Aua1365P: Die DN-Quintessenz oder die Katastrophe, ein Staatsziel dem Ehrenamt auszuliefern

 

{TS-Kritik}

[im DNPA erschienen: 17.07.14; online verfügbar ab: 25.08.14]
[Aktualisierung vom 27.08.14 mit einem Leserbrief von Nina Taphorn]

 

Satte 1.300 Artikel waren nötig, bis diese Redaktion das hinter all den Defiziten des Tierschutzes stehende Grundproblem erkannt hat. Das damit zusammen getragene DN-Archiv an Fällen, Beispielen, Dokumenten, Bildern aber immerhin beweist: Karitativer Tierschutz, dort, wo er über die reine Tierverwaltung hinaus will, funktioniert nicht; weder im In- noch im Ausland.

Das hat Gründe. Und die sind strukturell.

Die DN-Redaktion möchte nachfolgende Ausführungen als eine Art Thesenpapier verstanden wissen. Eine Diskussion über dieses Thema findet nicht statt. Wo auch? Bei den großen Vereinen, die kein Interesse daran haben können? Bei „Tierfreunden“, welche die großartige ARD-Dokumentation über die himmelschreienden Tierquälereien in der Schweinezucht am vergangenen Montag nicht ansehen konnten und deshalb auch nicht auf sie reagieren werden, weil sie Petitionen für rumänische Straßenhunde initiieren, Mahnwachen organisieren und die illegale Tierschlepperei praktizieren?

 

Ein Staatsziel ohne Infrastruktur

Tierschutz ist Staatsziel in der Bundesrepublik:

              

Artikel 20a

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

(Grundgesetz Artikel 20a)

              

 

Diese erfolgreiche Festschreibung als Staatsziel hat die Tierschützer schier trunken gemacht. Bewirkt oder geändert hat das gar nichts! Zu dem hehren Grundgesetzartikel gibt es so viele Ausnahmen und Sonderregelungen, dass sich die Tiere auf diesem Staatsziel getrost ein Ei backen können, bevor sie in den Tierversuch gehen, sie als überzähliges Ferkel an der Boxenwand totgeschlagen oder ihnen betäubungslos die Hoden abgezwackt werden oder irgendeine andere der unsäglichen Tierquälereien im erlaubten Feld der wirtschaftlichen Nutzung des angeblichen Mitgeschöpfes (Def. nach TSchG § 1) erleiden müssen.

Die Trunkenheit mag auch daher rühren, dass vielen Tierfreunden nicht bewusst ist, dass der Begriff Staatsziel den Staat, der es definiert, noch nicht zu – für die Tiernutzer – wirklich schmerzhaften Änderungen verpflichtet. Das erklärt recht lieblich der Deutsche Tierschutzbund e. V. (DTB) anlässlich des zehnjährigen Bestehens einer weitgehend folgenlos gebliebenen Staatszieldefinition:

              

Das Mensch-Tier-Verhältnis ist durch die Verfassungsergänzung aber nicht vom einen auf den anderen Tag revolutioniert worden. Tierversuche waren nicht automatisch verboten und auch die industriellen Massentierhaltungen mussten nicht schließen. Andererseits ist das Staatsziel Tierschutz aber auch keine „nutzlose Verfassungslyrik“. Die Staatszielbestimmung verpflichtet die Staatsgewalten, dem Tierschutz zu einem möglichst hohen Stellenwert in unserem Rechts- und Wertesystems zu verhelfen.

In diesem Sinne ist das Staatsziel Tierschutz weiter zu konkretisieren: von der Politik bei der Gesetzgebung sowie von den Verwaltungsbehörden und Gerichten bei der Auslegung und Anwendung des Rechts. Das Staatsziel bietet dazu erstmals die echte Möglichkeit, den Tierschutz auch gegen die Interessen der Tiernutzer durchzusetzen. Es bildet ein entscheidendes Gegengewicht gegen menschliche Grundrechte wie die Freiheit von Forschung, Berufsausübung, Religion oder Kunst, die den Tiernutzung bislang weit gehenden Vorrang vor Tierschutz einräumten, nun aber gegen die Tierschutzerfordernisse abgewogen werden müssen.

Mit dem Staatsziel sind Tiere weder dem Menschen gleichgestellt noch ist deren Nutzung verboten. Es geht darum, den Umgang mit Tieren in ethisch verträgliche, tierschutzgerechte Bahnen zu lenken.

(Deutscher Tierschutzbund, Pressemitteilung 01.08.2012 „Zehn Jahre Staatsziel„)

              

 

Es darf gelacht werden: Das Staatsziel Tierschutz sei keine nutzlose Verfassungslyrik. Wer spricht? Der DTB – als mächtigster Vertreter der Organisationen, welche am meisten davon profitieren, dass diese Gesellschaft ihr Staatsziel im Ehrenamt verkommen lässt: eingetragene Vereine!

Der Beweis dafür, wie fatal sich das Ehrenamt als Sachwalter eines Staatsziels auswirkt, kommt gleich hinterher: Tierschutz sei auch gegen die Interessen der Tiernutzer durchsetzbar. Das lügt der erste Profiteur von dem Staatsziel-ohne-Infrastruktur-Konstrukt seiner Klientel in die Tasche.

Danke, das genügt!

Wie viel Tierschutz gegen die Interessen der Tiernutzer (Pharma, Fleischindustrie, Landwirte etc.) durchsetzbar ist, hat ein Bundesbürger mit moralischem Interesse 14 Jahre nach Staatszieldefinition und ein Jahr nach Inkrafttreten des neuen Tierschutzgesetzes ad nauseam zur Kenntnis genommen.

Und hinsichtlich „des hohen Stellenwerts in unserem Rechts- und Wertesystem“ ringen ethisch Ambitionierte quasi bei jedem einzelnen Gerichtsurteil über Tierquäler mit ihrer Fassung.

Ein Witz!

 

 
Staatsziel Tierschutz? Das Beste, was sich sagen lässt: Die Richtung stimmt!
Foto: © Rainer Sturm / pixelio.de

 

 

 

Ein Staatsziel ist kein Grundrecht

Ein Staatsziel begründet kein subjektives Recht und ist somit nicht einklagbar. Das ist schon mal sehr praktisch! Auch sonst drängt nichts zur Umsetzung:

Da Staatsziele zwar Aufgaben an den Staat stellen, aber nicht regeln, wie diese Ziele konkret erreicht werden sollen, hat der Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative bezüglich der Umsetzung.  

Allerdings gibt es andere Staatsziele der BRD, zu denen sich durchaus eine differenzierte Infrastruktur mit hohem Haushaltsanteil findet: Sozialstaatsprinzip, Rechtsstaatlichkeit, Kulturstaatlichkeit. Die Etats für die beiden Erstgenannten erklären sich aus der Tatsache, dass diese Staatszieldefinitionen mit den Strukturprinzipien (vgl. Art. 20 GG) zusammenfallen: Rechtsstaatsprinzip, Sozialstaatsprinzip.

 

Tierschutz ist Schlusslicht im kleinsten Haushaltsetat

Der Etat des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, bei dem „Tierschutz“ in der Rubrik Fernerliefen rangiert, gehört ohnehin schon zu den kleinsten Etats der Bundesregierung. Von den 5,31 Milliarden Euro jedoch steht kein Cent für den karitativen Tierschutz zur Verfügung. In diesem Etat erhält die Sozialpolitik das Schwergewicht: Rund 3,7 Milliarden werden für die Alters-, Kranken- und Unfallversicherung der Land- und Forstwirte aufgewendet (Quelle). Und der Rest vom Fest versickert so:

              

Im Interesse des Tierwohls will Schmidt weitergehende Initiativen fördern. Das Ministerium werde Forschungsprojekte finanzieren, die verhindern sollen, „dass jährlich 45 Millionen männliche Küken sterben müssen oder trächtige Rinder geschlachtet werden“. In den nächsten drei Jahren sollen außerdem 30 Millionen Euro für Innovationen in der nachhaltigen Nutztierhaltung, zwölf Millionen Euro für die Minimierung von Antibiotika in der Lebensmittelkette und 21 Millionen Euro in Modell- und Demonstrationsvorhaben für das Tierwohl ausgegeben werden.

(Der Bundestag, „Tierwohl und Ernährung spaltet die Fraktionen“)

              

Dieser Staat gibt kaum einen Cent für praktizierten karitativen Tierschutz aus, der sich vornehmlich in den Tierheimen abspielt, sicherlich auch in den (einstelligen?) Milliardenbereich hinein reicht und vollständig von Vereinen getragen werden muss. Die Zuschüsse der Kommunen für den Bereich Fundtierverwaltung sind so gering, dass sie in den meisten Fällen noch nicht einmal kostendeckend sind. Diverse Fördertöpfe auf Länderebene für den Aus- oder Umbau von Tierheimen sind so ärmlich gefüllt, dass sie nicht wirklich eine Rolle spielen oder zumindest den Erhalt der Tierschutzinfrastruktur in Deutschland garantieren können.

Die Redaktion schätzt: Wir können die Beweisführung an dieser Stelle abbrechen?

 

Staatsziel ohne Finanzierung und deshalb ohne Infrastruktur

Im Ranking der Staatsziele der BRD verliert sich der Umwelt- und Tierschutz nach Meinung dieser Redaktion auf dem allerletzten Platz – noch hinter „Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie Beseitigung bestehender Nachteile“.

Auf diesem Laternenplatz wird der Tierschutz dann noch einmal vom Umweltschutz abgeschlagen. Denn es gibt jede Menge staatlich geförderter Umweltschutzprojekte. Für staatliche Beihilfen im Umweltschutz gibt es sogar Förderleitlinien. Das erklärt sich durch die kapitalistische Verwertbarkeit des Themas Umweltschutz über den Bereich Energiewirtschaft. Eine solche kapitalistische Verwertbarkeit ist für den Tierschutz im authentischen Wortsinne (leider?) nicht gegeben, was jedoch auf der anderen Seite nicht verhindert, dass angeblicher Tierschutz (z. B. Auslandstierschlepperei) mannigfaltige Schnittstellen für Beutelschneider bietet (Milliardenmarkt der Heimtierhaltung).

Natürlich gibt es auch staatliche Beihilfen im Bereich Tierschutz dort, wo er nicht karitativ, sondern wieder Stellgröße der Wirtschaft, des Exports und der Wettbewerbsfähigkeit ist: Es gibt staatliche Beihilfen im Agrar-, Fischerei- und Forstsektor (hier).

Für den karitativen Tierschutz gibt es – Staatsziel hin, Staatsziel her – kaum einen Cent. Die Aufwendungen der Kommunen im Rahmen ihrer Pflichtaufgabe Fundtierverwaltung können an dieser Stelle nach DN-Meinung nicht geltend gemacht werden. Länderspezifische Förderprogramme für den Um- oder Ausbau von Tierheimen halten sich in engstem Rahmen.

 

 

Die alte Huck: Ohne Moos nichts los! Ohne Finanzierung bleibt ein Staatsziel schieres Lippenbekenntnis.

Foto: © flown / pixelio.de

 

 

Polizei und Justiz ohne Krankenhäuser und Gefängnis?

Wer an dieser Stelle auf die Veterinärämter als Beweis staatlichen Interesses am karitativen Tierschutz verweisen möchte, darf daran erinnert sein, dass hier und bei den dazugehörigen Exekutivbehörden (Ordnungsämter) lediglich die Fachkompetenz und Vollzugsgewalt liegen. Die jedoch nützt nichts ohne Infrastruktur – wie zum Beispiel Tierheime.

Wie handlungsunfähig die staatliche Einrichtung der Veterinärämter mit Bezug auf den karitativen Tierschutz ist, erkennt man unschwer an der Tatsache, dass sie ihre Ultima Ratio, die Beschlagnahme von Tieren, ohne den Partner im Ehrenamt in den meisten Fällen gar nicht anwenden können. Um diese Handlungsunfähigkeit anschaulich zu machen, stelle man sich eine Polizei vor, die für die Versorgung und Unterbringung von Verkehrsunfallverletzten oder die Kasernierung von verhafteten Personen auf Vereine und die von ihnen dafür zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten plus Personal angewiesen wäre.

 

Karitativer Tierschutz ist Politik und Gesellschaft vollkommen gleichgültig

Langer Rede kurzer Sinn: Trotz lautstark verkündetem Gegenteil und trotz „Staatsziel Tierschutz“ ist dessen karitativer Aufgabenbereich der Gesellschaft so schnuppe, dass sich die Politik auch nicht darum kümmern muss. Und die bestellten Sachwalter des Tierschutzes, die großen der eingetragenen Vereine, dürfen sich gar nicht darum kümmern, denn sonst würden sie sich selbst abschaffen!

Dabei wäre das nur hilfreich, denn sie sind der Grund, warum der karitative Tierschutz nicht funktioniert! Ein Staatsziel, das treuhänderisch dem Ehrenamt ausgeliefert wird: Das kann nicht funktionieren!

 

Warum es keine Tierschutzsteuer gibt

Alles, was diesem Staat wert und teuer ist oder Finanzierungsmöglichkeiten bietet, hat eine eigene Steuer. Welcher Stellenwert dabei „Tierschutz“ in diesem Staat und dieser Gesellschaft zukommt, darf sich jeder beim Marathonlauf durch die (weniger geläufigen) Steuerarten selbst aussuchen: Biersteuer, Speiseeissteuer, Kinosteuer, Spielkartensteuer, Wertpapiersteuer, Kaffeesteuer, Tanzsteuer, Süßstoffsteuer, Schaumweinsteuer, Tabaksteuer, Zuckersteuer, Salzsteuer, Essigsäuresteuer, Mineralölsteuer, Rennwettsteuer, Jagd- und Fischereisteuer, Leuchtmittelsteuer (Quelle). Wir brechen die Aufzählung hier ab!

Nun komme bitte keiner mit der Hundesteuer daher: Diese ist eine reine Luxussteuer und wird von den Kommunen, anders als etwa in der Schweiz, lediglich zur Aufbesserung ihrer Finanzen missbraucht, ohne dass „Hunde“ oder Tierschutz davon profitieren. Würden Staat und Gesellschaft dem Tierschutz nur ein Gran Wert im ethischen Sinne zumessen, wäre die Umwidmung der Hundesteuer ein erster erkennbarer Schritt zur Ausgestaltung des Staatsziels Tierschutz: Diese müsste für die Aufgaben des karitativen Tierschutzes und den Betrieb von Tierheimen verwendet werden statt den Kommunen eine Komfortzone für Haushaltsengpässe zu bieten.

Steuern sind die Haupteinnahmequelle eines modernen Staates, um seine Aufgaben zu finanzieren. Für große Aufgaben werden gern und schnell neue Steuern und Abgaben eingeführt (Beispiel: Solidaritätsbeitrag). Dieser Staat betrachtet zumindest den karitativen Tierschutz nicht als seine Aufgabe, sonst würde er vielleicht ein entsprechendes Finanzierungsmodell – eine „Tierschutzsteuer“ – einführen?

 

Der Tierschutz in der Schmuddelecke des Ehrenamts

Mit dieser ließe sich ein aus der Schmuddelecke Ehrenamt herausgeholter karitativer Tierschutz finanzieren, der so in einer vergleichbaren Wertigkeit wie öffentlicher Dienst organisiert und praktiziert werden könnte. Von den mannigfaltigen Betrugs- und Veruntreuungsmöglichkeiten gemeinnütziger und nicht gemeinnütziger Tierschutzvereine befreit, käme eine saftige Tierschutzsteuer die Bürger unterm Strich billiger als das jetzige Modell. Dessen schockierende Missbrauchsmöglichkeiten hat Stefan Loipfinger sowohl mit seinem Verbraucherschutzportal CharityWatch.de wie mit seinem Buch DIE SPENDENMAFIA (in den Kapiteln, wo es um den Tierschutz geht) umfassend belegt.

 

Begleiterscheinungen des Ehrenamts: Willkür, Missbrauch, Dilettantismus

Ein Ehrenamt und mithin die Rechtsform des eingetragenen Vereins taugt nicht zur Erfüllung eines Staatsziels (Tierschutz). Der karitative Tierschutz in der Bundesrepublik funktioniert vorne und hinten nicht; 1.300 Artikel auf DN und die themenspezifischen Publikationen von Stefan Loipfinger illustrieren dieses Versagen an einer Fülle von Beispielen.

Doch nicht nur das. Es gibt auch keine ethischen Standards. Jeder Vereinsvorsitzende und jeder Vorstand definiert seine eigene Ethik. Willkür ist Strukturprinzip: Hier vermittelt ein Verein Hunde und Katzen nicht an Raucher; dort werden noch nicht einmal Vorkontrollen der neuen Plätze gemacht. Im Süden schläfert die ehrenamtliche Zusammenrottung Tiere selbst dann nicht ein, wenn ihr Leiden infaust ist; aber beim Tierschutzverein Moers fließen allein knapp 4.000 Euro in die Tierkörperbeseitigung. Im Tierheim X werden carnivore Tiere im ideologischen Übereifer vegetarisch ernährt; auf Gnadenhof Y kriegen sie gleich gar nichts oder Müll zu fressen und verhungern und verrecken, wenn das zuständige Veterinäramt nicht rechtzeitig einen anderen ehrenamtlicher Partner findet, dem er die Tiere aufs Auge drücken kann. Die Tiere selbst kommen dabei nicht selten vom Regen in die Traufe (dokumentiert am Fall Ralf Hewelcke; Linkliste am Ende von Aua1316P).

Wo die so „geschützten“ Tiere der moralischen Willkür gerade noch entkommen, da würgt sie der Dilettantismus der Akteure. Die kennen mehrheitlich noch nicht einmal den Unterschied zwischen Kastration und Sterilisation und sind auch ansonsten veterinärmedizinische, verhaltensbiologische, ernährungsphysiologische und kynologische Vollblut-Laien.

Warum auch nicht? Tierschutz ist ein Ehrenamt! Und dort, wo es das aufgrund des Angestelltenstatus von Tierheimmitarbeitern mit vorgeschriebener Sachkunde nicht ist, wird Expertise sofort wieder wirkungslos, weil sachkundefreie Vorstände diesen gegenüber weisungsbefugt sind.

Was für ein Irrsinn!

Das Einzige, was hier und dort noch halbwegs funktioniert, ist die blanke Tierverwaltung dort, wo diese Ehrenamtler als Exekutivorgan der Fundtierverwaltung dem Staat in Form der Kommunalverwaltungen wenigstens ansatzweise zur Rechenschaft verpflichtet sind. An dieser Stelle lässt sich auch die Frage stellen, ob die schiere Tierverwaltung (Aufnahme, Unterbringung und Rückgabe von Fundtieren; Aufnahme und Weitervermittlung von Abgabetieren) im Jahr 2014 tatsächlich den hochtrabenden Begriff „Tierschutz“ verdient.

 

 

Die Tierschutzinfrastruktur in Deutschland geht zügig über die Wupper! Doch die Tierschützer sind mit viel unwichtigeren Themen beschäftigt. Und am meisten: mit sich selbst!

Foto: © Claudia Hautumm / pixelio.de

 


 

Tierschutz reduziert sich auf Tierversorgung und -verwaltung

Von den drei Säulen des karitativen Tierschutzes – (1) Tierversorgung, (2) Aufklärung und Information der Bevölkerung über Tierschutzfragen, (3) politisches Engagement – sind zwei schon lange gefallen: die Aufklärung und das politische Engagement.

Die Bevölkerung im Jahr 2014 mit ihren mannigfaltigen und nie dagewesenen Informationsmöglichkeiten informiert sich selbst, sofern Bedarf vorhanden. Der Verbraucher und Tierkonsument verbittet sich die moralische Bevormundung emotional überqualifizierter „Tierschützer“. Das beweisen 30 oder mehr Jahre „Aufklärung“ über die moralisch korrekten Anschaffungsoptionen für Hund, Katze, Hamster und Co. Nach wie vor und ohne erkennbare quantitative Abstriche beschaffen sich die Menschen ihre Hunde, Katzen und die zum Kinderspielzeug bestimmten Kleintiere aus Zoohandlungen (Beispiel: Zoo Zajac!), bei windigen Züchtern, wenn nicht gleich aus dem Kofferraum der illegalen Welpenhändler auf der Autobahnraststätte.

Die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung durch den allein den Tieren verpflichteten Tierschutz ist nachgewiesenermaßen weitgehend wirkungslos. Nahezu alle Forderungen des etablierten Tierschutzes im Hinblick auf die Novellierung des Tierschutzgesetzes 2013 wurden nicht erfüllt! Als – allerdings effektloses – Trostpflästerchen und aufgrund der Tatsache, dass dieser Regelung keine Lobby entgegenstand, hat die Bundesregierung als einziges Zugeständnis an den Tierschutz den sexuellen Umgang mit Tieren in seiner (angeblich) gewaltfreien Form den Rang einer Ordnungswidrigkeit zugewiesen. Kostet ja nix!

 

Bundesamt für Tierschutz – und für sonst nix!

Wir vertrauen Kinder, Alte, Kranke, Behinderte und Arbeitslose dem Staat an, aber unsere Tiere nicht? Spricht das jetzt für die Tiere oder gegen die Kinder?

Wenn sich Staat und Gesellschaft nur ansatzweise und aufrichtig für den karitativen Tierschutz interessieren würden und das Staatsziel mit Leben erfüllen wollten, gäbe es ein Bundesamt für (nur!) Tierschutz mit einem entsprechenden Etat im Haushalt der Bundesregierung. Über das föderalistische Prinzip organisiert, wäre ein solches Amt oder Ministerium oberster Behörde einer bis auf Lokalebene herab durchorganisieren Struktur zur Erfüllung der Aufgaben des karitativen Tierschutzes und als Betreiber der bundesweiten Tierheime. Diese staatlich finanzierten (Tierschutzsteuer) und kontrollierten Tierheime hätten Behördenstatus und unterlägen in allen Tätigkeitsbereichen definierten Kriterien.

„Tierschützer“ wäre ein Ausbildungsberuf und geschützte Berufsbezeichnung. Die Veterinärämter würden aus der Organisationsstruktur der Kommunalbehörden gelöst und in die oben skizzierte Struktur eingegliedert, damit sie aus ihrem Interessenskonflikt gegenüber den Landräten hinsichtlich deren Pflichtaufgabe der kommunalen Fundtierverwaltung herauskommen (vgl. Aua1252P). Tierschutz, seine Kriterien, seine Arbeitsweise und seine Finanzierung würden so transparent werden, wie das für eine moderne demokratische Gesellschaft verlangt werden kann.

Zu den Aufgaben dieses staatlichen Tierschutzes gehören dann die gesamte Tierversorgung, wie sie im karitativen Tierschutz üblich ist: Fundtierverwaltung, Aufnahme von Abgabetieren, Kastrationsaktionen, Einsätze für Tiere in Not (verunfallte Vögel, Wildtiere etc.), Beratung von Tierhaltern etc.

Die bisherigen Tierschutzvereine können sich neue Betätigungsfelder suchen, wenn die Grundversorgung einer angeblich tierlieben Gesellschaft mit der dazugehörigen Dienstleistung und Infrastruktur gewährleistet ist. Mit ganzer Kraft könnten sie sich den katastrophalen Missständen widmen, die uns die ARD-Doku über Deutschlands (!) Ferkelfabriken gerade erst wieder vor Augen geführt hat.

Funktionierender, transparenter, staatlicher Kontrolle unterstehender karitativer Tierschutz? Utopia halt!

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[Aktualisierung vom 27.08.14:]

Leserbrief von Nina Taphorn:

Nach Onlineschaltung dieses Premium-Artikels erreicht die DN-Redaktion ein Leserbrief von Nina Taphorn (vgl. Aua1366 und Links dort), der den Textgedanken aufgreift und wichtige Verknüpfungen zu dem mutmaßlich kausalen und völlig pervertierten Mensch-Hund-Verhältnis herstellt. Dabei bezieht sie sich auf den bekannten Biologieprofessor Dr. Ray Coppinger et al. und dessen wichtiges Buch Hunde.

Coppinger ist in der wissenschaftlichen Kritik insbesondere unter Druck geraten aufgrund seiner angeblich fehlerhaften historischen Terminierung der Domestikation von Hunden, die er an die Sesshaftwerdung des Menschen knüpfe. Die von Taphorn hier aufgegriffenen Kategorisierungen Coppingers des Mensch-Hund-Verhältnisses seien von diesen Annahmen unabhängig, wie sie betont.

              

Nach der Lektüre der DN-Quintessenz wurde mir immer klarer, es muss an unserem Verhältnis zum Hund liegen, dass wir Menschen dieses marode Haustiersystem mit all seinen Facetten (Tierversuche, Gefahrhundeverordnungen, Zoohandlungen, Qualzucht, Animal Hoarding, Tierschutz im Ehrenamt,…) irgendwie mit tragen. Die höchst manipulative und übergriffige Art und Weise des Umgangs mit dem Hund, wie sie besonders in der Qualzucht und in der Gefangennahme von Straßenhunden vorkommt, weist ganz stark auf ein gestörtes Verhältnis zum Hund hin.

Leider wird die Beziehung von Menschen und Hunden in der Literatur gerne verkleistert mit Phrasen wie „ältester Freund des Menschen“ und völlig übersehen, dass der Hund ursprünglich kein Luxustier war. Aber wir wissen auch schon lange um die kritischen Phasen der Hundeentwicklung, fassen aber grobschlächtig die frühe Welpenzeit außerhalb des Nests unter „Sozialisierung“ zusammen. Manche Dinge wollen wir nicht wissen. Anders ist es nicht zu erklären, dass vorhandenes Wissen nicht genutzt, sondern überlagert und verbrämt wird.

„Manchmal habe ich (…) Populationen von Familienhunden vor mir, die sich eher wie Parasiten verhalten. Und dann wieder sehe ich Menschen, die ihre Hunde wirklich schlimm behandeln.“

Ray und Lorna Coppinger haben erkannt, in welchem Spannungsfeld der heutige Umgang mit Hunden sich bewegt, seit die „mutualistische Beziehung“ von Mensch und Hund, wie sie in der Haltung von Arbeitshunden, die lediglich Teilzeit-Haushunde sind, besteht, an Bedeutung verloren hat. Hier die Vergötterung des Hundes, dort seine rohe Misshandlung. Das gesunde Mittelmaß scheint völlig zu fehlen.

So müssen wir uns auch nicht zu wundern, dass wir überhaupt einen Tierschutz brauchen. Sehr interessant ist daher die Erklärung von Ray Coppinger für dieses Phänomen. „Ich glaube, die Rolle als Familienhund und Heimtier ist die unklarste Form der Lebensgemeinschaft von Hund und Mensch.“

In seinem Buch „Hunde“ untersucht Coppinger die Beziehung von Mensch und Hund und ihre möglichen Formen, Mutualismus, Parasitismus, Symbiose, … Gleich auf der ersten Seite des Kapitels „Haushunde“ sucht er nach der ökologischen Rubrik dieser Beziehung und gibt zu bedenken, dass im Plan der Natur nur das gedeihlich und beständig ist, was wirklich einen biologischen Vorteil bringt. „Nahrung, Sicherheit, Fortpflanzung. Wenn Hunde nicht wesentlich zu einer Deckung wenigstens eines dieser Grundbedürfnisse beitragen, bringen sie dem Menschen streng genommen keinen Vorteil.“ Wenn wir also diese biologischen Vorteile nicht mehr haben, sollten wir vielleicht auf andere Vorteile und gegenseitigen Nutzen achten, sonst konsumieren wir Hunde nur noch. Zu diesem Konsum gehört auch, dass wir Hunde überpflegen, überfordern, unterfordern, züchterisch verformen und wegwerfen, wenn alles nicht klappt.

Wenn man Coppinger ernst nimmt, kann es sich nur um eine Minderheit der Mensch-Hund-Beziehungen handeln, in denen beide Partner gut aufgehoben sind. Tatsächlich beklagt er die mangelnden sozialen Fähigkeiten der Menschen, die ihre Vorbereitung auf den Familienhund meist auf die Frage nach der passenden Rasse reduzieren und sich dabei von Äußerlichkeiten leiten lassen. Statt: „Was kann ich bieten?“ fragt man: „Was will ich haben?“

Die vernichtende Quintessenz nach ausführlicher Betrachtung von Kosten und Nutzen der Hundehaltung in unseren Gesellschaften lautet:

„Ich halte daher die symbiotische Beziehung zwischen Haushunden und Menschen für einen Fall von Amensalismus. Hunde werden ähnlich wie die Präriehühner, denen die Bisons versehentlich die Eier zertrampeln, von den Menschen versehentlich niedergetrampelt und geschädigt.“ („Hunde“, S. 260)

Nina Taphorn