Aua709: Axel-Springer-Verlag im Fettnäpfchen: Welt online und die Tierschutz-Taliban

{TS-Kritik}

 

Der Hinweis auf den Artikel in WELT online zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. dazu auch Aua698) kam am 7. Juli 2012 über den Fellbeisser-Verteiler ohne weitere Kommentare oder Hinweise. Wer dem Link folgte, durfte über folgende Headline staunen: „Tierschutz-Taliban bedrohen die deutsche Jagd“.

Auch der so genannte Teaser hatte es in sich: Dort war von „Veganer-Justiz“ die Rede und von Bauern, die ihre Maisfelder leerfressen lassen müssen, „weil ein Tierschutz-Fundamentalist auf einem kleinen Flecken keine Jagd duldet“. (Link auf den jetzt geänderten Text; Screenshot der Ursprungsversion liegt dieser Redaktion vor).

Auch im weiteren Verlauf des Welt-online-Artikels drängte sich dem Leser der Eindruck auf, der Untergang zumindest des ballernden Abendlandes stehe nun unmittelbar bevor, nachdem der Europäische Gerichtshof dieses wegweisende Urteil zum Ende der Zwangsbejagung gefällt hat.

Doggennetz.de hatte schon einen ausführlichen satirischen Kommentar zu den teilweise unlogisch wirkenden Argumenten des Beitrags in Vorbereitung.

Der ewige Ruf nach dem Deutschen Presserat

Schon am nächsten Tag erging über Tierschutzverteiler  der Aufruf, den Artikel und seinen Autor beim Deutschen Presserat zu melden. Als relevante Äußerungen markiert waren dabei die Begriffe „Tierschutz-Taliban“, „Veganer-Justiz“ und „Tierschutz-Fundamentalisten“.

Diese Begriffe sind im Kontext mit einem Urteil eines hohen europäischen Gerichtes fehl am Platze. Zwar führen sich bestimmte Aktivisten der Szene durchaus so auf, dass die zitierten überspitzten Formulierungen eventuell dem „Recht zum Gegenschlag“ dienen könnten. Von diesem Recht war in Aua700 die Rede. Es ist gerichtlich abgesegnet.  Im vorliegenden Kontext jedoch ist nicht erkennbar, warum dieses Recht einer Tageszeitung zustehen sollte?

 

Shit happens!

Auch den ganz Großen der (Medien-)Branche geht manchmal  etwas richtig in die Hose! Shit happens – überall!

Inzwischen rudert Welt online heftig zurück. Die Überschrift wurde geändert. Statt „Tierschutz-Taliban bedrohen die deutsche Jagd“ heißt es jetzt: „Die Jagd ist auch ein öffentlicher Auftrag“.

Auch der Teaser hat einen neuen Text:

              

Im Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sitzen vermutlich keine Jäger. Sonst hätte er anders entschieden. Über das jüngste Urteil können sich nur die Wildschweine freuen.

(Welt-online v. 06.07.2012: Die Jagd ist auch ein öffentlicher Auftrag. Geänderte Textversion)  

              

Wer sich dem Korinthen-Output verschrieben hat, könnte auch hier schon wieder herummäkeln. Denn selbstverständlich freuen sich nicht nur die Wildschweine über das jüngste Urteil! Im fröhlichen Trubel der Sieger will selbst so ein Generalkritiker wie die DN-Redaktion nicht abseits stehen!

Doch Welt-online geht noch einen Schritt weiter: Die Redaktion bittet wortreich um Verzeihung:

              

Erklärung der Redaktion:

Dieser Artikel hatte zum Zeitpunkt seiner Publikation eine – inzwischen korrigierte – Überschrift, von der wir uns schärfstens distanzieren. Sie reflektierte weder Intention noch Wortwahl des Autors dieses Textes. Es handelte sich um einen groben journalistisch-handwerklichen Fehler, den wir aufrichtig bedauern und für den wir um Verzeihung bitten. Wir danken den zahlreichen Nutzern, die uns auf die indiskutable Überschrift hingewiesen haben.

(ibid.)  

              

 

Autor als leidenschaftlicher Jäger bekannt

Wie kann es so etwas passieren? Der Artikel trägt den Hinweis „©DPA“. Das bedeutet, er kam über die Deutsche Presseagentur.

Der Autor des Artikels, Eckhard Fuhr, ist nicht nur „Korrespondent für Kultur und Gesellschaft der „Welt“-Gruppe, sondern auch Jäger. In der Jagdzeitschrift „Wild und Hund“, so bekundet es ein Kurzporträt auf Zeit online, schreibe er die Kolumne „Aus dem Mediendschungel“.

Bei Weltbild.de etwa ist das Buch von Eckhard Fuhr und Werner Schmitz  Lob der Jagd  zu erhalten. Die Beschreibung:

              

Zwei passionierte Jäger und Journalisten nehmen das Waidwerk in den professionellen Blick. Mit viel Humor schildern sie eigene Jagderlebnisse sowie Interessantes und Hintergründiges rund um die Jagd und die grüne Zunft.

(Quelle)  

              

Der deutsche Journalist kann auch einen Eintrag bei Wikipedia vorweisen:

Dort wiederum macht folgender Hinweis hellhörig:

              

2005 erschien sein Buch über die Berliner Republik Wo wir uns finden, das er gegen den „Furor des deutschen Selbsthasses“ geschrieben haben will. Der Selbsthass, „der im Laufe der neunziger Jahre aus dem Milieu der akademischen Linken in die neuen ökonomischen Eliten eingewandert ist“, spiegele nicht mehr das allgemein anerkannte Selbstverständnis der Deutschen wider. Stattdessen sei das Leben „im Schatten der Hitlerschen Traumata an sein Ende gekommen“, eine neue Selbstwahrnehmung sei angebracht.

(Wikipedia über Eckhard Fuhr; Hervorhebung d. Red.)  

              

Ob dieses Statement nach Zwickauer Zelle und dem jüngsten NSU-Skandal wirklich so ein Treffer ist?

 
Als erkennbarer Jäger-Kommentar akzeptabel

Abgesehen von den juristisch heiklen Begriffen wie „Tierschutz-Taliban“ etc. wäre der Welt-online-Artikel als ausgewiesener Kommentar eines leidenschaftlichen Jägers zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte interessant gewesen. Er bietet jede Menge Stoff, um ihn inhaltlich genüsslich und unterhaltsam auszuwaiden. So aber war die Gruppen-Zugehörigkeit des Autors für den Welt-online-Leser nicht erkennbar.

Die Welt-online-Redaktion hat das korrigiert. Sie bittet um Verzeihung. Der darin gegeißelte „grobe journalistisch-handwerkliche Fehler“ wird eingestanden.