Aua1175P: TIERE SUCHEN EIN ZUHAUSE bastelt mit ungarischen Obdachlosenkindern

 

 

Themeneinführung:

Ende September 2013 hat die ungarische Regierung ein Gesetz gegen Obdachlose beschlossen, das europaweit für Empörung sorgte. Das Gesetz verbietet Obdachlosen das Übernachten auf Straßen und Plätzen. Bei Zuwiderhandlung drohen Freiheitsstrafen. Außerdem dürfen Kommunen ausgewiesene Zonen bestimmen, in denen Obdachlosen der Aufenthalt verboten ist.

Ende Oktober 2013 durchstreifte ein deutscher Tierschützer auf der Suche nach einem entlaufenen Hund fünf Tage lang die Randgebiete und Vororte von Budapest. Was er dabei zu sehen bekam, habe sein Weltbild atomisiert: obdachlose Menschen, die in Erdlöchern hausen; eine alte Frau, die auf der Straße gestorben war; Familien mit Kindern in dünnen T-Shirts Anfang November, die sich abends auf den Friedhöfen um Grablichter scharen, um sich daran die Hände zu wärmen.

Ungarn liegt nicht auf einem anderen Planeten, auch nicht auf einem anderen Kontinent. Und es gehört noch nicht einmal zu den ärmsten Ländern in Europa!

Deutsche Tierschützer sind permanent vor Ort, um dort Tiere zu retten.

 

 

  

{TS-Satire}

 [erschienen in DNPA: 03.12.13; online verfügbar: 13.01.14]

 

Advent – die besinnliche Zeit: Der Duft von Plätzchen (in den Wohlstandsländern!), Tannengrün, Glühwein (in den Wohlstandsländern!) und Bratwurst (in den Wohlstandsländern) begleitet den Countdown zur finalen Konsumschlacht (in den Wohlstandsländern!) im Lichterglanz. Mit weihnachtlicher Milde und Anteil nehmend schräg geneigtem Haupt betrachtet das zentraleuropäische Auge die im winterkalten Mittelmeer versaufende afrikanische Armut. Schrecklichistnochglühweinda?

Und die von Hand abgezählten syrischen Flüchtlinge in den von Neonazis bedrohten und deshalb notdürftig von der Polizei geschützten Asylbewerberunterkünften dürfen sich schon mal in den Recylcinggedanken einturnen und deutschen Wohlstandsbürgern beim Platzschaffen für den Weihnachtskonsum behilflich sein.

Die gute Tat, all überall.

 

Dekadenzartistik

Auch bei der Auslandsschlepperunterstützer-Sendung Tiere suchen ein Zuhause. Statt reiner Dekadenzartistik, die aus abgelegten Bademänteln Adventskalender für von vorne nach hinten gepamperte Sofahunde zaubert, entschied sich das WDR-Team für eine gemeinsame Bastelaktion mit ungarischen Obdachlosenkindern. Die gute Tat, all überall! Ihr Kinderlein, kommet … unserem Wohlstand nicht zu nahe!

Sie sind leicht zu finden, die Kinderlein: Insider wissen, wo sich in Ungarn an Novemberabenden in Sommer-T-Shirts gewandete, nicht eisgekühlte, aber eiskalte Kinderhäute samt ihren Eltern versammeln: um die Grablichter auf Friedhöfen, um sich dort die Hände zu wärmen. Armutstanz im Lichterglanz.

Zwar hat Sombecki etwas Mühe, den stinkenden Sinti-Roma-Bälgern bei der Begrüßung mit nämlicher Theatralik um den Hals zu fallen wie der WDR-Kollegin und Deko-Trulla, aber ein wenig Einsatz braucht es beim Springen über den klaftertiefen Dekadenzgraben eben schon. Und das handliche Sagrotan-Spray kann man auch ganz diskret zum Einsatz bringen. Festtagsdüfte Osteuropa!

 

Bildzitat Screenshot Tiere suchen ein Zuhause 01.12.13: Zwei Schwestern sehen sich zum ersten mal wieder nach dem Krieg. Oder: Überlebende einer Familie haben sich nach dem Taifun auf den Phillippinen wiedergefunden!

 

Als die beiden Zuckerdamen die mitgebrachten Waren auspacken, hüpfen die Kinderlein vor lauter Aufregung auf und nieder. Oder ist es doch die Kälte? Nein, es wird die jubilierende Freunde sein! Mit dem Christkind wird’s bei ungarischen Wohnsitzlosen nichts werden. So nimmt osteuropäische Bedürftigkeit mit dem Sombecki-Kind vorlieb. Kinderaugenglanz – nur auf der falschen Seite!

 

Clash of cultures

Beim Basteln des Kleintiertunnels kommt es erst einmal zu einem knirschenden „clash of cultures“, als die Penner-Bälger heimlich Lebendfallen in die Röhren schieben.

 

Bildzitat Screenshot wie oben. Was die Welt dringend braucht: ein Kleintierspieltunnel – „eine gute Beschäftigungsmöglichkeit für Nager“!

 

Sie können das auch argumentativ begründen, denn auch ungarische Ratten sind am Überleben interessiert und knabbern in den kuscheligen Erdlöchern, welche diesen Kindern als Zuhause dienen, nicht nur gehortete Lebensmittel an. Auch ohne den verführerischen Duft von leckerem Adventsgebäck.

Das pädagogisch-penetrante Mahnen von wegen „Mitgeschöpfe“ und „Barmherzigkeit“ der westdeutschen Wohltäter verbrennt im stummen Fingerzeig auf Rattenbisswunden an Kinderbeinen. Eiterkrusten-Zuckerguss.

 

Sockenmissbrauch

Ein wahrer Blockbuster der Barmherzigkeit ist das „Wurfspielzeug“:

 

Bildzitat Screenshot wie oben. Wer sich fleißig mit Dekadenzartistik beschäftigt, ist eine wertvolle Stütze des kapitalistischen Systems und wird sich davor schützen zu merken, was auf dieser Welt geschieht.

 

Allerdings sind diese Kinder relativ rasch mit dem Basteln fertig. Sie ziehen die aus deutschem Überfluss auf sie herabschneienden Socken einfach an. Welch ein Luxus! Wärme, Schutz, Kuscheligkeit! Stolz zeigt einer dem anderen das ergatterte Muster der neuen Fuß-Bekleidung oder kichert über ein ungleiches Paar.

Die tadelnden Blicke der deutschen Tierfreunde zerhacken die unbedachte Seligkeit in Windeseile: „Die sind doch für die Hunde! Die habt ihr doch bestimmt auch gern?“

Adventszweifel, Wohltätigkeitsskepsis und Moralmisstrauen glitzern in tausend Flöckchen über den vorweihnachtlichen Ungarn-Friedhof.

Ausziehen!“, so der moralische Imperativ jener, die sie hüten. Die Moral, die Tiere, nicht die Kinder! Pars statt toto. Schaschlik-Ethik.

Mit verkniffenem Liebreiz zeigen die Barmherzigen den Nachwuchsbarbaren noch einmal, wie es richtig geht: Bälle in Socken zum Spielen für Hunde! H-u-n-d-e!!! Hundehundehunde!

Militärakustik statt Engelsharfen und Schalmeienklang.

 

Dekadenzphilie

Das süße Versprechen: „Ein bisschen mehr Arbeit macht die Leckerli-Decke – aber sie verspricht auch viel Spaß“ [Original-WDR-Redaktionstext].

Spaß“ verstehen diese Kinder nicht. Das ist die Sprache des Luxus! Aber der Sinn einer Decke für Menschen ohne Obdach in osteuropäischen Winternächten, der erschließt sich ihnen ohne redaktionelle Anweisung. Im kindlichen Überschwang werfen sich die Abgehängten gegenseitig ausrangierte Bademäntel über die dürren Leiber, wickeln sich wohlig ein mit vor Wonne geschlossenen Augen! Mmmh – das schmeckt. Die ungewohnte Wärme schlägt zarte Funken an der Lust zum Leben! Zum Überleben.

 

Bildzitat Screenshot wie oben. Adventskalender-Leckerli-Decke für … Hunde!

 

Das ist doch für die Tiere, für die Hunde, unsere Freunde!“ ist die schrille Begleitmusik zu den kaum noch verdeckt aggressiven Handhabungen, mit denen zarte Tierfreundinnen-Hände erbarmungslos das Hundespielzeug zurückerobern. Mit zornigen Bewegungen werden von ungarischem Körperfett schon leicht verdreckte Hunde-Adventskalender-Decken auf dem Boden ausgebreitet und mit 24 Überraschungstaschen versehen. Im konzentrierten Blick auf die tierliebende Barmherzigkeit gelingt es den mehr als angesäuerten Damen noch einmal, die Realität, das Ganze und sämtliche Kausalnexi dazwischen auszublenden, schwarz beleuchtet von hassglühenden Kinderaugen in regungslosen kalten Körpern über verbastelten Herzen.

So pädagogisch wertvoll: „Um das Suchspiel für das Tier besonders spannend zu machen, die Öffnungen in verschiedene Richtungen nähen und dann die Leckerchen verstecken. Durch die unterschiedliche Anbringung der Öffnungen müssen sich Hund und Katze bei der Futtersuche immer wieder neu orientieren. Für den Fall, dass die Spürnase gar nicht genug von seiner neuen Leckerli-Decken bekommen kann: Statt Leckerchen normales Trockenfutter verwenden. Generell gilt: das Futter von der täglichen Essensration abziehen“ [Original-WDR-Redaktionstext].

Massiv verbiestert die Schlussfrage der westdeutschen Engel der Barmherzigkeit an die inzwischen starre Kinderfront: „Und was wünscht ihr euch denn zu Weihnachten?“

Die Dolmetscherin übersetzt: „Eine tägliche Essensration, ob mit oder ohne Abzüge!“