Aua55: Soziobiologie: Die Entmythisierung der guten Tat

{TS-/DS-Kritik}

Der SPIEGEL-Artikel Wer hilft, dem wird geholfen, Ausgabe 51/2010, beschäftigt sich mit der Frage, ob der Mensch ein geborener Altruist ist und wie es sich mit der sogenannten Selbstlosigkeit verhält.

Das ist auch eine zentrale Frage im Tierschutz und deshalb von Interesse für unser Thema.

Die Forscher versuchen, dem Phänomen mit spielerischen Experimenten auf die Spur zu kommen. Dabei lautet die These der Biologie zur Nächstenliebe: „Selbstlos verhält sich offenbar nur, wer durch eine gute Tat seinen guten Ruf fördert“ (ibid.). Hier ergibt sich also eine wichtige Verbindung zwischen Altruismus – bzw. der karitativen Tat – und dem eigenen Leumund.

Das macht Sinn. Das leuchtet ein. Und das erklärt vor allem, warum die Reaktionen so dermaßen heftig ausfallen, wenn man Tierschützer kritisiert.

Das Ergebnis der Experimente führe „ […] zu einem neuen, rationalen Bild der Nächstenliebe. Reinen Altruismus gibt es demnach nicht. Wenn Menschen auf ihren Vorteil verzichten, muss das selbstlose Handeln zumindest einen indirekten Nutzen haben: Es mehrt ihr Ansehen in der Gruppe – wodurch ihnen wiederum etliche Vorteile entstehen“ (ibid.).

An dieser Stelle kommen im Tierschutz Internet und Foren ins Spiel. Die regelrechte Explosion der Zahl angeblich oder tatsächlich tierschützerisch tätiger Organisationen und Einzelpersonen in den vergangenen Jahren hängt m. M. n. mit dem Internet zusammen. Denn das Web gibt jetzt die Möglichkeit, jedem Interessierten schnell und umfassend von der eigenen guten Tat zu berichten. Und diese einfache, zeitnahe und zuverlässige Verlautbarungsmöglichkeit ist zwingende Bedingung für die „gute Tat“ als solche.

Das Instrument, mit dem dann virtuell die Ernte eingefahren wird, das Lob entgegengenommen, die Bewunderung empfangen – das sind die Gästebücher. Dieser Rubrik kommt im karitativen Bereich essenzielle Bedeutung zu.

Ein anderes virtuelles Konto für die guten Taten sind Internet-Foren. Hier können sich Einzelne und Organisationen in aller epischen Breite darstellen und – neben der Spendenakquisition – den Input an Zuwendung, Aufmerksamkeit, Bewunderung, Lob und Ermunterung genießen, welche die karitativen Taten motivieren.

Auch zum Thema Spenden berichtet der Spiegel, was auf allen Tierschützer-Sites nachlesbar ist: „[…] dass Menschen in allen Kulturen gern darüber reden, wenn sie anderen – scheinbar selbstlos – geholfen haben, etwa bei Spendensammlungen in der Vorweihnachtszeit“ (ibid.).

Beim gierigen Griff nach dem guten Leumund sieht man dabei sogar über den sonst so hochgehaltenen Datenschutz hinweg. Deshalb verwundert es nicht, wenn sich auf vielen Tierschutz-Seiten lange Listen mit den Namen von Spendern finden.

Bei der Entkleidung der guten Tat vom hehren Mantel der reinen Selbstlosigkeit kommen verschiedene Wissenschaftler zu dem gleichen Ergebnis. Martin Nowak, Harvard University, beschreibt Selbstlosigkeit als eine Art Statussymbol. Weg vom Altruismus bewertet er das Bemühen um den guten Leumund und der deshalb notwendigen Kooperation mit anderen sogar als entscheidend für die Evolution des Menschen.

Wie immer sich die Forschungsergebnisse je nach Fragestellung ausdifferenzieren, beruhigend ist die Quintessenz:

 

Die Ergebnisse fügen sich zu einem neuen, rationalen Bild

der Nächstenliebe (ibid.).

   

Rational!