisation petwatch (https://petwatch.blogspot.com/) , dem Diplom-Psychologen und Biopsychologen Christoph Jung, zu einem Interview zur „Lage der Doggen“ gebeten. Nachstehend ist das Interview zu lesen so, wie es auch unter dem Link https://petwatch.blogspot.com/search?q=Doggen im Original zu finden ist, allerdings ohne die Bilder.
Im Nachgang zum Dortmunder Appell (https://www.dortmunder-appell.de/) und dessen großer Resonanz (vgl. dort in der Rubrik „Stimmen“ auch das Votum des Doggen-Netz) ist dann das Buch von Christoph Jung Unsere Stimmen für den Hund: Anmerkungen zur Lage des Rassehundes erschienen, in dem dieses Interview zur Lage der Doggen ebenfalls zum Abdruck kam: https://www.amazon.de
Des Weiteren besonders empfehlenswert: Christoph Jung: Das Schwarzbuch Hund – Die Menschen und ihr bester Freund . Details zum Buch hier: https://www.amazon.de.
Zur Lage der Doggen
Die Deutsche Dogge ist der Apoll unter den Hunden. Man sieht sie eher selten, doch gehört sie mit knapp 2.000 Welpen im Jahr zu den meistverkauften Hunden im VDH. Karin Burger vom Doggen-Netz kennt die Doggen seit mehr als 20 Jahren. Sie gibt uns Einblicke zur Lage der Doggen in Deutschland.
Christoph Jung: Frau Burger, Sie engagieren sich für die Deutsche Dogge, können Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeit geben?
Karin Burger: Bundesweit gibt es – je nachdem, wo man den Seriositätsschnitt setzt – gut fünf oder sechs rassespezifische Tierschutzorgas, die sich nur und ausschließlich mit der Deutschen Dogge beschäftigen. Und alle haben sehr gut zu tun!
Das Hauptgeschäft all dieser Doggen-Schützer besteht zum größten Teil darin, den überbordenden Output der offiziellen Zucht „umzuschichten“, wie ich das nenne. Das heißt: Leichtfertig, blauäugig, schlecht oder ohne entsprechende Umsicht von Züchtern verkaufte DDC- oder KyDD-Welpen im dann spätpubertären oder frühadulten Alter, wenn sie „problematisch“ werden, zu übernehmen, und neue Plätze zu suchen. Auch alte, hinfällige, kranke Doggen sind beliebte Abschiebeobjekte an den Tierschutz.
Meine Kolleginnen können lange Listen mit Zwinger-Namen der Hunde vorlegen, mit denen sie tagein, tagaus beschäftigt sind. Und nur ein Bruchteil dieser Tierschutz-Doggen entstammen der sogenannten Schwarz-Zucht, also Vermehrern ohne offiziellen Zwinger, Verband etc. Lediglich eine der Kolleginnen hat ihren Aktionsschwerpunkt in Ost-Europa. Und selbst da begegnen uns Zuchthündinnen, die bei eingehender Recherche ihre zweifelhafte Karriere unter einem der beiden deutschen Doggen-Zucht-Verbände begonnen haben.
Ich persönlich habe längst meine Konsequenzen aus der desaströsen Lage der Deutschen Dogge gezogen und bin im operativen Geschäft, also im karitativen Tierschutz, nicht mehr tätig. Mein Schwerpunkt liegt jetzt auf Publikation und Beratung.
Überdies verwalte ich mein persönliches Doggen-Erbe aus der aktiven Zeit: mein Altrüde Marius, einst eine der bekanntesten Tierschutzdoggen bundesweit und in der Schweiz, sowie meine Doggenhündin Patty, die herrenlos, halb irre vor Angst und vollständig abgemagert im Wald bei Rottweil aufgegriffen wurde und sich von den dortigen Tierschützern 5 Tage lang nicht anfassen ließ. Marius ist symptomatisch für die Problematik des Doggen-Schutzes: ein riesiger Rüde, der all den Labels, mit denen diese Rasse von den Züchtern gern vermarktet wird – als da sind „Familienhund“, „sanfter Riese“ etc. – genau NICHT entspricht. Die besondere und nahezu symbolische Geschichte von Marius kann man auf meiner Homepage nachlesen.
In den vergangenen Jahren zunehmend waren und sind für uns alle im Doggen-Schutz Tätigen Deutsche Doggen, die extreme Verhaltensprobleme zeigen, die sich nicht immer auf defizitäre Sozialisierung oder sogenannte Haltungs- und Erziehungsfehler der Besitzer zurückführen lassen. Aber wen sollte das wundern bei einer Zucht, die sich ausschließlich auf Schönheit konzentriert und sich nur am Phänotyp austobt. Die vor einigen Jahren eingeführten sogenannten Wesenstests haben da nur Alibifunktion.
Christoph Jung: Wie beurteilen Sie die Situation in der Doggen-Zucht?
Karin Burger: Desaströs, wie oben schon indiziert! Und das Desaster hat mindestens zwei Dimensionen:
Quantität: Die meisten Hundefreunde sind in der Regel bass erstaunt zu hören, dass die Deutsche Dogge auf Platz 6 der VDH-Welpenstatistik liegt. Das bedeutet: die Deutsche Dogge ist die in der Bundesrepublik unter dem Dachverband VDH am sechsthäufigsten gezüchtete Rasse mit einem jährlichen Output von rd. 1.900 Welpen (VDH-Statistik für 2007). Es werden jährlich mehr Deutsche Doggen als z. B. Rottweiler, Riesenschnauzer oder Hovawarts gezüchtet. Diese Quantität spiegelt sich aber im Alltag nicht wider, wenn jeder mal für sich überlegt, wann er wo wie oft Deutsche Doggen sieht.
Das quantitative Desaster schlägt sich auch in der oben genannten Vielzahl der Doggen-Schutz-Organisationen nieder. Meines Wissens gibt es für keine andere Hunderasse so viele spezifische Tierschutzinitiativen – ein Armutszeugnis für die Züchter einer solchen Rasse!
Qualitativ: Man hat die Deutsche Dogge inzwischen in Grund und Boden gezüchtet. Die statistische Lebenserwartung nach unserem Kenntnisstand liegt so um, eher unter fünf Lebensjahren. Wer will sich denn einen Hund anschaffen, der im Schnitt nur fünf Jahre lebt und bis zu seinem frühen Tode u. U. auch noch das eigene Vermögen vernichtet, das im Sauseschritt an Tierärzte und Kliniken umverteilt wird? Der langen Liste von rassetypischen Krankheiten wie DKM, Magendrehung, Wobbler, ED, HD, Spondylose, Allergien etc. gesellen sich in den letzten Jahren vermehrt untherapierbare Verhaltensprobleme hinzu, die in nicht wenigen Fällen mit der Euthanasie der betroffenen Hunde enden. Meine Hypothese zu diesem auch noch an einen bestimmten Farbschlag gekoppelten Phänomen: idiopatische Aggression. Die Verbände kennen das Problem seit vielen Jahren. Gemacht – oder zumindest erkennbar gemacht – wird nichts!
Zum qualitativen Defizit der Deutschen-Doggen-Zucht gehört es übrigens auch, dass es dem größeren, dem Hauptverband Deutscher-Doggen-Club (DDC) schon vor vielen Jahren gefallen hat, in einem Rundumschlag alle aktiven Doggenschützer der Bundesrepublik aus seinem Verband auszuschließen; darunter Aktive mit fast zwei Jahrzehnten Verbandszugehörigkeit. Das ist eine unmissverständliche Standortbestimmung des Verbandes! Stattdessen sogenannte „Tierschutzbeauftragte“ aus den eigenen Reihen zu benennen ist Augenwischerei und ähnlich glaubwürdig wie die viel verhöhnte freiwillige Selbstkontrolle anderer Wirtschaftsbereiche.
Dieses doppelt gestrickte Defizit der Deutschen-Doggen-Zucht trifft nun auch noch auf sozial und wirtschaftlich äußerst ungünstige aktuelle Verhältnisse. Die Synergie dieses vierfachen Desasters bringt die Doggen-Schutz-Organisationen der BRD an den Rand ihrer finanziellen und infrastrukturellen Möglichkeiten:
Gesellschaft: Die Deutsche Dogge ist, anders als das züchterische Marketing dies gerne möchte, eben kein Familienhund. Wenn am Sonntagnachmittag die Durchschnittsfamilie Müller-Maier mit zwei Kindern und ihrer Deutschen Dogge im Eiscafé in der Fußgängerzone aufschlägt, ist das die schmalere Version des Auszugs aus Ägypten und durchaus geeignet, Volksaufläufe zu generieren, wenn nicht sogar der Eisdielen-Besitzer darauf hinweist, dass Hunde zwar erlaubt, von Pferden aber nicht die Rede gewesen sei (= authentischer Fall). Die Deutsche Dogge ist ein absoluter Extremhund – extrem groß, extrem schwer, mit extremen Ansprüchen. Sie ist ein Hund für Individualisten, für mit bestimmten Qualitäten ausgestattete Fans dieser Rasse. In einer überwiegend hundefeindlichen, wenn nicht gar hundehysterischen Gesellschaft in einem dicht besiedelten Land mit einer erschütternd überschaubaren Anzahl von Großgrundbesitzern ist die Deutsche Dogge ein Auslaufmodell, das dann auch nur in der einem Auslaufmodell zustehenden Quantität gezüchtet werden sollte. Würde man parallel die züchterische Qualität heben, könnte dieser Hund eines Tages einmal wieder seinem früheren megalomanischen Etikett gerecht werden: Apoll der Hunderassen!
Wirtschaft: Zeiten der Wirtschaftkrise, Zeiten mit für berufliches Fortkommen absolut notwendiger Mobilität und Flexibilität vertragen sich schlecht mit einer exotischen Hunderasse, in die man Futter und Medikamente mit der Kohlenschaufel versenken kann und die für ihr Wohlbefinden auf Struktur und Regelmäßigkeit angewiesen ist.
Christoph Jung: Was muss ein Halter bedenken, wenn er/sie eine Dogge halten will?
Karin Burger: Im oben Gesagten steckt das Wichtigste schon drin: die Deutsche Dogge ist ein Extremhund. Und sie ist kein – zumindest nicht als genetischer Automatismus – „sanfter Riese“! Gerade aufgrund von Größe und Gewicht braucht sie einfühlsame Führung und kynologische Kompetenz. Die Deutsche Dogge ist auf gar keinen Fall ein Anfängerhund. Zu bedenken sind auch die extremen Hardware-Bedingungen in der häuslichen Haltung und im Transport. Die Unterhaltskosten sind erheblich! Und das soziale Umfeld reagiert oft rassekonform: extrem! Sitzen die einen der dem Doggen-Führer entgegenkommenden Spaziergänger gleich auf den Bäumen, reagieren andere regelrecht aggressiv oder vollkommen hysterisch. Im Übrigen sind die individuellen Voraussetzungen für die Anschaffung und Haltung einer Deutschen Dogge sehr gründlich zu prüfen. Sehr oft rufen bei mir Menschen an, die sich sehr ernsthaft und seriös mit ihrem Doggen-Anschaffungswunsch auseinandersetzen. Nach meiner Beratung kommen 7 von 10 Anrufern zu der selbst getroffenen Entscheidung, dass diese Rasse doch nichts für sie sei. Und dann freue ich mich sehr: weil ich mit dieser fundierten und kritischen Beratung einen weiteren Doggen-Schutz-Fall verhindert habe!
Christoph Jung: Was würden Sie sich für unsere Doggen wünschen? Karin Burger: Nun ja, 20 Jahre Tierschutzpraxis haben mich gelehrt, dass meine Wünsche utopisch sind. Aber um die gute Fee nicht zu frustrieren:
– Eine jährliche Welpenproduktion, die in der Quantität dem Exotenstatus der Rasse entspricht und nur noch eine vornotierte, vorkontrollierte Käufer-Nachfrage bedient. Dazu gehören natürlich dramatische Begrenzungen der Deck- und Wurfzahlen.
– Züchter mit umfassenden genetischen und verhaltensbiologischen Kenntnissen, die die Orientierung einer am reinen Phänotyp orientierten Zucht zugunsten von Gesundheit und Wesen aufgeben, die ihre Zuchthunde nicht in Zwingern halten und „ausrangierte“ Zuchttiere nicht „abstoßen“.
– Eine radikale Sanierung der Blauzucht, aus der alle jene Linien ausgeschlossen werden, für die man nicht stichhaltig widerlegen kann, dass sie die idiopathische Aggression vererben.
– Ein kategorisches Verbot jeder Inzucht. Im Übrigen muss die Ermittlung des Inzuchtskoeffizienten vorgeschriebener, dokumentierter und publizierter Bestandteil jeder Verpaarung sein.
– Eine kleinere, leichte Dogge, die eine Lebenserwartung von zehn Jahren hat, was zum Status quo schon eine Verdopplung wäre!
– Verbände und Züchter, die mit den verschiedenen Doggen-Schutz-Organisationen kooperieren und sich deren hohe Standards in der Vermittlung aneignen. Dazu gehört selbstverständlich auch ein finanzieller Obolus der Verbände an die Doggen-Schutz-Orgas für deren exzesssive Aufwendungen zum Schutze von Verbandsdoggen.
Christoph Jung: Frau Burger, vielen Dank für diese tiefgreifenden wie bewegenden Informationen.
Links:
– www.tierfreunde-niederbayern.de. Fr. Gabi Hesel |