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Aua620: Demo Bremen: Security des Deutschen Tierschutzbundes geht gegen Tierbefreier vor

{TS-Kritik}

 
[am 03.05.2012 aktualisierte Textversion nach Vorliegen der Stellungnahme von Ärzte gegen Tierversuche]

Auf der Demonstration gegen Tierversuche am Samstag (28.04.2012) in Bremen, veranstaltet von Ärzte gegen Tierversuche, soll es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen dem privaten Sicherheitsdienst des Deutschen Tierschutzbundes e. V. und (gegen Wolfgang Apel) protestierenden Tierbefreiern gekommen sein, wie mehrere Quellen unabhängig voneinander berichten.

Die Tierbefreiung-Hamburg spricht in ihrer Stellungnahme zu den skandalösen Vorgängen von einem „unfassbaren Angriff auf die Tierbefreiungsbewegung im Allgemeinen“ und einer Missachtung von Mindeststandards kritischer Debattenkultur.

Ein Deutscher Tierschutzbund, der zu einer Demo mit einem privaten Sicherheitsdienst anrückt?
Ein Demonstrationsveranstalter, der den Einsatz dieses Sicherheitsdienstes gegen Demonstrationsteilnehmer zulässt?

Tierschützer und Tierbefreier, die aufeinander losgehen?

Was ist los in der Tierschutzszene?

Sortieren wir die Stränge:

 

Old-Apel in der Dauer-Kritik

Der frühere Präsident, heutiger Ehrenpräsident des Deutschen Tierschutzbundes, Wolfgang Apel, steht nicht nur auf Doggennetz.de in der Kritik. Tierrechtler und Tierbefreier kritisieren ihn vor allem in seiner Funktion für die Fleischindustrie.

Dass Ärzte gegen Tierversuche als Veranstalter der Demonstration in Bremen ausgerechnet Old-Apel zur Rede luden, hatte schon im Vorfeld der Demo empört und zu einem offenen Brief der Tierbefreiung-Hamburg an den Veranstalter Anlass gegeben.

In dem Brief gehen die Tierbefreier auf den grundsätzlichen Konflikt zwischen einem reformistischen konservativen Tierschutz à la Deutscher Tierschutzbund, der die Ausbeutung von Tieren lediglich verbessere und damit legitimiere, sowie der abolitionistischen Tierbefreiungsbewegung ein, deren Ziel die Beendigung jeder Form von Nutzung und Ausbeutung von Tieren ist.

Ein Textauszug aus diesem Brief macht den Konflikt nachvollziehbar:

              

In diesem Jahr sind wir jedoch gelinde gesagt tief enttäuscht darüber, wem auf der Demonstration ein Podium geboten wird, denn Wolfgang Apel ist in diesem Jahr als Redner geführt. Apel ist (nachdem er jahrelang Leitungstätigkeiten ausgeübt hat) Ehrenpräsident des Deutschen Tierschutzbundes. Der Deutsche Tierschutzbund gehört zu den ‚konservativsten‘ Vertreten des politischen Tierschutzes und empfiehlt beispielsweise den Konsum von Fleisch, sofern die Tiere ‚artgerecht gehalten‘ wurden [2]. Er will sogar ein Gütesiegel für ‚tierschutzgerechtes Fleisch‘ entwickeln [3]! Doch es kommt noch schlimmer: Apel selbst ist unmittelbar in die Fleischindustrie involviert, da er Vorstandsvorsitzender von Neuland Fleisch ist. Das bedeutet, dass Apel persönlich das massenhafte Töten von Tieren legitimiert und bewirbt. Dass die ‚Biohaltung‘ von Tieren lediglich eine Strategie der Legitimation von Tierausbeutung ist und dass auch die partielle ‚Schonung‘ von Tieren vor der Tötung in keiner Weise die Tötung von Tieren an sich rechtfertigen kann, steht dabei außer Frage.  

(Quelle: https://www.fellbeisser.net/news/demo-gegen-tierversuche-in-bremen-samstag-28-april-2012#SlideFrame_3 ; Hervorhebung d. Red.)

              

Dies zum Verständnis.

 

Friedlicher Protest war expressis verbis angekündigt

Doch der offene Brief ist es auch, der jetzt hilft, die Vorgänge vom vergangenen Samstag zu sortieren. Denn in welcher Form die Tierbefreier gegen Apel protestieren wollten, war schon vorab genau festgelegt und angekündigt:

              

Um es vorweg zu sagen und pauschalisierenden Befürchtungen den Wind aus den Segeln zu nehmen: Wir werden weder die Bühne stürmen, noch anderweitig die Rede aktiv verhindern. Wir halten es aber für unsere politische Pflicht, diesen offenen Brief auch während der Rede Apels zu verteilen, um den anderen DemonstrationsteilnehmerInnen die Möglichkeit zu geben, sich über Apels Doppelfunktion als Tierschützer und Vertreter der Fleischbranche zu informieren, da von eurer Seite aus hierzu nirgends ein Hinweis zu finden ist.

(ibid.)  

              

Am offenen Brief der Tierbefreiung-Hamburg fällt der gemäßigte Ton und die absolut sachliche Argumentation demjenigen auf, der Meinungsverschiedenheiten zwischen den karitativen Tierschützern zu lesen gewohnt ist … Ironisch verbildlicht kommen hier Messer und Gabel statt Keule und Pfosten zum Einsatz!

 

Was dann geschah

Die Ereignisse für den Demonstrationssamstag waren also für alle Beteiligten relativ vorhersehbar. Warum die Sache dann so aus dem Ruder lief, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt nicht sagen. Hier zunächst die Beschreibung der Tierbefreiung-Hamburg:

              

Kurz nachdem Apel mit seiner Rede begonnen hatte, platzierten sich drei Aktive des Tierbefreiungsblocks mit Schildern vor der Bühne, um still und friedlich gegen Apel zu protestieren. Die Schilder stellten diejenigen Informationen über Apel bereit, die die VeranstalterInnen der Demonstration den TeilnehmerInnen schuldig blieben – dass Apel ein Vertreter der Fleischindustrie ist. Es bestand unter den Beteiligten der explizite Konsens, die Rede weder verbal zu stören, noch die Bühne zu besteigen oder sonst wie aktiv zu stören. Wir gingen davon aus, dass auch seitens der Ärzte gegen Tierversuche diese Geste als Deeskalation erkannt würde und Apel somit in Ruhe, aber nicht unkommentiert, die Rede beenden könnte. Wir betonen hiermit noch einmal, vor allem um möglichen Diffamierungen als Krawallmacher oder ähnlichem den Wind aus den Segeln zu nehmen, dass wir still und passiv die Rede kommentiert und in keiner Weise aggressiv oder lautstark eingegriffen haben, auch wenn wir vollstes Verständnis für AktivistInnen haben, die auch aktiv die Rede hätten verhindern wollen.

Nach wenigen Sekunden signalisierte die Anmelderin der Demonstration (von den ÄgT) jedoch dem eigens vom Deutschen Tierschutzbund angeheuerten privaten Sicherheitsdienst einzuschreiten, was dieser dann auch tat und den drei TierbefreierInnen die Schilder zu entreißen versuchte und sie gewaltsam zur Seite stieß. Erst auf Grund der Tatsache, dass Securities einer privaten Sicherheitsfirma von der Demoleitung auf die eigenen Leute angesetzt wurden, um diese gewaltsam von ihrem Protest abzuhalten, eskalierte die Situation kurzzeitig. Immer mehr Menschen gesellten sich hinzu, beschwerten sich lautstark über die Angriffe auf die Aktiven und machten nunmehr ihren Ärger über Apel deutlich, z.B. mit Parolen wie „Wer Tiere respektiert, der isst sie nicht“. Kurz darauf schritt auch die Polizei ein, nicht aber um die Demonstrationsfreiheit zu schützen und die Amtsanmaßung der Securities zu unterbinden, sondern um diese noch zu unterstützen. Polizei und der Sicherheitsdienst des Tierschutzbundes wurden somit von den Ärzten gegen Tierversuche auf TierrechtsaktivistInnen losgelassen, die gegen Apels Rolle als Vertreter der Fleischindustrie protestieren! Auch wenn wir normalerweise vor derlei Begriffen zurückschrecken, aber dies ist ein handfester Skandal!

(Quelle)

              

 

Deutscher Tierschutzbund verströmt keinen Hauch

Beeindruckend!

Jetzt ist die Frage, was die Beteiligten selbst dazu zu sagen/schreiben haben. Erstaunlich ist allemal eine Pressemitteilung des Deutschen Tierschutzbundes e. V. vom 30. April 2012 zu der Veranstaltung, in der mit keinem einzigen Wort auf diese Eskalation Bezug genommen wird. Guckst du hier.

Obwohl das Verhältnis zwischen dem Deutschen Tierschutzbund e. V. und dieser Redaktion nachhaltig gestört ist (vgl. Aua517, Aua559) ist, hat DN keine Mühen und Frustrationen gescheut und aktuell eine Presseanfrage an den DTB zu diesen Vorgängen gestellt. Neben der Frage nach einer Stellungnahme des DTB zu der Eskalation forschte DN insbesondere auch dem Phänomen nach, warum und vor allem zu welchem Preis aus vermutlich Spendengeldern eine Tierschutzorganisation eine private Securityfirma beauftragt.

Sollte eine Presseantwort vom DTB dazu eingehen, wird sie an dieser Stelle veröffentlicht!

 

4pawsrap  empört

Auch wenn der DTB es bisher nicht für nötig befunden hat, die Vorgänge in Bremen zu kommentieren, die Empörung jener, die Augenzeuge waren, ist nachlesbar. Der Musiker von 4Paws war selbst anwesend und hat die Abläufe hier beschrieben. Darin ist von Rangeleien vor der Bühne die Rede, von Tierbefreiern, die „gewaltsam zur Seite gezerrt“ wurden, von 15 Security-Leute im Aufmarsch und einer älteren Dame, die mit Stock auf einen Aktivisten einschlug.

Party!

Der 4paws-Musiker kritisiert insbesondere auch den Veranstalter, Ärzte gegen Tierversuche, der nichts unternommen hätte, um die Übergriffe zu stoppen. Der Text endet kämpferisch:

              

Ich habe meine Lehren daraus gezogen und werde mit den Ärzten gegen Tierversuche nicht mehr zusammen arbeiten. Ich erwarte in der baldigen Stellungnahme eine Entschuldigung für die Vorkommnisse, eine Distanzierung von Wolfgang Apel‘s Politik und der Gewalt „in den eigenen Reihen“.

…und an Wolfgang Apel und seine Schergen:
Weder könnt ihr mich einschüchtern, noch mich ruhigstellen. Wir sind kämpferischer als zuvor, da hilft auch keine Security oder Bullerei.

Für die Befreiung der Tiere,

4Paws

(Quelle)

              

 

Stellungnahme von Ärzte gegen Tierversuche

Dr. Corinna Gericke von Ärzte gegen Tierversuche (ÄgT) hat in einer ausführlichen Stellungnahme zu den Vorgängen auf der Demonstration und die Vorwürfe von Tierbefreiung Hamburg Stellung bezogen.

Der Veranstalter erhebt darin den Vorwurf, dass die Tierbefreiung Hamburg entgegen ihrer Ankündigungen gehandelt habe:

              

Durch eine kleine Gruppe von Personen kam es zu erheblichen Störungen durch Pfiffe, lautes Rufen und das Hochhalten von Schildern vor (und nicht nur neben) der Bühne. Es war ein Versuch, die Rede verbal unhörbar zu machen und damit zu verhindern. Von einem stillen, passiven Protest, wie in der Stellungnahme der Tierbefreiung Hamburg behauptet wird, kann nicht die Rede sein.

(Stellungnahme Ärzte gegen Tierversuche zu den Vorfällen am 28.04.2012 in Bremen sowie zur Stellungnahme der „Tierbefreiung Hamburg“ vom 1. Mai 2012)

              

Gericke sieht die Aktionen der Tierbefreiung im falschen Timing, räumt Verständnis für den Inhalt der Kritik ein, nicht jedoch für die Vorgehensweise. Ärzte gegen Tierversuche empfinden die Stellungnahme der Tierbefreiung Hamburg von mangelndem Respekt gegenüber den Tierversuchsgegnern geprägt. Auch ÄgT sorgen sich um die Außenwirkung des Vorfalls.

Im weiteren Verlauf der Stellungnahme werden Apels Verdienste beim erfolgreichen Kampf gegen die qualvollen Affenversuche des Experimentators Kreiter gelobt.

Der mit der Doggennetz.de-Kritik (unten) koinzidierende Passus aber ist dieser:

              

Völlig absurd ist die Behauptung in der o.g. Stellungnahme, die Anmelderin der Demo, also ich, hätte den Sicherheitskräften signalisiert einzugreifen. Dies entspricht absolut nicht der Wahrheit! Ich hätte gar keinen Einfluss auf die Sicherheitsleute gehabt, da sie nicht von uns beauftragt worden waren. Im Vorfeld waren von Herrn Apel 15 Ordner angekündigt worden. Dass es sich dabei um Personen eines Sicherheitsdienstes handelte, war nicht mit uns abgesprochen.

(ibid.; Hervorhebung d. Red.) 

              

Versteht man das jetzt richtig: Der DTB rückt als Gast auf einer von Ärzte gegen Tierversuche organisierten Demo mit einem sage und schreibe 15 Personen umfassenden Sicherheitsdienst an und spricht diesen Status der „Ordner“ noch nicht einmal vorher mit dem Veranstalter ab?

ÄgT ziehen aus den Vorgängen Konsequenzen. Die Stellungnahme endet mit der Ankündigung, dass, sofern überhaupt noch einmal ein Tag zur Abschaffung der Tierversuche organisiert werde, auf einem solchen weder Wolfgang Apel noch die Tierbefreier unter den Rednern sein werden.

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Doggennetz.de-Senf:

Des Wahnsinns fette Beute! Wenn jetzt schon die „Oberschicht“ der Tierschützer auf Demonstrationen aufeinander losgeht, dann ist das Hauen und Stechen, das Drohen und Verleumden der unteren Chargen nur noch folgerichtig.

Welchen Eindruck bitte werden solche Exzesse auf den kaum beachteten Rest der Gesellschaft machen, denen so subtile Unterscheidungen wie die zwischen „reformistisch-konservativ“ und „abolitionistisch-fundamentalistisch“ vermutlich kaum nachvollziehbar sind? War es nicht ursprünglich eine Demo gegen Tierversuche? Und daraus wurde eine Demo der finalen Spaltung zwischen Tierschützern (eben: die „konservativen“) und Tierbefreiern (eben: die „abolitionistischen“)!

Wobei die bis dato vorliegende Dokumentation den Schluss nahelegt, dass in diesem Fall die Eskalation von der „reformistischen konservativen“ Tierschutzorganisation Deutscher Tierschutzbund e. V. ausgegangen sein könnte. Und tatsächlich darf sich jeder Tierfreund und vor allem auch die Spender des DTB fragen, ob es tatsächlich normal sein soll, dass eine Tierschutzorganisation mit einem privaten Sicherheitsdienst zu einer öffentlichen Demonstration, die ohnehin unter Polizeibegleitung steht, aufschlägt? Und wieder nicht zuletzt: Haben die Spender des DTB dafür ihr Geld gegeben? Dafür, dass 15 Security-Leute mit physischem Einsatz gegen mehr oder weniger stumm (divergierende Angaben) protestierende Tierbefreier vorgehen?

Nur noch unter der Überschrift „Die unerträgliche Arroganz des Deutschen Tierschutzbundes“ zu subsummieren, sind die Angaben in der Stellungnahme von Ärzte gegen Tierversuche, dass der DTB dieses Auftreten mit 15 „Ordnern“ eines Sicherheitsdienstes vorher nicht einmal mit dem Veranstalter abgesprochen hatte. Aber dieser Affront fügt sich nahtlos ein in das sonstige Auftreten der arroganten Herren dieser Organisation. Sei es die Missachtung berechtigter Fragen der Presse, sei es der Umgang mit Kritikern wie im Fall Tierheim Bremen (betrifft Wolfgang Apel selbst, nicht den DTB; vgl. Aua545), das Feudalherrengewese der obersten Funktionäre des DTB ist nicht nur inakzeptabel, sondern wird zunehmend zu einem kapitalen Imageschaden für den Tierschutz insgesamt.

Aufgrund des „abolitionistischen“ und mithin nach Meinung dieser Redaktion fundamentalistischen Ansatzes der Tierrechtler ist im Allgemeinen Vorsicht auch bei diesen angebracht. Nur für den Bremen-Fall, ganz klar, stehen die Tierbefreier bei Weitem besser da: Die Form des Protestes war vorher als stumm und gewaltfrei angekündigt. Der Ton war sachlich, die Argumente sind stark. Unabhängig davon, ob dieser Protest nun tatsächlich so stumm ablief, wie angekündigt, oder doch so, wie in der Stellungnahme von ÄgT zu lesen, Gegen diesen Protest mit dem Einsatz von Sicherheitsleuten vorzugehen, ist jenseits des Akzeptablen und zeugt von einem Grad an Größenwahn beim DTB, der langsam tiefen Grund zur Sorge und hoffentlich bald Raum zu Handlung geben muss.

Jenseits aller ethischen Themenpositionen aber ist es vor allem die wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu beobachtende Tendenz der Radikalisierung in der Debatte und der Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, die beunruhigt.

Eben: Keule und Pfosten!