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Aua816: Fundtierverwaltung Landkreis Sigmaringen (2): Die August-12-Verordnung

 

{TS-Kritik}

 

Was bisher geschah:

Bisher geschah noch gar nicht so viel: Doggennetz.de hat die Leser dieser Artikelserie über die lange staubige Straße der Erläuterung kausaler Zusammenhänge zwischen der prekären Lage vieler deutscher Tierheime und der „Pflichtvergessenheit“ deutscher Kommunen sowie den fatalen Wirkungen der übergroßen Konzentration auf den tierschleppenden Auslandstierschutz geführt. Das Kreistierheim Sigmaringen mit seinem Ausnahmestatus kommunaler Trägerschaft wurde als Worst Case des Tierschutzes und mögliches Zukunftsmodell einer galoppierend zerbröselnden Tierschutz-Infrastruktur in Deutschland gelabelt.

Nach dieser ausführlichen theoretischen Einführung werden die Artikel jetzt konkreter und führen die Doggennetz.de-Leser durch die Abenteuerlandschaft einer vorne und hinten nicht funktionierenden Fundtierverwaltung in dem Residenz-Landkreis des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.

Um den Spannungsbogen schön oben zu halten, werden die einzelnen Highlights nur sukzessive preisgegeben!

 

 

Fundtierverwaltung, normal

Normal, weit verbreitet, üblich und bewährt ist folgendes Verfahren: Ein Bürger findet ein Tier, sei es ein Hund, sei es eine Katze. Mit diesem Fundtier wendet er sich an das Tierheim in seiner Stadt, in seiner Gemeinde oder in seinem Landkreis. Dort gibt er das Tier ab.

Im Zuge dieser Abgabe wird ein sogenannter Fundtierabgabevertrag zwischen dem Tierheim, das von der zuständigen Kommune offiziell mit der Fundtierbetreuung beauftragt wurde, und dem Finder geschlossen. Dieser Vertrag ist auch für den Finder wichtig, der nach BGB diverse Rechte an der Fundsache hat. Überdies sind diese Verträge in der Regel Grundlage des Nachweises der durchgeführten Fundtierbetreuung seitens des Tierheims sowie in der Gesamtheit Berechnungsgrundlage für die Verhandlungen mit der Kommune über das Entgelt für diese Übernahme einer kommunalen Pflichtaufgabe.

Das Tierheim dann regelt alles Weitere. Der Finder ist entlastet.

Das Weitere: Das Tierheim zeigt der zuständigen Kommune in der vereinbarten Art und Weise den Eingang der „Fundsache“ an. Es kümmert sich um die möglicherweise notwendige tierärztliche Versorgung, bringt das Fundtier adäquat unter, pflegt und betreut es. Nach Ablauf vereinbarter Fristen bemüht sich das Tierheim, sofern kein Eigentümer Ansprüche geltend gemacht hat, für dieses Tier einen neuen Besitzer zu finden.

Dieses Verfahren hat sich bundeweit als erfolgreich etabliert.

 

Fundtierverwaltung im Landkreis Sigmaringen

Bundesweit? Nicht ganz: In einem kleinen Landkreis im Süden der Republik … Allerdings nennen sich die Bewohner dort nicht Gallier, sondern Sigmaringer.

In Sigmaringen steht das Kreistierheim in kommunaler Trägerschaft. Als „Freiwilligkeitsleistung“ trägt der Landkreis Sigmaringen mit einem derzeit erwirtschafteten jährlichen Defizit von rund 200.000 Euro die Einrichtung zur Aufnahme von Fundtieren aus einem Kreis mit 25 Gemeinden.

Diese Gemeinden waren bisher nicht dazu zu bewegen, sich im Rahmen üblicher Regelungen – z. B. Pauschalbeträge  – an den Kosten für den Betrieb des Kreistierheims zu beteiligen. Stattdessen wähnten sie bisher diese Kosten durch die Kreisumlage gedeckt.

Genaueres dazu kann Doggennetz.de erst dann offenlegen, wenn das Landratsamt Sigmaringen Paragraph 4 des Landespressegesetzes anerkennt, nachdem das Regierungspräsidium Tübingen ihm dabei vielleicht behilflich gewesen ist. Bisher nämlich beantwortet das Landratsamt Sigmaringen eine entsprechende Presseanfrage von Doggennetz.de nicht. Dazu später mehr! (Das war jetzt  eins der versprochenen Highlights!)

Aus welcher emotionalen oder finanziellen Notlage heraus auch immer wurde daraufhin zum 1. August 2012 eine Regelung erlassen, die in ihrer Skurrilität, ihrer Bürger- und Tierfeindlichkeit sowie ihrem Vermögen, unnötigen Verwaltungsaufwand zu produzieren, ihresgleichen sucht.

Und das geht so:

Die Sigmaringer August-12-Verordnung

Der Finder eines Fundtieres muss sich zuerst an seine Wohnortgemeinde wenden. Deshalb ist es für ihn günstig, wenn er das Tier zu den üblichen Geschäftszeiten der Kommunalverwaltung  findet. Die Zufallsbekanntschaft mit einem dominanten Rottweiler-Rüden am Samstagmorgen könnte sonst zu einem anstrengenden Wochenende führen, sofern der Finder nicht weiß, wo sein Bürgermeister wohnt oder er über dessen Handynummer verfügt.

Lassen wir den Kontakt mit der Wohnortgemeinde spontan stattfinden: Dort meldet der Finder: Tier gefunden und erklärt sein Begehren, dieses Tier an Sach- und Fachkundige, wie sie im Kreistierheim angenommen werden müssen,  abgeben zu wollen. Diesem Ansinnen muss die Wohnortgemeinde erst einmal zustimmen, obwohl sie weiß, dass ihr dafür die gesamten Kosten aufgebürdet werden. Und die sind üppig: 8 Euro pro Tag pro Katze; 15 Euro pro Tag pro Hund.

Dann muss die Gemeinde ein sogenanntes Kostenübernahmefax an das Kreistierheim senden. Und erst, wenn das Kreistierheim schriftlich vorliegen hat, dass die zuständige Gemeinde die Kosten übernimmt, erst dann kann der Finder – im allergünstigsten Fall – das Fundtier nach Sigmaringen bringen und im Kreistierheim abliefern.

Ein überall sonst üblicher Fundtierabgabevertrag, der auch dem Finder als Nachweis darüber dienen würde, dass er ein Tier im Kreistierheim abgegeben hat, wird nicht geschlossen.

Soweit die Theorie. Diese kann hier auch noch einmal nachgelesen werden.

Praxis: Tierfinder als demütige Bittsteller

Dieser Redaktion liegen Hülle und Fülle von Bürger-Berichten vor, dass die zuständigen Mitarbeiter der Gemeindeverwaltungen selbstherrlich und sachkundefrei darüber entscheiden, was überhaupt ein Fundtier ist und was nicht.

Um die Pointe nicht hinauszuzögern: Die meisten Tiere sind – nach diesem Kriterienkatalog – keine.

In welcher Position sich tierfindende Bürger gegenüber ihrer Wohnortgemeinde befinden, mag die Auskunft des für solche Fälle zuständigen Mitarbeiters bei der Stadt Messkirch in einem Telefonat mit dieser Redaktion vom 20. November 2012 illustrieren: „Wenn uns nachgewiesen wird, dass es ein Fundtier ist …“

Wie weist ein Bürger nach, dass er das gefundene Tier gefunden hat? Und: Warum wird ein Finder in die Beweispflicht genommen?

Aus den vielen Erfahrungsberichten tierfindender Bürger im Landkreis Sigmaringen (siehe unten)  entsteht der unheilvolle Eindruck, dass Tierfinder ebenda in die Rolle des Bittstellers gedrängt werden.

Kosten contra Ethik

Es ist nachvollziehbar, dass die Kommunen angesichts knapper Kassen und angesichts der bundesweit unverhältnismäßig hohen Unterbringungskosten (zu deren Berechnung später mehr) im Kreistierheim Sigmaringen kein Interesse an Fundtieren haben. Die Entscheidung über den Status des Tieres wird subalternen Verwaltungsbeamten überlassen. Die (Sigmaringer) Bürger kennen oft ihre Rechte nicht und können sich gegen die abweisende Haltung schwer durchsetzen.

Fallbeispiele folgen.

 

Dieses Kreistierheim ist immer: voll

Doch selbst wenn der tierfindende Bürger Glück und einen gnädig gestimmten Gemeindemitarbeiter gefunden hat und die Kostenübernahme gegenüber dem Kreistierheim Sigmaringen erklärt wird, taucht die nächste und noch größere Hürde auf: Die über Jahre gleichbleibende, von verschiedenen Seiten immer wieder gemeldete, von verschiedenen Tierschützern im Landkreis Sigmaringen bestätigte, stets gleichbleibende Auskunft des Kreistierheims Sigmaringen: „Wir sind voll.“

Ein betroffener Tierschützer aus dem Kreis, der aus guten Gründen (siehe oben!) ungenannt bleiben möchte, legt dieser Redaktion eine Liste mit Meldungen über vom Kreistierheim Sigmaringen angeblich abgewiesene Fundtiere vor. Sie soll nachstehend veröffentlicht werden.

Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die dort genannten Fälle nicht überprüft wurden. Die Liste trifft ihre Aussage weniger über den Einzelfall als in ihrer erschütternden Gesamtheit. Alle Meldungen stammen aus dem Jahr 2012.

Die Liste ist bei weitem nicht vollständig. Einzelne der dort genannten Fälle kommen in späteren Artikeln dieser Serie noch  zur Sprache. In der Liste zitierte Angaben von Tierfindern über angebliche Aussagen von Gemeindemitarbeitern und/oder dem Staatlichen Veterinäramt Sigmaringen sind mit Vorsicht zu genießen. Sie können nicht alle überprüft werden. Einzelfälle aus dieser Liste jedoch werden im weiteren Verlauf der Artikelserie noch behandelt und – soweit dem Landespressegesetz Gültigkeit verschafft werden kann – mit den dazugehörigen Stellungnahmen der jeweiligen Emittenten versehen.

Abgewiesene Fundtiere Landkreis Sigmaringen 2012

Messkirch: kranke Katze; Kreistierheim lehnt ab; Euthanasie beim Tierarzt

Heudorf: Fundkatze; Aussage Kreistierheim: voll

Jungnau: Fundkatze; Aussage Kreistierheim: voll

Ablach: Fundkatze: Aussage Kreistierheim: voll

Sigmaringendorf: verletzte Katze; Aussage Kreistierheim: voll

Inzigkofen: verletzte Katze: Aussage Kreistierheim: voll

Inneringen: Fundkatze; Aussage Kreistierheim: Aufnahmestopp wegen Infektion

Ostrach: Fundkatze Jungkatze; Aussage Kreistierheim: voll

Krauchenwies: Fundkatze; Aussage Kreistierheim: voll

Sigmaringen: ca. 6 Monate alter zugelaufener Kater; Aussage Kreistierheim: voll

Herbertingen: 5 zahme Jungkatzen im Garten (ausgesetzt?); Aussage Kreistierheim: voll

Laiz: zahme Katze zugelaufen; Aussage Kreistierheim: Aufnahmestopp wegen Infektion

Boll: Mutterkatze mit 3 Welpen zugelaufen; Aussage Kreistierheim: voll

Ablach: ca. 30 verwahrloste Katzen nahe Bauernhöfe; Verweis an das Veterinäramt

Rohrdorf: verletzte Katze; Aussage Kreistierheim: voll

Sigmaringen: 1 kleine Fundkatze; Aussage Kreistierheim: Aufnahmestopp

Schrebergärten Sigmaringen: mindestens 7 streunende Katzen; Aussage Kreistierheim: Aufnahmestopp

Ennetach: ca. 15 Katzen müssen untergebracht werden, weil der Besitzer ins Pflegeheim kommt; Kreistierheim lehne ab

Sigmaringen: Mutterkatze mit fünf etwa sechs Wochen alten Welpen in Garage gefunden; Kreistierheim lehne Aufnahme ab

Oberschmeien: Fundkatze; Aussage Kreistierheim: Aufnahmestopp

Mengen: ca. 20 streunende Katzen in der Altstadt: Kreistierheim lehnt Aufnahme ab

Schwenningen: 4 kranke Katzen, etwa fünf Wochen alt, im Wald gefunden; Aussage Kreistierheim: voll; Finderin behauptet, im Tierheim hätte man ihr gesagt, sie solle die Katzen wieder in den Wald zurücksetzen

Mengen: verletzte zahme Katze auf einem Balkon; Kreistierheim nimmt nicht auf, da die Stadt Mengen keine Kostenübernahme zugesagt hat. Laut Aussage des Finders bekam er von der Stadt den Rat, das Tier nicht zu füttern und zu verjagen

Stetten am kalten Markt: Mutterkatze mit 4 Welpen; Aussage Kreistierheim: voll

Sigmaringen: Siamkatze zugelaufen; Aussage Kreistierheim: voll

Bingen: viele zahme (!!!) Streunerkatzen suchen neuen Platz; Aussage Kreistierheim: voll

Laiz: 6 Katzen eines Besitzers, der ins Pflegeheim kommt; Kreistierheim lehnt Aufnahme ab

Saulgau: 3 Katzenwelpen auf einem Parkplatz gefunden; Aussage Kreistierheim: voll

Oberschmeien: 3 ca. zehn Tage alte Katzenwelpen werden schreiend unter einer Hecke gefunden; eine Mutterkatze ist nicht in Sicht; eines der Katzenwelpen ist schon tot; Stadt Sigmaringen zögere mit der Kostenübernahme. Finder behauptet, man habe ihm auf dem Ordnungsamt den Rat erteilt, er solle das der Natur überlassen. Der Finder fährt mitsamt den Welpen, ins Kreistierheim, erhält dort Saugflasche und Aufzuchtsmilch und wird dann wieder weggeschickt.

Sigmaringen: Aufgrund eines Hausverkaufs verlieren ca. 10 freilebende Katzen ihren Standort, die dort bisher gefüttert wurden und auch kastriert sind. Eine Bürgerin wendet sich mit diesem Fall an das Veterinäramt. Sie behauptet, dort den Rat erhalten zu haben, sie solle das Füttern einstellen, dann würden die Katzen schon abwandern.

 

Fortsetzung folgt!

Aua816LGSigSchussverletzg  
Diese Fundkatze im Jahr 2010 aus dem Landkreis Sigmaringen hat eine Schussverletzung am rechten Auge. Ihr Bild steht nur stellvertretend für den körperlichen Zustand von vielen Fundkatzen. Im Status quo wird deren weitere Versorgung und ggf. auch tierärztliche Betreuung den tierfindenden Bürgern überlassen, wenn, wie zahlreiche Rückmeldungen im Landkreis Sigmaringen dokumentieren, die Kommunen ihre Pflichtaufgabe der Fundtierannahme nicht erfüllen.
Foto: mngw (Landkreis Sigmaringen)

 

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